Der Basler Regierungspräsident Beat Jans empfängt in seinem schmucken Büro im Basler Rathaus und führt stolz durch die alten Räume. Durch eine doppelte Stahl- und Holztür gelangt er von seinem Büro in den über 500 Jahre alten Regierungssaal mit den bekannten Glasfenstern der alten eidgenössischen Orte. Wird er am Mittwoch in den Bundesrat gewählt, wird sein neuer Arbeitsplatz nicht gleich prunkvoll sein.
Wie sichern Sie sich im Endspurt die letzten wichtigen Stimmen?
Beat Jans: Ich werde ein paar Telefonate mit Parlamentsmitgliedern führen und mich auf das Hearing der Mitte-Partei am Dienstag vorbereiten. Sonst kann ich nicht mehr viel tun.
Bauernpräsident Markus Ritter wünscht sich, dass sich der neue Bundesrat aus der Landwirtschaftspolitik heraushält. Haben Sie ihm versprochen, keine Mitberichte zu schreiben, um bei den Bauern zu punkten?
Nein, das habe ich ihm nicht versprochen. Es ist die Aufgabe aller Bundesräte, sich um sämtliche Geschäfte zu kümmern. Allerdings gehe ich nicht in den Bundesrat, um Landwirtschaftspolitik zu machen.
Was ist Ihre Aufgabe?
Als Vertreter einer Stadt will ich urbane Themen in die Regierung bringen. Dazu gehören Migration, Innovation und Forschung, Exportwirtschaft und Kultur. Beruflich habe ich mich nun drei Jahre intensiv mit Lösungen in diesen Bereichen befasst. Dass ich ursprünglich eine Landwirtschaftslehre absolvierte, hilft mir, Brücken zwischen Stadt und Land zu bauen.
Stört es Sie, dass die Landwirtschaft derart im Fokus ist?
Das Thema wird gar hoch gehängt. Am Donnerstag war ich beim Frauendachverband Alliance f. Darüber hat niemand berichtet. Dabei ist die Gleichstellungsfrage in den Städten virulent – und beschäftigt auch meine Töchter sehr.
Das Gleichstellungsbüro ist im frei werdenden Innendepartement angesiedelt. Was wollen Sie einbringen?
Ich würde das Büro für die Gleichstellung zu einem Bundesamt aufwerten. Die Schweiz muss die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorantreiben – das ist auch im Hinblick auf den Fach- und Arbeitskräftemangel zentral.
Der Bund muss mehr Geld investieren?
Der Bund muss den Kantonen helfen, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um mehr in die Kinderbetreuung zu investieren. Die Finanzierungsfrage stellt sich auch, klar. Wichtig ist ein Perspektivenwechsel: Es ist eine Investition in die Zukunft. In Basel haben wir grosse Schritte vorwärts gemacht und sind überzeugt, dass sich das für alle Seiten lohnt. Nicht zuletzt wird es auch mehr Steuereinnahmen bringen.
Wo hinken wir bei der Gleichstellung weiter hinterher?
Bei der Förderung von Frauen in Ämtern und Gremien. Gerade in den obersten Chargen erzielen wir mit gemischten Teams bessere Ergebnisse.
Wie kommen wir dahin?
Persönlich habe ich gute Erfahrungen mit Quoten gemacht, in Basel gibt es eine solche. Als ich als Verwaltungsrat der Industriellen Werke Basel begann, war das ein reines Männergremium. Nach zehn Jahren war das Team durchmischt und die Qualität der Arbeit hat sich eindeutig zugunsten des Unternehmens verbessert.
Sie sagten einmal, es gehe Ihnen in der Politik um das Schicksal der einfachen Leute. Was wollen Sie als Bundesrat für sie tun?
Die Leute mit tiefen und mittleren Einkommen beschäftigt aktuell die sinkende Kaufkraft. Die Krankenkassenprämien und die Mieten steigen. Gleichzeitig steuert die Altersvorsorge auf grosse Verluste zu. Das sind wichtige Themen, die wir jetzt anpacken müssen.
Als Vorsteher des Innendepartements müssten Sie die Ablehnung der 13. AHV-Rente sowie zusätzlicher Prämienverbilligungen vertreten. Entspricht Ihnen das?
Es gehört sicher nicht zu den schönen Seiten, als Bundesrat gegen die eigene Partei anzutreten. Aber Bundesrat ist kein Schönwetterjob. Entscheidend ist, nach getaner Abstimmung vorwärtszublicken und gemeinsam an den Zielen zu arbeiten, um einerseits die Altersvorsorge zu sichern und andererseits allen Menschen den Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.
Was ist Ihr Rezept für eine stabile AHV: Mehr Steuern oder länger arbeiten?
Der sozialste Weg geht über Steuern. In Basel sehen wir das bei den Kopfprämien im Gesundheitswesen. Da kommen wir an Grenzen, für viele Leute sind sie eine grosse Belastung. Über Steuern lässt sich das Gesundheitswesen sozialer finanzieren, weil Gutverdienende mehr dazu beitragen.
