Am vergangenen Freitag berichtete das Nachrichtenmagazin «10 vor 10» über die neuste schwere Panne bei der Swisscom. «Peinlich» sei die Störung, hiess es im Beitrag.
Peinlich für das Schweizer Fernsehen war, dass auch «10 vor 10» an jenem Tag mit technischen Störungen zu kämpfen hatte. Auf den Bildschirmen hinter der Moderatorin war nichts zu sehen – passende Bilder und Grafiken zu den Themen suchte man vergebens. Und in den Beiträgen funktionierten die Einblender nicht. Es wurden Interviews geführt – nur mit wem? Den Zuschauern erschloss sich das nicht, weil weder Namen noch Funktionen zu sehen waren.
Die Sendung war ein einziger Reinfall. Es war nicht der einzige bei SRF. «Mittagstagesschau» nach dem unerwarteten Sieg der Schweizer Fussballnationalmannschaft gegen Frankreich an der EM: Sie fängt mit mehreren Minuten Verspätung an. Die Zeit reicht nicht, um die technischen Probleme in den Griff zu bekommen. Die Einspielung der Beiträge funktioniert nicht. Im Interview mit dem Fussballer Granit Xhaka ist der Ton nicht zu hören. Der Moderator schaut in die falsche Kamera und ringt um seine Fassung. Er bricht die Sendung vorzeitig ab.
Wie blamabel diese «Mittagstagesschau» war, haben die Verantwortlichen am Leutschenbach inzwischen gemerkt. Die Sendung ist aus dem SRF-Archiv gelöscht worden. An jenem Datum, dem 29. Juni, findet man nur die am Abend ausgestrahlte Hauptausgabe.
Als in der Schweiz die Coronakrise ausbrach, im März 2020, versammelten sich die Menschen wie in alten Zeiten abends vor dem Fernseher, um die «Tagesschau» zu sehen. Blöd nur, dass gerade dann an einem Abend um 19.30 Uhr nichts Neues zu sehen war. Auch um 19.40 Uhr nicht. Die «Tagesschau» begann mit 20 Minuten Verspätung. Die Moderatorin begründete das mit «wirklich grossen technischen Problemen.»
Man könnte weitere Beispiele anführen. Mitarbeiter am Leutschenbach erzählen, dass die technischen Pannen ein ständiges Thema seien. Manchmal könnten sie knapp vor dem Sendetermin behoben werden, sodass sie den Zuschauern verborgen blieben.
Probleme bereitet das neue Schnittsystem Hive von Sony. Es führt zu veränderten Arbeitsschritten – und lässt einige der betroffenen Cutter verzweifeln. Die «Mittagstagesschau», in der alles schieflief, war nach Angaben von Andreas Lattmann auf ein Problem mit dem System Hive zurückzuführen. Lattmann ist Chief Technical Officer der Abteilung Produktion & Technologie des Schweizer Fernsehens.
Wenn ein System bockt, gibt es Versionsanpassungen. Zurzeit kann SRF aber keine vornehmen. Die Fussball-Europameisterschaft und die bevorstehenden Olympischen Spiele in Tokyo haben zu einem sogenannten Freeze geführt: Versionsanpassungen gelten zurzeit als zu grosses Betriebsrisiko. Also arbeitet man lieber mit den vorhandenen Fehlern.
Bei «10 vor 10» gab es vor einer Woche einen Kurzschluss in einem Rechner. Er liess sowohl die Grafik-Einblender als auch die Monitore hinter der Moderatorin ausfallen.
Es kommt aber auch zu operationellen Fehlern: Wenn das System Hive spukt, gibt es am Leutschenbach ein «Havarie-Szenario». Das klingt nach Titanic. Macht dann jemand eine Fehlmanipulation, können keine Beiträge eingespielt werden. Und wenn doch, funktioniert der Ton nicht. Das Schiff sinkt.
Manchmal stürzen auch die Grafik-Rechner ab. Dann ist hinter dem Moderator das Signet von Windows zu sehen. Fraglich ist, ob sich das Unternehmen Microsoft über diese Form der Gratiswerbung freut.
Was ist los am Leutschenbach? Andreas Lattmann sagt: «Es gibt keine Häufung schwerer technischer Pannen in den Sendungen des Schweizer Fernsehens.» Die Ursachen der erwähnten technischen Störungen seien äusserst unterschiedlich gewesen.
Mehrere SRF-Angestellte sehen das anders. Sie sagen: Früher habe für Aufsehen gesorgt, wenn die Schaltung zu einem Auslandkorrespondenten nicht funktioniert habe. Nun liefen ganze Sendungen aus dem Ruder. Die technischen Probleme würden grösser, nicht kleiner. Und: Bei anderen öffentlich finanzierten Fernsehsendern im Ausland seien solche für das Publikum sichtbaren technischen Schwierigkeiten nicht an der Tagesordnung.
Lattmann betont, dass jede Panne detailliert analysiert werde. Grundsätzlich sei jede Panne eine zu viel. «Da wir aber in einem hochtechnologischen Bereich arbeiten, lassen sich Pannen nie komplett ausschliessen.»
Haben die Probleme etwas mit der IP-Technologie zu tun, die am Leutschenbach Angst und Schrecken verbreitet? Nein, da gebe es keinen Zusammenhang, betont Andreas Lattmann.
Die IP-Technologie kommt im neuen News- und Sportcenter zur Anwendung. Es hätte im Herbst 2019 in Betrieb genommen werden sollen. Weil die IP-Technologie nicht funktioniert, musste SRF den Start mehrmals verschieben. Das kostet den Sender viel Geld. Die Verantwortlichen planen nun, das Center 2022 hochzufahren. Es gibt bei SRF Mitarbeiter, die aber bezweifeln, dass der Plan aufgehen wird.
Ob IP-Technologie, ob Hive: Es fällt auf, dass bei SRF die grossen, übergeordneten Systeme Probleme bereiten. Es stellt sich die Frage, ob das Fernsehen nicht besser auf erprobte Anwendungen gesetzt hätte. SRF wollte ein technologischer Vorreiter sein – und bezahlt nun einen hohen Preis dafür.
Genau so ist es. Alle anderen Pannen sind nicht akzeptabel.