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Spardruck: Augenpatienten müssen auf bewährte Therapie verzichten

Augenoperation
Seit dem 1. Januar können Betroffene nicht mehr frei über die beste Therapie des grünen Stars entscheiden.Bild: Shutterstock

Spardruck: Augenpatienten müssen auf bewährte Therapie verzichten

Ein Streit zwischen den Behörden und den Augenärztinnen macht hellhörig: Führt der steigende Spardruck im Gesundheitswesen zu Abstrichen in der Qualität der Behandlung?
31.01.2024, 15:53
Anna Wanner / ch media
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Eingeschränkte Sicht und blinde Flecken: Wer an grünem Star erkrankt, findet heute Hilfe bei Fachspezialisten. Doch die Augenärzte in der Schweiz sind seit dem 1. Januar in der Behandlung ihrer Patienten eingeschränkt: Sie können nicht mehr frei über die beste Therapie des Glaukoms (grüner Star) entscheiden. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat nämlich verfügt, dass die minimalinvasive Glaukomchirurgie (Migs) nicht mehr über die Krankenkasse abgerechnet werden darf.

Bei dem Eingriff wird der Innendruck im Auge gesenkt und ein Mini-Implantat eingesetzt. Es ist die eine Alternative zu Augentropfen und konventioneller Operation, die gemäss Experten gute Wirkung erzielt und ohne grosse Komplikationen auskommt. Sie sei allerdings teurer.

Der Ausschluss von der Kassenpflicht bedeutet nun, dass die Therapie für viele Patientinnen und Patienten nicht mehr verfügbar ist. Die Augenärzte zeigen wenig Verständnis für den Entscheid. Einerseits weil das BAG ohne Rücksprache mit den entsprechenden Fachgesellschaften verfügte, was die Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft (SOG) kritisiert.

Und zweitens weil nun die «moderne und viel weniger traumatische Operation» des grünen Stars alleine Privatpatienten vorbehalten bleibt, wie ein verärgerter Augenarzt aus der Zentralschweiz schreibt. Also nur jenen, die es sich noch leisten können.

Kein Vertrauen in wissenschaftlichen Studien

Das BAG verteidigt das Vorgehen auf Anfrage. «Die Entscheidung zur Aufnahme von Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung liegt beim Eidgenössischen Departement des Innern (EDI), nicht beim BAG», schreibt eine Sprecherin.

Zum Entscheid hält sie fest: Die minimalinvasive Glaukom-Chirurgie wurde genauer überprüft. Das EDI lehnte den Antrag auf Kostenübernahme ab, weil die Evidenz der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit als unzureichend beurteilt wurde. Es sind dies aber zwingende Kriterien für die Aufnahme auf die Spezialitätenliste, auf der alle kassenpflichtigen Leistungen geführt sind.

Augenoperation
Die minimalinvasive Glaukomchirurgie (Migs) darf nicht mehr über die Krankenkasse abgerechnet werden. (Symbolbild)Bild: Shutterstock

Das BAG erklärt, für die Ablehnung der Kostenübernahme seien mehrere Gründe ausschlaggebend. Dazu zählt die unzureichende Qualität der vorhandenen wissenschaftlichen Studien genauso wie die Tatsache, dass Studien zur langfristigen Wirksamkeit fehlen. So könne heute nicht beurteilt werden, ob eine zweite Operation notwendig sei oder in der Folge Komplikationen auftreten. Das wiederum erschwere die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit.

Leidet die Qualität am steigenden Spardruck?

Das können die Augenärzte so nicht stehen lassen. Noch vor Weihnachten verschickte die Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft einen Beschwerdebrief an das BAG. Für sie bleibt die Begründung nicht nachvollziehbar. Es sei schlicht falsch, dass es keine Studien gebe, welche den Vorteil dieser Operationstechnik beweisen. Die Motivation des BAG bleibe darum völlig im Dunkeln.

Vermutet wird vielmehr die Hoffnung auf einen Spareffekt. Für viele Augenärzte ist auch das nicht nachvollziehbar. Gerade wenn das Augenlicht von Patienten auf dem Spiel stehe. Genährt wird der Eindruck eines reinen Kostenentscheid offenbar von einer zweiten Absage. Das BAG lehnte es ab, ein neues Präparat zur Senkung des Innendrucks im Auge (Rhokinasehemmers) auf die Spezialitätenliste aufzunehmen.

Für das BAG ist die Angelegenheit halb so wild. Es verweist auf die Möglichkeit, «jederzeit» einen neuen Antrag auf Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenversicherung zu stellen. Es müssten allerdings die Aspekte der fehlenden wissenschaftlichen Studien adressiert werden.

Die Augenärztinnen und Augenärzte bewerten den Entscheid anders: Es sei dies «ein weiterer Eingriff in die medizinische Entscheidungshoheit und geht als Präjudiz weit über die Thematik der Migs hinaus». Die SOG wird den Rechtsweg beschreiten, um eine Einschränkung in der Therapiefreiheit zu unterbinden. (aargauerzeitung.ch)

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Amadeus75
31.01.2024 17:17registriert September 2015
Aus dem Text:

..."Das EDI lehnte den Antrag auf Kostenübernahme ab, weil die Evidenz der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit als unzureichend beurteilt wurde."

und

"Das BAG erklärt, für die Ablehnung der Kostenübernahme seien mehrere Gründe ausschlaggebend. Dazu zählt die unzureichende Qualität der vorhandenen wissenschaftlichen Studien genauso wie die Tatsache, dass Studien zur langfristigen Wirksamkeit fehlen."

Aber bei der Homöopathie, bei welcher die Leistungen übernommen werden, sind die oben erwähnten Voraussetzungen gegeben? Wollt ihr uns verarschen oder was?
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Geff Joldblum
31.01.2024 18:51registriert August 2019
Gopfer*****, ich leide an erhöhtem Augeninnendruck, kann ich momentan noch mit Tropfen handeln, aber falls nicht, bezahlt meine KK zwar Zuckerbölleli aber keine Mini-Op oder neue Tropfen? Gehts noch?!
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frereau
31.01.2024 19:08registriert Januar 2019
Aber Homöopathie ist voll ok. Weil die Qualität der vorhandenen wissenschaftlichen Studien top ist und zig Studien zur langfristigen Wirksamkeit vorhanden sind 🙈
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