Am Pfingstmontag hat Bundesrat Ignazio Cassis in einem Tweet den Angehörigen des bei einem Helikopterabsturz gestorbenen iranischen Präsidenten sowie «betroffenen iranischen Bürgern» offiziell kondoliert. Der Tweet kam nicht nur gut an. Mitte-Präsident Gerhard Pfister verwies auf der Plattform X auf die ehemalige deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner: «Von uns gibts kein Beileid für Raisi», so deren Botschaft. Und maliziös textete Pfister: «Es ginge auch so, @ignaziocassis.»
Es ginge auch so, @ignaziocassis. Einfach mal als Idee für die Kommunilationsabteilung im @EDA_DFAE , bei künftigem Ableben von ausländischen Regimevertretern mit ähnlichem Profil. https://t.co/dlP2sKjXTR
— Gerhard Pfister 🤍💙💛 (@gerhardpfister) May 20, 2024
Nun ist Cassis amtierender und nicht ehemaliger Minister. Und er war nicht der einzige westliche Regierungsvertreter, der kondolierte - für sein «aufrichtiges Beileid» erntete etwa auch EU-Ratspräsident Charles Michel einen Shitstorm. Dazu muss man wissen: Raisi wird für Tausende Todesurteile in Iran verantwortlich gemacht, laut Amnesty International mindestens 5000. Er trug den Übernamen «Schlächter von Teheran». Als Präsident war er mitverantwortlich für die blutige Niederschlagung von Protesten und für die Unterstützung Russlands im Ukrainekrieg. Kein Wunder, erntete auch Cassis über tausend meist kritische Kommentare.
Am Dienstag zeigten Recherchen, dass sich das Aussendepartement weiterhin schwertut. Dem Vernehmen nach sorgten die «Weisungen über die Beflaggung der Gebäude des Bundes» für Kopfzerbrechen: «Beim Tod des amtierenden Staatsoberhauptes eines Landes, das mit der Schweiz diplomatische Beziehungen unterhält, (...) ist die Schweizerfahne auf dem Bundeshaus West am Todestag und am Tag der Beisetzung auf Halbmast zu setzen», heisst es dort.
Damit nicht genug. Denn geht es nach dem Aide Mémoire des Bundesrats, stattet der amtierende Aussenminister der Botschaft eines im Amt verstorbenen Staatschefs einen Beileidsbesuch ab. Zudem schickt der Bundesrat einen Brief an die Regierung. Bei «wichtigen Partnerländern» kann er sogar eine Vertretung an die Trauerfeier entsenden.
Fragt sich, ob Iran, wo die Schweiz für die USA sogenannte gute Dienste erbringt, ein «wichtiges Partnerland» ist. Auf die guten Dienste hält man in Bern jedenfalls grosse Stücke. Das führt mitunter zu Verrenkungen im Umgang mit den Mullahs. Etwa, als die für Iran zuständige Botschafterin Maya Tissafi 2023 lachend mit einem Vertreter des Regimes abgelichtet wurde, während diese gewaltsam gegen junge Protestierende vorging.
Zugleich kann die Schweizer Diplomatie auch Erfolge vorweisen. So spielte Nadine Olivieri Lozano, Botschafterin in Teheran, im April eine wichtige Rolle als Meldeläuferin zwischen den iranischen Revolutionswächtern und den mit Israel verbündeten USA, als aus dem Iran Raketen auf Israel abgefeuert wurden. Dies mitten in der Nacht und laut internationalen Medienberichten bereits, als der Angriff noch im Gang war. Sie dürfte dazu beigetragen haben, dass der Konflikt in jener Nacht nicht weiter eskalierte.
Was tut nun das EDA im aktuellen Fall, setzt es die Flagge auf halbmast? Und stattet Cassis der iranischen Botschaft einen Beileidsbesuch ab? Kurz: Wie viel Ehre erweist die offizielle Schweiz einem Menschenrechtsverbrecher wie Raisi?
Was sich schon sagen lässt: Anders als beim polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, der 2010 bei einem Flugzeugabsturz starb, erfolgen die Beileidsbekundungen Berns zurückhaltender. Damals kondolierte Bundespräsidentin Doris Leuthard «im Namen der gesamten Schweizer Bevölkerung» dem polnischen Volk in einem ausführlichen Communiqué. Zum Unfalltod Raisis war von Bundespräsidentin Viola Amherd bisher nichts zu hören - bloss Cassis kommunizierte.
Am späteren Dienstagnachmittag nahm das EDA Stellung zu den Vorgängen. Dass Cassis kondolierte und nicht die Bundespräsidentin, liege daran, «dass er sowohl den iranischen Aussenminister wie auch den iranischen Präsidenten persönlich kannte». Ein offizielles Kondolenzschreiben der Bundespräsidentin werde jedoch in den nächsten Tagen versandt, dies entspreche den diplomatischen Gepflogenheiten der Schweiz. Der Brief dürfte auf diplomatischer Ebene der iranischen Botschaft in Bern übergeben werden.
Eine überraschende Wendung nimmt schliesslich die Flaggen-Diskussion. Das EDA hat festgestellt: «Im Iran ist gemäss Konstitution der ‹Supreme Leader› das Staatsoberhaupt, der verstorbene Präsident hatte die Funktion des Regierungschefs inne. Deshalb wird am Donnerstag die Fahne auf dem Bundeshaus-West nicht auf halbmast gesetzt.»
Glück gehabt. Allerdings: Beim «Supreme Leader» handelt es sich um Ali Chamenei, den Religions- und Revolutionsführer. Er ist 85-jährig. Die Halbmast-Problematik ist aufgeschoben. Aufgehoben ist sie nicht. (aargauerzeitung.ch)
Und als Briefträger zwischen Washington und Teheran hat die CH ihren Platz eingenommen.
Wir sollten um diese Symbolik, die wir Bürgern uns ja am A.. ndern Ende vorbeigehen lassen können, keine grosse Geschichte machen.
Ignorieren einer lapidaren Geste ist schlauer als sie durch Zeigen von Emotionen aufzuwerten.