Die Kopfprämie abschaffen?
Ja. Oder mit Instrumenten ergänzen, die einkommensabhängig sind. Beispielsweise finde ich einkommensabhängige Franchisen prüfenswert.
Länger arbeiten, um die AHV zu sichern, ist kein Thema?
Die Erhöhung des Frauenrentenalters war ein grosser Schritt. Für alle weiteren bräuchte es auch eine klare Verbesserung der ersten Säule, der AHV. Ich vermute, dass eine generelle Erhöhung im Parlament keine Mehrheiten findet. Wohingegen eine weitere Flexibilisierung für längeres Arbeiten richtig ist: Ich stelle fest, dass viele Menschen länger arbeiten wollen. Erst heute Morgen habe ich zwei Mitarbeitenden den Arbeitsvertrag über das reguläre Rentenalter hinaus verlängert.
Auch angesichts des Fachkräftemangels machte das längere Arbeiten Sinn.
Für gewisse Menschen, ja. Das Rentenalter für alle zu erhöhen, finde ich aber falsch. Mein Vater beispielsweise, der immer auf Baustellen arbeitete, hatte bei der Pensionierung schlicht die Kraft nicht mehr. Da wäre es falsch gewesen, ihn länger zum Arbeiten zu verpflichten. Er hat der Pensionierung entgegengefiebert und dann leider nicht mehr lange gelebt.
Was ist denn Ihr Rezept für tiefere Gesundheitskosten?
Es gibt drei Stossrichtungen und ganz viele Handlungsfelder. Erstens Gesundheitsprävention stärken, die Fehlanreize eliminieren, die unnötige Kosten verursachen, und auch neue Finanzierungsmöglichkeiten suchen, um kleine und mittlere Einkommen zu unterstützen.
Haben wir in der Gesundheit künftig ein Kosten- oder Versorgungsproblem?
Beides ist ein Thema. Wir müssen das Gesundheitspersonal stärken, damit die Pflegefachleute ihre Arbeit wieder gerne machen. Gleichzeitig haben wir gerade im Spitalbereich offenbar zu hohe Kapazitäten, wenn ich lese, dass das Kantonsspital Baselland zu wenige Patienten hat. Wir müssen die Zusammenarbeit der Kantone stärken, um die Spitalversorgung überregional zu planen.
Sie wollen Spitäler schliessen?
Ich kann das zu wenig beurteilen. Wenn aber ein zentral gelegenes Spital mit Versorgungsauftrag schliessen muss, weil Privatspitäler ihm die Patienten abluchsen, haben wir eine chaotische Entwicklung, die es zu verhindern gilt.
Sie sprachen von Innovation und Exporten, für beides steht die Pharmaindustrie. Der aktuelle Gesundheitsminister, Alain Berset, hat auf die Medikamentenpreise gedrückt, aber nicht in aller Konsequenz. Müssen die Preise weiter purzeln?
Für die Menschen ist es entscheidend, dass die Medikamente bezahlbar sind. Das muss der Gesundheitsminister der Pharmaindustrie klarmachen. Durch das, dass ich ein gewisses Vertrauen in der Branche geniesse, weil ich als Basler Regierungspräsident viel mit Roche und Novartis zu tun habe, können wir auch neue Wege testen.
Die Situation ist ziemlich verfahren.
Im Gesundheitswesen sieht man vor allem Schuldzuweisungen und wenig Bereitschaft, selbst etwas zur Lösung beizutragen. Vielleicht hätte ich gerade zu Beginn eine Chance, Vertrauen zu schaffen, die Interessengruppen an den Tisch zu holen und neue Ansätze zu prüfen. Das wäre mein Anspruch: zu vermitteln und so eine Lösung zu suchen. Vermitteln liegt mir – fast mehr als die Nationalratsrolle, in der man oft auch polarisieren muss.
Ist das der Unterschied zwischen Regierungsrat Jans und Nationalrat Jans: dass er jetzt vermitteln darf und nicht mehr streiten muss?
Genau. Als Regierungspräsident habe ich den Anspruch, dass wir mehrheitsfähige Lösungen finden. Das ist eine sehr spannende Aufgabe. Ich habe in den letzten Jahren viel dazugelernt.
Haben Sie ein Beispiel, was Exekutiverfahrung ausmacht?
Exekutiverfahrung heisst, mit den Interessengruppen und Parteien im Gespräch zu sein, sie vorzeitig einzubeziehen, um den Kompromiss auszuloten. Hier in Basel habe ich bei der Volksinitiative «Basel baut Zukunft», bei der es um Transformationsareale geht, lange zwischen Initianten des sozialen Wohnungsbaus und Investoren vermittelt und schliesslich einen Kompromiss aufzeigen können.
Wie regieren Sie? Gibt es eine Methode Jans?
Ich bin sehr geduldig und lasse nicht locker, bis es eine Lösung gibt. Und manchmal muss man auch durchgreifen. Das hätte ich mir gewünscht im EU-Dossier: Dort hätte der Bundesrat stärker dafür sorgen müssen, dass die Sozialpartner eine Lösung finden.
