2021 startete ein neuer Krypto-Hype: NFTs. Für die digitalen Güter – meist Bilder von Künstlerinnen und Künstlern – gaben Spekulanten und Sammlerinnen Millionen aus. So bezahlte etwa Deepak Thapliyal, der CEO einer chinesischen Techfirma, im Februar 2022 satte 23,7 Millionen US-Dollar für den «CryptoPunk #5822». Ein Bild eines verpixelten blauen Comic-Menschleins. Es ist eines von insgesamt 10'000 sogenannter «Avatare», welche eine kanadische Techfirma 2017 herausgab. Sie sollten als Profilbild dienen und waren ursprünglich gratis.
— Deepak.eth (@dt_chain) February 12, 2022
Indem Thapliyal das NFT kaufte, wurde er der rechtmässige Besitzer des Bilds. Schon 2021 verstanden viele nicht, warum man ein NFT kaufen sollte – und was dieser digitale Besitz eigentlich für einen Nutzen hat. Immerhin können Kopien der NFTs weiterhin ungehindert im Internet zirkulieren.
Dennoch versprachen Krypto-Nerds mit NFTs eine Revolution des herkömmlichen Kunstmarkts. Und Spekulantinnen versprachen sich viel Geld. Schliesslich heizten 2022 Promis wie Justin Bieber, Paris Hilton und Jimmy Fallon den Hype um NFTs weiter an. Sie unterschrieben lukrative Werbeverträge mit NFT-Verkäufern und investierten selbst Geld in die Tokens. Kunstschaffende, Firmen und Marken wie Gucci, fluteten kurz darauf den Markt mit NFTs.
Heute, eineinhalb Jahre später, hat der Wind gedreht. So titelte das US-amerikanische Magazin Rolling Stone: «Your NFTs Are Actually - Finally - Totally Worthless». Dies, nachdem «DappGambl», eine Experten-Gemeinschaft für Blockchain-Technologie, im September eine Studie veröffentlichte, in der sie über 73’000 NFT-Sammlungen weltweit analysiert hatten. Die Studienautoren kamen dabei zum Schluss: 95 Prozent der weltweiten NFT-Sammlungen sind heute wertlos. Keinen Rappen kann man mehr für sie verlangen.
Selbst NFTs, die gemäss der Analyseplattform für Kryptowährungen «CoinMarketCap» als «Top Sammlung» gelten, haben stark an Wert verloren. Beispielsweise der «Deadfellaz #4255» aus der Deadfellaz-Sammlung. Für das NFT mit einem grünen Avatar bezahlte jemand im Januar 2022 noch rund 11'500 Dollar. Heute steht das NFT für 240 Dollar zum Verkauf.
DappGambl rechnete aus, dass 18 Prozent der einstigen Top-Sammlungen heute gar einen Grundpreis von 0 Dollar besitzen. Die meisten davon – 41 Prozent – können nur noch für fünf bis 100 Dollar verkauft werden. Für nicht einmal ein Prozent der NFTs aus Top-Sammlungen kann man heute noch mehr als 6000 Dollar verlangen. «Das verdeutlicht die Seltenheit von hochwertigen Vermögenswerten, selbst unter den Besten der Besten», schreiben die Studienautoren.
Was «DappGambl» mit ihrer Analyse auch herausfand: 79 Prozent aller NFT-Besitzer können ihre Sammlungen überhaupt nicht mehr weiterverkaufen. Ihre NFTs sind damit markttechnisch tot. «DappGambl» geht davon aus, dass fast 23 Millionen Menschen auf ihren NFTs sitzen bleiben.
Die NFT-Spekulationsblase ist geplatzt.
«Das habe ich ja immer vorausgesagt!», werden sich nun einige denken und dabei vielleicht auch ein wenig Schadenfreude bei der Vorstellung empfinden, dass Milliardäre für wertlose Bildchen Geld aus dem Fenster geworfen haben.
Das Traurige aber ist: Es waren eben nicht nur Milliardäre, sondern auch Normalverdienerinnen, die geblendet von den Versprechen der NFT-Verkäuferinnen und -Verkäufern nun viel Geld verloren haben. Das sagt Feyyaz Alingan. Er ist der Gründer von Blue Alpine Research, einem Startup, das neue Technologien wie Krypto, Blockchain und NFTs bewertet und dazu Bildungsinhalte erstellt. So referiert er etwa an der ZHAW zu NFTs.
«NFTs haben den klassischen ‹Gartner hype cycle› durchlaufen», sagt Feyyaz Alingan. Dieser beschreibt in der Wissenschaft ein Phänomen, bei dem eine neue Technologie oder ein neuer Trend eine Welle des Interesses auslöst, was zu einem rasanten Anstieg der Preise führt. Sobald der Hype jedoch nachlässt, fallen die Preise ebenso schnell.
