Der Verein «Klimaseniorinnen», das sind 384 Frauen im AHV-Alter, hat am Dienstag eine Klage gegen den Bundesrat eingereicht. Die bekanntesten Exponentinnen des Vereins sind Politaktivistin Elisabeth Joris, Ex-SP-Präsidentin Christiane Brunner und Judith Giovannelli-Blocher, Schwester von Christoph Blocher.
Die Klimaseniorinnen begründen die erste Schweizer Klimaklage damit, dass die aktuelle und geplante Klimagesetzgebung ihr verfassungsmässiges Grundrecht auf Leben und Gesundheit verletze.
Weil ältere Menschen, besonders Frauen, körperlich unter den Folgen des Klimawandels leiden würden, sehen die Klägerinnen Verfassungsartikel 74 verletzt, wonach der Bund den Menschen und seine natürliche Umwelt vor «schädlichen oder lästigen Einwirkungen» schützen muss.
Die Klimaseniorinnen fordern deshalb vom Bund, die Treibhausgasemmissionen bis 2020 stärker zu senken, als im aktuellen Massnahmenkatalog vorgesehen.
In ihrem 150-seitigen Gesuch stellt der Verein eine Reihe von Forderungen auf, darunter eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffen, ein forciertes Gebäudesanierungsprogramm, genaue Emissionskontrollen bei Neuwagen und griffige Klimavorschriften in der Landwirtschaft.
Es gibt keine Zweifel mehr, dass der Mensch für den Klimawandel mitverantwortlich ist. «Eindeutig ist auch, dass die Welt derzeit Emissionen aus fossilen Energien zu wenig reduziert, um das erklärte politische Ziel im neuen Pariser Klimaabkommen zu erreichen», sagte Reto Knutti, ETH-Professor und leitender Autor beim UNO-Weltklimarat IPCC im Juni gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Die Klimaforschung schätzt ein, wie viel Treibhausgase noch in die Atmosphäre ausgestossen werden dürfen, um das Klimaziel zu erreichen. Rund zwei Drittel dieses Emissionsbudgets sind bereits aufgebraucht.
Die Umwelt-Rechtsexpertinnen Cordelia Bähr und Ursula Brunner sehen die Pflicht des Bundes, für die Gesundheit der Bürger zu sorgen, mit der aktuellen Klimapolitik verletzt. Das schreiben sie in einer juristischen Fachzeitschrift «Aktuelle Juristische Praxis». Auch Markus Kern, Oberassistent am Institut für Europarecht an der Universität Freiburg, hält die Anklage nicht für verfehlt.
Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» äussert er allerdings Zweifel, dass sie vor Gericht reüssieren wird. Denn der Staat habe einen grossen Ermessensspielraum, wie er die Schutzpflicht im Bereich des Klimawandels umsetzen wolle. Ausserdem verpflichte die Bundesverfassung den Staat nicht, ein Nullrisiko zu garantieren.
Der Gang vor Gericht ist aber ohnehin nicht das eigentliche Ziel der Klimaseniorinnen. Sie hoffen, dass bereits der Bundesrat und mit ihm die Bundesverwaltung ihre Anliegen aufnehmen werden – auch im Hinblick auf das Klimaziel 2030, das politisch derzeit verhandelt wird.
Die Klimaseniorinnen wenden sich mit ihrer Klage zunächst an die Bundesverwaltung und erzwingen damit vom Bund eine Reaktion: Die Bundesverwaltung muss nun mittels Erlass einer Verfügung auf das Gesuch eingehen. Eine solche Verfügung ist vor Bundesverwaltungsgericht anfechtbar.
Klimaklage von 459 Seniorinnen beim UVEK eingereicht! pic.twitter.com/7QFVAhLlie
— KlimaSeniorinnen (@KlimaSeniorin) 25. Oktober 2016
Letzte Instanz wäre das Bundesgericht. Da sich die Klägerinnen zudem auf die Europäische Menschenrechtskonvention berufen, ist auch ein Gang an den Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg eine Option. (dwi)