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Gesundheit

Generika: Warum ein Mindestpreis für Medikamente gefordert wird

«Tickende Zeitbombe»: Warum die Generika-Lobby einen Mindestpreis für Medikamente fordert

Der Bund senkt regelmässig die Medikamentenpreise. Dieser Mechanismus treffe bereits günstige Arzneimittel besonders hart und verschärfe die aktuellen Versorgungsengpässe, kritisiert der Verband der Nachahmerprodukte.
27.01.2024, 06:5727.01.2024, 06:57
Pascal Michel / ch media
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Das Medikament Marcoumar ist ein Blutverdünner, das in der Schweiz täglich 50'000 Patientinnen und Patienten einnehmen. Wer einmal einen Herzinfarkt erlitten hat oder an Vorhofflimmern leidet, ist auf das Mittel angewiesen, um Blutgerinnsel zu verhindern.

Im Arzneimittelregal klaffen immer öfter Lücken.
Im Arzneimittelregal klaffen immer öfter Lücken.Bild: Christian Beutler/Keystone

Eine 100er-Packung des Arzneimittels kostet in der Apotheke 19.25 Franken. Der Hersteller erhält davon 9.60 Franken, den sogenannten Fabrikabgabepreis. Pro Tablette sind das 9.6 Rappen.

Diese preiswerte Pille drückt zwar die Gesundheitskosten und schont das Portemonnaie der Patienten. Trotzdem ist das Präparat für Lucas Schalch ein eindrückliches Beispiel dafür, was an der Preisfront bei den bereits günstigen Medikamenten schiefläuft.

«In den letzten zehn Jahren hat das Bundesamt für Gesundheit den Preis für Marcoumar um mehr als 50 Prozent gesenkt. Zu diesem Preis ist kaum ein Hersteller mehr bereit, das Produkt zu liefern», sagt der Geschäftsführer des Verbands Intergenerika. Tatsächlich besteht bei Marcoumar seit vergangenem August ein Lieferengpass. Gemäss dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung ist es derzeit «beschränkt lieferbar».

Bei Engpass muss der Arzt ausweichen auf teurere Medikamente

Für Lucas Schalch besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den sinkenden Preisen und den aktuellen Versorgungslücken bei Marcoumar: «Mit seiner aktuellen Preispolitik will der Bund eigentlich die Gesundheitskosten senken. Tatsächlich treibt er die Kosten nach oben. Er senkt die Preise von bereits sehr günstigen Medikamenten stetig und provoziert somit Versorgungsengpässe», sagt Schalch. Dies zeige sich wiederum beim Herzmittel Marcoumar: Solange es nicht ausreichend lieferbar ist, bleibt den Ärzten oft nichts anderes übrig, als teurere Alternativprodukte zu verschreiben.

MARCOUMAR
Herzmedikament Marcoumar.Bild: ZVG

Die steigenden Kosten und die abnehmende Behandlungsqualität sind nicht das einzige Problem. Längerfristig könnte eine anhaltende Versorgungskrise weitreichende Folgen haben. So wächst die Liste der nicht lieferbaren Antibiotika stetig an. Da Ärzte deshalb auf Breitbandantibiotika ausweichen müssen, steigt die Gefahr von Resistenzen. Auch hier spielt der Preis eine Rolle. Daniel Roth, Chef der Pharmafirma A. Menarini, formulierte es kürzlich gegenüber CH Media so:

«Wir stehen vor einer tickenden Zeitbombe. Eigentlich brauchen wir dringend neue, gegen resistente Keime wirksame Antibiotika. Doch zahlen will dafür niemand.»

Der Mechanismus, den Schalch kritisiert, funktioniert so: Das BAG überprüft jährlich bei jedem dritten Medikament, das auf der sogenannten Spezialitätenliste steht, ob der aktuelle Preis noch gerechtfertigt ist. Alle Präparate auf der Liste bezahlen die Krankenkassen im Rahmen der obligatorischen Grundversicherung.

In einem Zyklus von drei Jahren klopfen die Beamten also jedes Medikament auf seine Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ab. Letztes Jahr hat der Bund dabei die Preise von rund 60 Prozent der analysierten Präparate um zehn Prozent nach unten korrigiert. Das soll Einsparungen von rund 120 Millionen Franken bringen.