«Der NFT-Hype hat 2021 mit einigen wenigen Leuten angefangen, die ihr Profilbild auf Social Media beispielsweise zu einem Cryptopunk geändert haben», sagt Alingan. Sie wollten damit zeigen, dass sie sich in der Krypto-Welt auskennen. So gut, dass sie schon NFTs gekauft hatten, als sonst noch kaum jemand von dieser Technologie gehört hatte. Das Profilbild als Erkennungszeichen, dass man Teil einer Insider-Gruppe ist. Ein Statussymbol.
Alingan nennt es einen «Digital Flex». Man wollte angeben. Ganz besonders 2021, als die Menschen aufgrund der Pandemie Zuhause vor ihren Bildschirmen festsassen und etwa nicht mehr mit einer Rolex im Ausgang prahlen konnten. «Bald wurde aus NFTs ein Trend und schliesslich ein Hype.» Und auf den Hype folgte das, was der «Gartner hype cycle» voraussagt: «Die Blase ist geplatzt. Die Preise fielen in den Keller», sagt Alingan.
Auch Feyyaz Alingan hat sich NFTs gekauft. Glücklicherweise, wie er sagt, zu einem frühen Zeitpunkt. Viel Geld habe er nicht investieren müssen. Trotzdem haben auch seine NFTs an Wert verloren. Mehr möchte er dazu aber nicht sagen.
Dass es überhaupt zu einer Spekulationsblase gekommen ist, erklärt sich Alingan dadurch, dass im NFT-Markt viele Menschen mitgemischt haben, die eigentlich keine Ahnung von der Technologie hatten. Die NFTs als neue Kryptowährung verstanden. Und darum spekulierten. «Dabei war die Idee hinter NFTs nie, mit ihrem Besitz Gewinn machen zu können.»
Dank NFTs können Kunstschaffende erstmals direkt finanziell profitieren, wenn ihre Werke weiterverkauft werden. «Als Künstler kann ich bei meinen NFTs in einem sogenannten ‹Smart Contract› einbauen, dass ich bei jedem Weiterverkauf beispielsweise 5 Prozent des Verkaufspreises erhalten werde. Für den Kunstmarkt war das revolutionär», sagt Alingan.
In der Anfangszeit des Hypes sei mit einem NFT zudem mehr einhergegangen als einzig dessen Besitznachweis. Künstlerinnen und Künstler verschickten beispielsweise regelmässige Post an die Besitzer ihrer NFT-Kunstwerke. Oder Firmen sandten Merchandise-Kleidung, die es auf dem freien Markt nicht zu kaufen gab. Doch irgendwann hätte das aufgehört.
Also versuchten sie diese wieder loszuwerden. Doch niemand hatte mehr Interesse an einem Kauf.
Wirklich profitiert hätten schliesslich nur Wenige, die zum richtigen Zeitpunkt verkauften. Und wann war dieser «richtige Zeitpunkt»? «Etwa im April 2022. Dann hatte der NFT-Hype seinen Höhepunkt erreicht», sagt Alingan.
Sind NFTs heute also wirklich tot? «Viele NFTs schon, ja. Sie werden wohl nie mehr weiterverkauft werden können», sagt Alingan. Gleichzeitig gäbe es NFTs, die sich halten können. Etwa die besagten Cryptopunks. Solche Beispiele sind heute aber die absolute Ausnahme. Die übrigen 5 Prozent.
Die Studienautoren von «DappGambl» prognostizieren: «Um Marktabschwünge zu überstehen und einen dauerhaften Wert zu haben, müssen NFTs entweder historisch relevant sein (ähnlich wie Pokémon-Karten der ersten Auflage), echte Kunst sein oder einen echten Nutzen bieten.»
Feyyaz Alingan widerspricht dieser These nicht. Er hält aber fest: «Gerade in der Kunst kann ein auf dem Markt wertloses NFT für das Individuum trotzdem wertvoll sein.» Er beispielsweise habe NFTs gekauft, die ihm wirklich gefallen würden. An denen er Freude habe, wenn er sie anschaue. Und mit deren Kauf er Kunstschaffende unterstützen wollte, deren Kunst ihm gefalle.
Das ist darum auch sein Rat: Kauft nur NFTs, die euch wirklich gefallen. Und:
Die NFTs sind für Alingan damit trotzdem nicht vom Tisch. Im Gegenteil. Einerseits habe sich der NFT-Kunstmarkt nun normalisiert. Andererseits, nehme die Weiterentwicklung der Technologie jetzt erst an Fahrt auf. Denn mit NFTs ist es erstmals möglich, digital nachzuweisen, wer im Besitz eines Tokens ist. «Auch das ist revolutionär und birgt viel Potenzial für andere Branchen.»
Als Beispiel nennt Alingan die Immobilienbranche. Grundbucheinträge könnten in ferner Zukunft beispielsweise mit NFTs gemacht werden. Wer ein Grundstück oder eine Immobilie kauft, kommt in den Besitz eines dazugehörigen NFTs.
Vielleicht sind wir also alle eines Tages im Besitz eines NFTs, so wie wir alle heute ein Smartphone haben. Vielleicht aber auch nicht. «Vorhersagen in der Krypto-Welt zu machen, bleibt schwierig», sagt Feyyaz Alingan.