Im idyllischen Aarwangen, einer Berner Gemeinde an der Grenze zu den Kantonen Aargau und Solothurn, hing seit Frühling der Haussegen schief. Der Grund sind Kuhglocken. Sie seien zu laut, sie würden stören, fanden im Frühling zwei neu zugezogene Paare und legten bei der Gemeinde Beschwerde ein.
Damit begann in der 5000-Seelen-Gemeinde eine emotional geführte Diskussion um ländliche Traditionen, Toleranz und den Stadt-Land-Graben. Denn Aarwangen ist längst kein kleines Bauerndorf mehr. Es gilt inzwischen als Agglomeration mit zahlreichen, neuen Wohnquartieren.
Der Konflikt gipfelte schliesslich darin, dass Anwohnende die Gemeindeinitiative «Pflege des Glockengeläutes in Aarwangen» lancierten. Nach nur zwei Monaten waren 1099 Unterschriften zusammen, die das Initiativkomitee demonstrativ in Begleitung ihrer mit Glocken behangenen Kühe am Gemeindehaus abgaben. Dabei wären für eine Gemeindeinitiative lediglich 319 Unterschriften nötig gewesen.
An der Gemeindeversammlung diesen Montag stimmten die Aarwangerinnen und Aarwanger schliesslich mit grosser Mehrheit für die Glocken-Initiative. Der Gemeinderat muss nun ein Reglement ausarbeiten, das die Forderungen der Initiative beinhaltet.
Aktuell würde es die Initiative aber gar nicht mehr brauchen. Ein Paar hat seine Beschwerde zurückgezogen. Die andere Beschwerdepartei ist im Oktober weggezogen.
Im Ausland sorgt der Aarwanger Kuhglocken-Konflikt indes für Belustigung. Oder zumindest für einen Jöö-Effekt. Dass man den Streit nicht ganz so ernst nimmt, zeigt nur schon der Titel, den die BBC setzte: «Swiss village of Aarwangen in ding-dong over challenge to cowbells». (Übersetzt: Schweizer Dorf Aarwangen im «Ding-Dong» (=Streit) um Kuhglocken.)
Der Text trieft nur so von Klischees über die Schweiz als ein (un)einiges Land von Bauern:
Doch die BBC ist nicht das einzige internationale Newsportal, das sich begierig auf den Schweizer Kuhglocken-Disput stürzt. Der deutsche TV-Sender NTV titelt: «Kuhglocken-Geläut entfacht Dorfzoff in der Schweiz». Der kanadische Radiosender CBC spricht von den «iconic bells» (ikonischen Glocken), die in der Schweiz zum Politikum werden und Euronews freut sich über das Wortwitz-Potenzial dieses Titels: «Newcomers ring the changes for traditional cowbells in picturesque Swiss village» (Neuzuzüger läuten einen Wechsel der traditionellen Kuhglocken in malerischem Schweizer Dorf ein).
Stern.de greift bei ihrem Artikel mit dem Titel «Kulturkampf um die Kuhglocke» ebenso gerne wie die BBC tief in die Klischee-Kiste. Die bimmelnden Glocken der Kühe gehörten zur Schweiz wie die Löcher im Käse. «Doch ebenso wie die Löcher wegen der modernen Melk-Technik bedroht sind, macht das moderne Leben zunehmend auch den Kühen das Bimmeln schwer.»
Der Präsident des Initiativkomitees, Andreas Baumann, war selbst überwältigt vom internationalen Echo, das sein Dorf ausgelöst hat. Wie er dem «Tages-Anzeiger» sagt, meldeten sich sogar TV-Sender aus Australien und Kanada.
Für Baumann ist jedoch klar: Beim Streit geht es um viel mehr als nur um Gebimmel. Die NZZ zitiert ihn aus seiner Rede an der Gemeindeversammlung am Montag wie folgt: «Es geht darum, wie wir als Schweizerinnen und Schweizer unsere gelebten Traditionen in der Zukunft bewahren und pflegen wollen.»
Mehrere Gerichtsprozesse, die sich schon mit Kuhglocken-Streitereien beschäftigen mussten, bestätigen Baumanns These. Das Bimmeln unserer Kühe bewegt das Volk seit Jahrzehnten.
1975 fällte das Bundesgericht ein Leiturteil: Das nächtliche Läuten von Kuhglocken in einem Wohnquartier gehe über das hinaus, was zu ertragen sei. Damit verbot sie einem Bauern, seinen Tieren nachts die Glocken anzulassen. Grundsätzlich müssen die Gerichte aber nach wie vor im Einzelfall entscheiden, was nun wichtiger ist: Lärmschutz oder lokale Traditionen. In einem anderen Fall 2018 entschied das Bundesgericht daher zugunsten des Bauern. Dort, wo seine Kühe ihre Glocken läuten lassen, gehöre das Geräusch seit Jahrzehnten zu den örtlichen Gegebenheiten und Traditionen.
Zumindest in Aarwangen sollte es nicht mehr bis zu einem Bundesgerichtsurteil kommen können. Auch nicht wegen Kirchenglocken. Mit ihrer Initiative wappneten sich die Aarwangerinnen und Aarwanger nämlich auch gegen solche Beschwerden, die in der Schweiz häufig vorkommen. So in Kreuzlingen, wo seit sechs Jahren ein Konflikt um das nächtliche Glockenläuten der evangelischen Stadtkirche schwelt, wie die «Thurgauer Zeitung» im Mai dieses Jahres berichtete.
Wo Menschen zusammenleben, da «mänschelets» eben, würden wohl viele Schweizerinnen und Schweizer zu diesen anhaltenden Glocken-Konflikten sagen. Die BBC zieht indes einen anderen Schluss für Aarwangen: «In einem Land mit hoher Zuwanderung, in dem 25 Prozent der Bevölkerung keine Schweizer sind, wird es immer diejenigen geben, die jede Veränderung der Tradition als Angriff auf ihre Kultur und ihre Identität betrachten. Genau darum geht es beim Kuhglockenstreit in Aarwangen. Bei den Parlamentswahlen im letzten Monat hat die rechte Schweizerische Volkspartei mit dem Slogan ‹Damit die Schweiz Schweiz bleibt› Wahlkampf gemacht, und sie hat kräftig zugelegt.»
Dies stimmt soweit nicht, dass die Glocken eine Notwendigkeit hatten. Auf den Höfen oder grossen Alpen waren sie notwendig, um das Vieh bei schlechtem Wetter überhaupt zu finden.
In den Aglodörfern wären Glocken somit nicht notwendig, da die Polizei schneller alarmiert wäre als der Bauern aufgewacht ist. 😅
Die nehmen's wie immer gelassen und konzentrieren sich auf ihre intensive Verdauung. Denn mit-, oder ohne Kuhglocke: Eine Kuh ist ein Wunderwerk der Natur, und sie wälzt solche ungeheuren Grasmassen um, dass man sich nur noch ehrfürchtig vor diesem Tier verneigen sollte, gerade so, als wäre es heilig.
Merke ich beibmir "auf dem Land" auch; viele - besonders städtische - Zuzüger haben ihre Vorstellungen, die selten der Realität entsprechen. Dann fordern, umgestalten und verbieten wollen kommt halt selten gut an. Momentan haben wir viele zugezogene Hündeler, die alles frei rennen lassen, weil "man ist ja auf dem Land". Das führt dann auch zu Spannungen.