Mindestpreise statt Kontrollen im Dreijahrestakt

Der Verband Intergenerika fordert nun eine Abkehr von diesem starren Mechanismus. Er stellt Mindestpreise für tiefpreisige Medikamente zur Debatte. Denn jedes Jahr senkt der Bund in seiner Überprüfung auch die Vergütungen für bereits eher preiswerte Medikamente. «Es muss auch einmal Schluss sein mit der Preisspirale nach unten. Damit gefährden wir unsere Versorgung», sagt Schalch.

Eine solche Preisdeckelung könnte bald möglich sein. Das Parlament diskutiert derzeit über eine differenzierte Prüfung der drei Kategorien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Kommt dieser Passus durch, bekäme der Bund mehr Spielraum. Das BAG schreibt auf Anfrage: «Es bestünde dann die Option, auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit oder eine Preissenkung von Arzneimitteln, die gewisse Kriterien erfüllen und für eine ausreichende Versorgung der Schweizer Bevölkerung relevant sind, zu verzichten», sagt Sprecherin Gabriela Giacometti. Sobald die gesetzliche Grundlage vorliegt, könnten die Kriterien festgelegt werden.

Der Bund erteilt Ausnahmen

Das Bundesamt für Gesundheit signalisiert eine gewisse Verhandlungsbereitschaft. Es anerkennt «dass bei Arzneimitteln mit bereits sehr günstigen Fabrikabgabepreisen Preissenkungen dazu führen, dass der Vertrieb für die Zulassungsinhaberin unrentabel wird». In solchen Fällen sei es sinnvoll, auf eine weitere Preissenkung zu verzichten.

«Gegenwärtig können die Zulassungsinhaberinnen in solchen Fällen beim BAG eine Ausnahme der Preissenkung beantragen. Der Antrag kann rasch und unbürokratisch mittels Brief oder Mail erfolgen.»

Für das neu von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) geleitete Amt bleibt die Preisdebatte ein Spagat. Es steht vor der Aufgabe, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu dämpfen. Und dafür setzt es bei den Herstellern von Medikamenten Preisabschläge durch. Da Preisvergleiche regelmässig zeigen, dass Generika hierzulande doppelt so viel kosten wie im Ausland, drängt das BAG auch hier auf Kostensenkungen.

Gleichzeitig möchte der Bund den Verkauf von solchen Nachahmerpräparaten fördern. Wer seit Anfang Jahr auf dem Originalmedikament beharrt, muss 40 Prozent des Preises selber bezahlen. Der Verband Intergenerika, der etwa Hersteller wie Sandoz oder Mepha vertritt, beziffert die jährliche Entlastung durch ihre Nachahmerpräparate auf 700 Millionen Franken. Das zusätzliche Potenzial liege bei weiteren 300 Millionen Franken.

Die Gesundheitsministerin steht vor einem Dilemma: Akzeptiert sie Mindestpreise für Generika, bezahlen die Prämienzahler dafür weiterhin deutlich mehr als im Ausland. Im Gegenzug, so versprechen es zumindest die Hersteller, könnte die Versorgungskrise abgemildert werden. Schlägt Baume-Schneider dagegen die Mindestpreise in den Wind, senkt sie zwar die Kosten. Derweil dreht die Preisspirale weiter nach unten - und die Liste der nicht verfügbaren Medikamente könnte länger und länger werden. (aargauerzeitung.ch)

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98 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fastadi
27.01.2024 07:17registriert September 2015
Warum rentiert der Verkauf zu günstigeren Preisen nur im Ausland? Das Produkt ist dasselbe, klar verdienen Apotheker*innen hier mehr, aber das wird ja kaum der ausschlaggebende Grund sein.
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Callao
27.01.2024 08:23registriert April 2020
Fairerweise müsste man auch erwähnen, was die jeweiligen Medikamente im Ausland kosten. Denn, sollten sie dort zum selben Preis oder gar noch günstiger angeboten werden, zieht das Argument nicht, dass Hersteller zu solchen Preisen nicht mehr produzieren wollen.
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Macca_the_Alpacca
27.01.2024 07:18registriert Oktober 2021
Ach das wäre ganz einfach. Firmen (egal welche) denken heute in Markt Organisationen MO (Länder = Märkte). In jedem Markt gilt ein anderer Preis. Wenn es nun MOs gibt in denen der Preis tiefer ist, als in der Schweiz, dann rentiert sich das für den Herstelle also noch. Man schaue sich also den tiefsten Preis an und dann ist das der neue Schweizer Preis. Und wenn es dann zu Liefergpässen kommt, würde ich den Kollegen mal ein bisschen auf die Finger hauen.
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