Die Welt ist kompliziert geworden und überfordert uns über weite Strecken. Es gibt kaum mehr einfache Lösungen. In der Politik nicht, im Wirtschaftsleben nicht. Kommt hinzu, dass das soziale Gefüge zunehmend auseinander bricht. Globalisierung und Individualisierung führen zu einer grossen Anspruchshaltung und zu egoistischen Tendenzen.
Die Verunsicherung fördert ein diffuses Misstrauen gegenüber Autoritäten: gegenüber den politischen Kasten, den Behörden, den Wissenschaften und vor allem gegenüber der Medizin. Das Resultat ist verheerend: Entsolidarisierung, Populismus, Wutbürger, Protestwähler, Abschottung, Rechtsrutsch, verbunden mit dem Ruf nach starken Führern.
Brexit, Trump, Erdogan, Putin, Orban usw. sind Ausdruck dieser Entwicklung. Diese ist der Nährboden, auf dem Aberglauben und Verschwörungstheorien prächtig gedeihen. Im weitesten Sinn ist auch der Vormarsch der Islamisten Teil dieses unheimlichen Phänomens.
Zum Rudel der Wutbürger, Protestierenden und Unzufriedenen gehören auch die Impfkritiker. Der junge Schweizer, der kürzlich an Masern gestorben ist, hat die Impfkritiker in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt.
Erfolg hat die Lobbygruppe ausgerechnet beim Pflegepersonal. So liessen sich im vergangenen Herbst keine 20 Prozent der Pflegefachpersonen gegen Grippe impfen. Rund 80 Prozent nahmen also das Risiko in Kauf, ohnehin geschwächte Patienten anzustecken und allenfalls einer Todesgefahr auszusetzen.
Die Gründe für die Impfverweigerung sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielen aber die radikalen Impfgegner, die mit ihren fragwürdigen Theorien Ängste in der Bevölkerung verbreiten. Sie sind gut vernetzt, viele stammen aus der Esoterikszene, bevorzugen Alternativmedizin oder gehören zu den Verschwörungstheoretikern.
Diese Allianz verteufelt die Impfungen und verharmlost Krankheiten. Vor allem verbindet sie ein generelles Misstrauen gegen die Pharmaindustrie und Schulmedizin. Ihr Impetus zeigt pseudoreligiöse Tendenzen. Es ist denn auch kein Zufall, dass etliche Sekten mit ihrer grundsätzlichen Systemkritik das Impfen als Teufelszeug brandmarken.
In der Impfkritik verbindet sich das Irrationale mit dem Aberglauben. Das Impfen markierte einer der grössten medizinischen Durchbrüche; die Sterblichkeitsraten sanken drastisch, und die Lebenserwartung stieg markant.
Zu den Impfkritikern gehören primär radikale Esoteriker und Anhänger der Alternativmedizin. Für sie ist alles, was nicht aus Naturprodukten hergestellt wird, verdächtig. Stammt es gar von der «geldgierigen Pharmaindustrie», laufen noch so vernünftige Argumente ins Leere.
Diese Kreise veranstalten gern Masernpartys, damit sich ihre Kinder gegenseitig anstecken und auf «natürliche Weise» immun werden. Dass es gelegentlich zu schweren Komplikationen kommt, kümmert die «Gläubigen» erst, wenn sie ihre Kinder leiden sehen.
Das wichtigste Argument übergehen die Impfkritiker locker: Impfen ist ein Akt der Solidarität. Bei einer Durchimpfrate von etwa 95 Prozent lassen sich impfbare Krankheiten ausrotten. Damit würde ein weltweites Leiden ein Ende haben. In der Schweiz sind wir noch ein Stück weit von dieser Rate entfernt.
Impfkritiker offenbaren damit einen Egoismus und eine Intoleranz, wie ich sie bei vielen Esoterikern beobachte. Bei ihnen steht die eigene spirituelle Entwicklung an erster respektive höchster Stelle. Sie lassen sich durch nichts davon abbringen, das «höhere Selbst» zu erreichen, also einen gottähnlichen Zustand.
Immer wieder brechen Ehen und Familien auseinander, weil der eine Partner die eigene Erleuchtung als erstes Lebensziel erachtet. Passt sich der andere nicht an, kommt es aus pseudoreligiösen Gründen zur Trennung.
Ähnlich rücksichtslose Verhaltensweisen lassen sich auch bei radikalen Impfkritikern beobachten. Manche behaupten gar, geheime Mächte würden das Impfen benutzen, um die Menschen zu manipulieren. Oder gar zu dezimieren. Denn sie bestreiten, dass impfbare Krankheiten durch Erreger ausgelöst werden.
Wenn wir Masern und Kinderlähmung ausrotten wollen, müssen wir zuerst den Aberglauben bekämpfen. Leider gibt es keine Impfung gegen Dummheit und Irrglauben.
Ich habe unsere Kinder gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft. Einerseits weil ich sie vor der Krankheit bewahren wollte (für's Immunsystem gibt es genügend sonstige Übungsfelder) und andererseits um, wie im Artikel beschrieben, andere immungeschwächte Personen vor einer schweren Krankheit zu bewahren.
So tragisch Einzelfaelle von problematischen Nebenwirkungen bei Impfungen auch sein moegen, sie haben NULL statistische Aussagekraft.
Eigentlich sollte man so weit gehen, dass Kindergaerten und Schulen keine ungeimpften Kinder aufnehmen duerften.