Ab heute Abend ist es wieder möglich: Tanzen, trinken und dabei rhythmische Basstöne spüren. Möglich macht das der Drei-Phasen-Plan des Bundesrates, der uns allen dank optimistischen Covid-Fallzahlen bereits seit diesem Wochenende eine Liste an «Freiheiten» zurückgibt. Konkret heisst das: Ob an der Zürcher Langstrasse, im St.Galler Bermuda-Dreieck oder in der Basler Steinenvorstadt, heute dürfen Clubs, Bars und Restaurants wieder öffnen.
Eine Bedingung gibts jedoch und sie trägt den Namen «Covid-Zertifikat». Wer geimpft, getestet oder genesen ist, kann sich das von offizieller Stelle aus bestätigen lassen und kriegt dafür einen QR-Code, mit dem Einlass zu Partys oder Veranstaltungen gewährt wird. Es ist eine kleine Einschränkung, die jedoch angesichts millionenfacher Covid-Zertifikats-Erteilung vom Grossteil der Bevölkerung mitgetragen wird.
Ist damit die freiheitliche Ordnung in der Schweiz wiederhergestellt? Mitnichten. Die Sorge, die von Covid-kritischen oder verschwörungsgläubigen Kreisen kommt, ist bekannt und dürfte grundsätzlicher Natur sein. Differenzierter, aber nicht milder, kommt die Kritik von Personen, die sich mit Ethik und Grundrechten beschäftigen.
«Ich freue mich auf die Öffnungsschritte. Normalität allerdings bedeuten sie leider noch nicht – und wir wissen immer noch nicht, wann alle Menschen wieder die gleichen Freiheiten haben werden», sagt Eva Maria Belser, die als Rechtsprofessorin an der Universität Fribourg doziert und in der wissenschaftlichen Corona-Task-Force des Bundes zu rechtlichen und ethischen Fragen mitwirkt.
Belsers Äusserungen im Gespräch mit watson wirken auf den ersten Blick so, als würde sie Corona-rebellischen Kreisen zustimmen: «Es beunruhigte mich sehr, welchen Stellenwert die Grundrechte während der Pandemie hatten, und ich war sehr erfreut darüber, dass es kritische Medien gab und sogar demonstriert wurde.» Es wäre noch unheimlicher gewesen, wenn weitreichende Einschränkungen der Freiheit so ganz ohne Protest hingenommen worden wären. Sie anerkennt daran aber auch, dass die Massnahmen ja gerade zum Schutz der Freiheit ergriffen wurden: «Der Bundesrat musste durchgreifen und es beeindruckt mich rückblickend, wie der Alltag und die Wirtschaft zum Schutz der besonders gefährdeten Menschen heruntergefahren wurde.»
Ihre Kritik ziele mehr auf die Vorgehensweise ab: Schränke der Bund die Grundrechte ein, so stehe er in der besonderen Pflicht, sein Handeln zu rechtfertigen und zu erklären. Dieser Begründungspflicht sei er nicht immer genügend nachgekommen. Einige Regeln habe man nicht verstehen können. «Beim Covid-Zertifikat aber ist es klar: Möglichst alle Freiheiten sollen für möglichst alle wiederhergestellt werden. Wo Contact Tracing nicht möglich ist, stellt das Zertifikat eine Kompromisslösung dar, die verhältnismässig ist. Man muss sich ja nicht impfen lassen – man kann auch die Genesung nachweisen oder sich testen lassen. Man würde einfach noch gerne die Versicherung haben, dass die Gesellschaft auch diese Regelung nur kurz erdulden muss – denn Normalität bedeutet sie nicht.»
Unter dem Strich bleibe die Tatsache, dass nicht alle Menschen die gleichen Freiheiten haben werden – und das ist kein Zustand, den wir auf die Dauer wünschen. Im Moment aber sei es vor allem positiv zu würdigen, dass Menschen Freiheiten wiedererlangen, wo immer das ohne Gefahr für das Gesundheitssystem möglich ist. Es sei wahr, dass die Personen, die sich impfen lassen können und dies getan hätten, mit dem kleinsten Aufwand Freiheiten zurückgewinnen könnten. «Wer sich nicht impfen lassen kann oder will, muss sich vor Grossveranstaltungen und Klubbesuchen testen lassen. Es ist übertrieben, ein solches System als Einführung einer Zweiklassengesellschaft zu bezeichnen. Die Unterscheidung ist im Moment sicher gerechtfertigt, um hohe Ansteckungszahlen zu verhindern und die Bevölkerung sanft zur Impfung zu motivieren.» Auf die Dauer aber müsse es aber für alle wieder möglich sein, ohne Ausweis Kultur und Sport zu geniessen.
Belser verwendet dabei auch den Begriff «Nudging», der aus der Wirtschaftsökonomie kommt und mit «Anstubsen» übersetzt werden kann. «Impfen hilft jedem einzelnen, aber auch Personen, die sich nicht impfen lassen können. Die Gesellschaft hat also ein Interesse an einer möglichst hohen Durchimpfung. Gleichzeitig wäre ein Impfzwang ein schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit», analysiert sie und lobt deshalb dieses Anstubsen: «Die Entscheidungsfreiheit bleibt, für Geimpfte wird das Leben aber ein bisschen einfacher.»
Ihre grosse Sorge gilt den nächsten Monaten: Beruhigt sich die Lage weiter, müsse das Covid-Zertifikats-Regime beendet werden. «Das Zertifikat ist eine Übergangslösung, die – wie es das Wort sagt – nur während einer kurzen Übergangszeit gelten darf. Verschlimmert sich die Pandemie jedoch, droht Gefahr, dass wir uns an ungleiche Freiheiten gewöhnen. Das würde sich negativ auf unsere freiheitliche Ordnung und unsere Gesellschaft auswirken», schliesst Belser.
Das jetzt diese 'Expertinnen' und Impfskeptiker aus den Löchern gekrochen kommen, wo ein selektiver Einlass in Klubs absolut Sinn macht und dem Gemeinwohl dient, spricht Bände.
Oder um es anders zu sagen: die Freiheit des einen endet dort wo die Freiheit des anderen beginnt.
Sie sollte sich eher darum Sorgen machen welche Schwurbler unterdessen komische Verständnisse von Freiheit haben.