Das Medikament Marcoumar ist ein Blutverdünner, das in der Schweiz täglich 50'000 Patientinnen und Patienten einnehmen. Wer einmal einen Herzinfarkt erlitten hat oder an Vorhofflimmern leidet, ist auf das Mittel angewiesen, um Blutgerinnsel zu verhindern.
Eine 100er-Packung des Arzneimittels kostet in der Apotheke 19.25 Franken. Der Hersteller erhält davon 9.60 Franken, den sogenannten Fabrikabgabepreis. Pro Tablette sind das 9.6 Rappen.
Diese preiswerte Pille drückt zwar die Gesundheitskosten und schont das Portemonnaie der Patienten. Trotzdem ist das Präparat für Lucas Schalch ein eindrückliches Beispiel dafür, was an der Preisfront bei den bereits günstigen Medikamenten schiefläuft.
«In den letzten zehn Jahren hat das Bundesamt für Gesundheit den Preis für Marcoumar um mehr als 50 Prozent gesenkt. Zu diesem Preis ist kaum ein Hersteller mehr bereit, das Produkt zu liefern», sagt der Geschäftsführer des Verbands Intergenerika. Tatsächlich besteht bei Marcoumar seit vergangenem August ein Lieferengpass. Gemäss dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung ist es derzeit «beschränkt lieferbar».
Für Lucas Schalch besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den sinkenden Preisen und den aktuellen Versorgungslücken bei Marcoumar: «Mit seiner aktuellen Preispolitik will der Bund eigentlich die Gesundheitskosten senken. Tatsächlich treibt er die Kosten nach oben. Er senkt die Preise von bereits sehr günstigen Medikamenten stetig und provoziert somit Versorgungsengpässe», sagt Schalch. Dies zeige sich wiederum beim Herzmittel Marcoumar: Solange es nicht ausreichend lieferbar ist, bleibt den Ärzten oft nichts anderes übrig, als teurere Alternativprodukte zu verschreiben.
Die steigenden Kosten und die abnehmende Behandlungsqualität sind nicht das einzige Problem. Längerfristig könnte eine anhaltende Versorgungskrise weitreichende Folgen haben. So wächst die Liste der nicht lieferbaren Antibiotika stetig an. Da Ärzte deshalb auf Breitbandantibiotika ausweichen müssen, steigt die Gefahr von Resistenzen. Auch hier spielt der Preis eine Rolle. Daniel Roth, Chef der Pharmafirma A. Menarini, formulierte es kürzlich gegenüber CH Media so:
Der Mechanismus, den Schalch kritisiert, funktioniert so: Das BAG überprüft jährlich bei jedem dritten Medikament, das auf der sogenannten Spezialitätenliste steht, ob der aktuelle Preis noch gerechtfertigt ist. Alle Präparate auf der Liste bezahlen die Krankenkassen im Rahmen der obligatorischen Grundversicherung.
In einem Zyklus von drei Jahren klopfen die Beamten also jedes Medikament auf seine Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ab. Letztes Jahr hat der Bund dabei die Preise von rund 60 Prozent der analysierten Präparate um zehn Prozent nach unten korrigiert. Das soll Einsparungen von rund 120 Millionen Franken bringen.
Der Verband Intergenerika fordert nun eine Abkehr von diesem starren Mechanismus. Er stellt Mindestpreise für tiefpreisige Medikamente zur Debatte. Denn jedes Jahr senkt der Bund in seiner Überprüfung auch die Vergütungen für bereits eher preiswerte Medikamente. «Es muss auch einmal Schluss sein mit der Preisspirale nach unten. Damit gefährden wir unsere Versorgung», sagt Schalch.
Eine solche Preisdeckelung könnte bald möglich sein. Das Parlament diskutiert derzeit über eine differenzierte Prüfung der drei Kategorien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Kommt dieser Passus durch, bekäme der Bund mehr Spielraum. Das BAG schreibt auf Anfrage: «Es bestünde dann die Option, auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit oder eine Preissenkung von Arzneimitteln, die gewisse Kriterien erfüllen und für eine ausreichende Versorgung der Schweizer Bevölkerung relevant sind, zu verzichten», sagt Sprecherin Gabriela Giacometti. Sobald die gesetzliche Grundlage vorliegt, könnten die Kriterien festgelegt werden.
Das Bundesamt für Gesundheit signalisiert eine gewisse Verhandlungsbereitschaft. Es anerkennt «dass bei Arzneimitteln mit bereits sehr günstigen Fabrikabgabepreisen Preissenkungen dazu führen, dass der Vertrieb für die Zulassungsinhaberin unrentabel wird». In solchen Fällen sei es sinnvoll, auf eine weitere Preissenkung zu verzichten.
Für das neu von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) geleitete Amt bleibt die Preisdebatte ein Spagat. Es steht vor der Aufgabe, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu dämpfen. Und dafür setzt es bei den Herstellern von Medikamenten Preisabschläge durch. Da Preisvergleiche regelmässig zeigen, dass Generika hierzulande doppelt so viel kosten wie im Ausland, drängt das BAG auch hier auf Kostensenkungen.
Gleichzeitig möchte der Bund den Verkauf von solchen Nachahmerpräparaten fördern. Wer seit Anfang Jahr auf dem Originalmedikament beharrt, muss 40 Prozent des Preises selber bezahlen. Der Verband Intergenerika, der etwa Hersteller wie Sandoz oder Mepha vertritt, beziffert die jährliche Entlastung durch ihre Nachahmerpräparate auf 700 Millionen Franken. Das zusätzliche Potenzial liege bei weiteren 300 Millionen Franken.
Die Gesundheitsministerin steht vor einem Dilemma: Akzeptiert sie Mindestpreise für Generika, bezahlen die Prämienzahler dafür weiterhin deutlich mehr als im Ausland. Im Gegenzug, so versprechen es zumindest die Hersteller, könnte die Versorgungskrise abgemildert werden. Schlägt Baume-Schneider dagegen die Mindestpreise in den Wind, senkt sie zwar die Kosten. Derweil dreht die Preisspirale weiter nach unten - und die Liste der nicht verfügbaren Medikamente könnte länger und länger werden. (aargauerzeitung.ch)