Können sich Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge nicht über die Impfung ihrer Kinder gegen Masern einigen, muss ein Gericht oder die Kindesschutzbehörde entscheiden. Die Richtschnur dafür sind die Empfehlungen des BAG. Dies hat das Bundesgericht entschieden.
Die möglichen, schweren Komplikationen bei einer Masernerkrankung lassen eine Pattsituation unter Eltern bei der Frage der Impfung nicht zu. Zu diesem Schluss kommt das Bundesgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil.
Es bedürfe keiner bereits vorhandenen Gefahr für die Gesundheit des Kindes, damit eine Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) oder ein Gericht bei Uneinigkeit der Eltern entscheiden müsse. Es reiche die ernstliche Möglichkeit einer körperlichen Beeinträchtigung des Kindes. Der gesetzliche Kindesschutz sei eine präventive Massnahme, schreibt das Bundesgericht.
Deshalb sei ein Entscheid der zuständigen Behörde im Sinne von Artikel 307 des Zivilgesetzbuches zulässig, um mit geeigneten Massnahmen eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Dieser Artikel kommt zum Zug, wenn Eltern nicht willens oder ausserstande sind, selbst zu handeln.
Die für den Entscheid zuständige Behörde muss sich als Richtschnur an die Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zur Masernimpfung halten. Sind Kontraindikationen für eine Impfung vorhanden, darf die Behörde von den Empfehlungen abweichen.
Das Eingreifen der Behörde ist im Fall von Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge bei Uneinigkeit und gleichzeitiger Gefährdung des Kindeswohls notwendig, weil kein Elternteil einen Vorrang hat bei grundlegenden Entscheidungen für das Kind.
Das Bundesgericht führt weiter aus, ein von den Eltern gemeinsam gefällter Entscheid, das Kind nicht gegen Masern zu impfen, sei von den Behörden zu respektieren. Dies ergebe sich aus der Grundüberzeugung, dass die Autonomie der Eltern in Bezug auf alle Kinderbelange gegenüber staatlichen Interventionen den Vorrang haben.
Im vorliegenden Fall war sich ein getrennt lebendes Paar nicht einig darüber, ob die drei minderjährigen Kinder gegen Masern geimpft werden sollen. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens verlangte der Vater der Kinder, die Mutter sei zu verpflichten, die Kinder impfen zu lassen. Der Antrag wurde von den kantonalen Instanzen jedoch abgewiesen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde des Vaters teilweise gutgeheissen. Der Fall geht nun ans Kantonsgericht zurück. Dieses muss prüfen, ob es bei den Kindern Befunde gibt, die gegen eine Impfung sprechen. (Urteil 5A_789/2019 vom 16.6.2020) (sda)
Ich würd' jetzt auch nicht immer alles impfen lassen. Aber eine Risikoabwägung (vielleicht sogar mit Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Nutzen) lässt für mich keinen anderen Schluss zu: Krankheiten, die potenziell schwere Verläufe haben und wo ein wirksamer Impfstoff seit Langem existiert, sind zu Impfen.