Unterstützen Sie die roten Linien der Gewerkschaften zum Lohnschutz?
Rote Linien sind der falsche Ansatz. Am Schluss muss das Gesamtpaket stimmen. Der Lohnschutz ist aber entscheidend dafür, ob das Paket mehrheitsfähig ist. Das Paket darf das Lohnniveau in der Schweiz nicht gefährden. Eine Lösung ist möglich. Wir haben ein grosses Interesse an der Zusammenarbeit mit der EU und dem Zugang zum Binnenmarkt. Hier im trinationalen Raum Basel sehen wir täglich, wie wichtig es ist, mit den Nachbarländern gut zusammenzuarbeiten.
Ein EU-Beitritt ist für Sie kein Thema?
Ich kann mir vorstellen, dass wir irgendwann auch mitreden und mitentscheiden wollen. Aber derzeit gibt es in der Schweiz keine Mehrheit dafür, das ist mir völlig klar. Jetzt geht es darum, die bilateralen Verträge in die Zukunft zu führen.
Brauchen wir mehr Ausgaben für die Armee? Oder einen Nato-Beitritt?
Einen Nato-Beitritt lehne ich ab, damit würde die Schweiz ihre Neutralität aufgeben. Eine Annäherung ist aber sinnvoll. Damit könnten wir unser Land deutlich besser schützen. Ich stelle mich übrigens nicht gegen die zusätzlichen Mittel für die Armee – das ist beschlossene Sache. Das Geld muss aber so eingesetzt werden, dass die Schweiz besser geschützt ist. Das geht am besten über eine gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern.
Der Bund steuert auf grosse Defizite zu. Wo soll der Bund sparen?
Es ist immer schwierig, einen Sozialdemokraten zu fragen, wo er sparen soll. (Lacht.)
Oder müssen wir Steuern erhöhen?
Bei mir im Departement habe ich allen gesagt: Wenn jemand mehr Stellen oder Geld beantragt, muss er mir klar aufzeigen, dass es nicht anders geht. Beim Bund hätte ich es richtig gefunden, wenn man die zusätzlichen Armeeausgaben aus der Schuldenbremse herausgenommen hätte. Es ist eine Krisenintervention. Ich finde es falsch, dass deswegen bei der internationalen Zusammenarbeit und der Landwirtschaft gespart werden soll. Mit einer vernünftigen Finanzpolitik sollte man auch bereit sein, in Krisen die notwendigen Mittel freizumachen. Ein Staat darf manchmal mehr Geld ausgeben.
Da würden Sie sich mit Finanzministerin Keller-Sutter anlegen.
(Lacht.) Es ist mir klar, dass diese Haltung im Moment im Bundesrat nicht mehrheitsfähig ist. Aber es darf ja auch eine andere Optik eingebracht werden.
Ihr Konkurrent Jon Pult sagt, er sei mit seinen 39 Jahren nah bei der ganz jungen Generation. Würden Sie gewählt, wären im Bundesrat alle zwischen 56 und 64 Jahre alt. Finden Sie das gut?
Ich bin sehr nah bei den Jungen, meine Kinder gehören der Generation Z an und ich diskutiere viel mit ihnen und ihren Freunden. Als Vater bringe ich eine zusätzliche wertvolle Erfahrung mit. Das finde ich wichtiger als das Alter.
Was bringt die Erfahrung als Vater für Vorteile?
Erstens macht sie einen geduldig (lacht). Zweitens lernt man die Bedürfnisse der jungen Generation kennen. Wir müssen sie verstehen, wenn wir für sie Politik machen. Gleichstellung und Klima sind riesige Themen bei ihnen. Meine Töchter sagen stets: «Papi, mach mol öppis!» (Lacht.) Sehr beunruhigend ist die Zunahme der psychischen Probleme dieser Generation, vor allem bei den jungen Frauen. Das erlebe ich auch im Umfeld meiner Kinder. Da müssen wir stärker den Fokus darauf richten.
Ihnen haftet der Ruf an, gutgläubig zu sein. Was entgegnen Sie darauf?
Ich habe einen positiven Zugang zu den anderen Menschen. Aber wenn es sein muss, kann ich auch hart verhandeln. Ich glaube, meine Mitarbeitenden arbeiten sehr gern mit mir, aber sie wissen auch: Sie müssen leisten.
Was sind die zwei wichtigsten politischen Hebel, um die Schweiz in die Zukunft zu bringen?
Ich würde mich erstens stark für eine Lösung mit der EU einsetzen. Zweitens würde ich mich sehr dafür engagieren, dass wir bei der Kaufkraft für die Menschen Fortschritte machen oder zumindest die Rückschritte der letzten Jahre korrigieren können. Als Umweltnaturwissenschafter sind mir zudem Klima und Umwelt sehr wichtig. Ich bin überzeugt: Die Schweiz könnte enorm profitieren, wenn sie vorangeht. Hier könnte ich viel positive Energie und Erfahrung mitbringen. (aargauerzeitung.ch)