Es gibt diese Was-wäre-wenn-Fragen, die sich in einem bestimmten Alter und in einem bestimmten Bewusstseinszustand manche von uns schon gestellt haben. Zum Beispiel: Was wäre, wenn man kurz vor dem Boarding das Wort «Bombe» in den Mund nimmt?
Ein junger Mann aus Basel schritt im Mai 2017 vom Gedanken zur Tat. Nicht am Flughafen, sondern um 2.20 Uhr in einem Nachtbus von Basel nach Birsfelden. In einem Telefongespräch erwähnte er lautstark die Worte Giftgas und Sprengstoff. «Das ziehen wir in drei Wochen durch!» soll er laut Anklage in einem orientalischen Akzent gesagt haben. Eine junge Frau wurde aufmerksam, kriegte es mit der Angst zu tun und informierte anschliessend die Polizei.
Nur: Das Telefonat war gespielt, der vermeintliche Terrorist ein 27-Jähriger Mann, der offenbar an den Nachwirkungen eines Schlaganfalls leidet. «Wenn er übermüdet ist, äussert er sich oft unkontrolliert und führt Selbstgespräche», sagte die Verteidigerin Nuray Ates während des Prozesses.
Die Polizei aber setzte nach dem Anruf der jungen Frau alle Hebel in Bewegung.
Zehn Tage später zeigte die grossangelegte Fahndung Resultate. Ermittlungen führten die Ermittler auf die Spur des jungen Mannes, anschliessend wurden in Basel-Land und Solothurn Hausdurchsuchungen durchgeführt. Ein Sturm im Wasserglas, sagt Verteidigerin Ates dazu. «Die Überwachungsaufnahmen des Busses zeigten klar und deutlich, dass keiner der anderen Passagiere Notiz nahm von dem Gespräch, niemand reagierte verängstigt, nicht einmal die Frau, die später Anzeige erstattete».
Die Staatsanwaltschaft stellte die Untersuchung wegen strafbarer Vorbereitungshandlung später ein und klagte den Mann wegen Schreckung der Bevölkerung an.
Das Basler Strafgericht befand den 27-Jährigen am Montag für schuldfähig und verurteilte ihn bloss wegen Versuchs der Schreckung der Bevölkerung zu einer bedingten Geldstrafe in der Höhe von 150 Tagessätzen zu 20 Franken.
Viel schwerer als der Schuldspruch wegen Schreckung der Bevölkerung wiegt für den 27-Jährigen aber, dass er die Verfahrenskosten tragen muss: Das sind knapp 100'000 Franken, die sich aus der grossangelegten Fahndung mit Telefon-Ermittlungen, Hausdurchsuchungen und dabei begangenen Sachschäden ergeben. Ein Betrag, die der junge Mann, der eine Invalidenrente bezieht und eine Detailhandelslehre beginnen will, kaum je bezahlen kann.
Strafrechtsexperte Viktor Györffy, der betont, den Fall nur aus der Distanz beurteilen zu können, spricht von einem «bemerkenswerten und gleichzeitig typischen Fall».
Warum typisch? «Sobald der Verdacht des Terrorismus im Raum steht, wird jegliche Verhältnismässigkeit ausser Acht gelassen», sagt Györffy. Anstatt eine Riesenübung vom Zaun zu brechen, hätte die Polizei gut daran getan, den Fall nüchtern zu untersuchen. Spätestens nach Durchsicht der Videoaufnahmen hätte man feststellen müssen, dass es sich hier nicht um einen Terroristen, sondern um einen verwirrten Mann handle.
Das sieht Anwalt Marcel Bosonnet ähnlich: Der Vorfall zeige in erschreckender Weise, dass es den Strafverfolgungsbehörden bereits bei vagen Hinweisen auf ein Gewaltdelikt am erforderlichen Augenmass und an Gelassenheit mangle, so Bosonnet. «In diesen Fällen wird mit schwerstem Geschütz auf Spatzen geschossen.»
Dem widerspricht die zuständige Richterin Dorrit Schleiminger gegenüber watson: Eine Terrorandrohung müsse ernst genommen. «Stellen Sie sich den umgekehrten Fall vor, es wäre als Scherz abgetan worden und der Täter hätte die angedrohte Tat verwirklicht.»
Györffy bezweifelt, dass der riesige Aufwand gerechtfertigt war. «Spätestens dann, als man den Vorwurf der strafbaren Vorbereitungshandlungen fallen liess, gab es keine Grundlage mehr, um ihm die Kosten der ganzen Polizeiübung aufzubürden.»
Auch Bosonnet, der mit «Carlos» in den 70er-Jahren einst einen «richtigen» Terroristen verteidigte, hält ebenfalls fest: «Die Tatsache, dass letztlich dem Beschuldigten die gesamten Kosten der Polizei aufgebürdet werden, ist völlig unverhältnismässig.»
Die Frage der Verhältnismässigkeit bei Verfahrenskosten ist in der Rechtsprechung offenbar nicht restlos geklärt. Das wissenschaftliche Standardwerk zu dieser Frage von Irene Arnold postuliert, dass dem Angeklagten nur ein Teil der Kosten auferlegt werden könne, wenn der Ermittlungsaufwand in keinem Verhältnis zum Delikt steht.
Richterin Scheliminger hält fest: «Die Verlegung der Kosten richtet sich nach dem Grundsatz, wonach Kosten zu tragen hat, wer sie verursacht.» Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit sei stets zu beachten. In den Fällen von Sicherheitsdrohungen und Schrecken der Bevölkerung sei es aber gerade typisch, dass diese den Einsatz von Sicherheitskräften zur Folge hätten, Sicherheitsdispositive zu befolgen seien und hohe Kosten entstünden.
Wie sich die Verfahrenskosten genau zusammenstellen, will das Strafgericht Basel nicht kommentieren, es seien aber nicht nur reine Ermittlungskosten, sondern auch sicherheitspolizeiliche Massnahmen. Expliziter will das Gericht nicht werden, dass es sich bei den Rechnungen um Aktenbestandteile handle, die nicht herausgegeben würden.
Vom ursprünglichen Tatvorwurf ist kaum etwas übrig geblieben. Dafür, so Györffy, stünden die enormen, «existenzvernichtenden» Kosten nun umso mehr im Vordergrund. «In so einem Fall besteht die Tätigkeit der Richterin nicht zuletzt darin, den aus der Untersuchung resultierenden Scherbenhaufen zusammenzukehren. Und der ist nun beim Angeschuldigten abgeladen worden.»
Einer Berufung gibt der Strafrechtsexperte gute Chancen: «Es wird schwierig, den Schuldspruch tragfähig zu begründen.» Verteidigerin Ates sagt, sie überlege sich, den Fall ans Appellationsgericht weiterzuziehen, falls einem Kostenerlassungsgesuch nicht stattgegeben werde.
(wst)