88 Stimmen hat die Forschungskoalition im Nationalrat auf sicher. SP (39 Sitze), Grüne (30), GLP (16) und EVP (3) unterstützen die Motion der Aussenpolitischen Kommission (APK), die dringliche Massnahmen für den Schweizer Forschungsstandort fordert. Sie ist am Montag im Nationalrat traktandiert.
Um auf eine Mehrheit von 101 Stimmen zu kommen, benötigt die Koalition noch 13 Stimmen. Sie dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Freisinn kommen. Die FDP-Fraktion entschied letzte Woche hinter den Kulissen überraschend, die Motion zu unterstützen – und die FDP hat 29 Stimmen.
Es war SP-Nationalrat Fabian Molina, der die Kommissionsmotion angeregt hat. Sie fordert, dass der Bundesrat in einem ersten Schritt Verhandlungen mit der EU aufnimmt, um die Schweiz bei diversen Forschungsprogrammen voll zu assoziieren: Horizon Europe, Digital Europe, Iter, Euratom und Erasmus+. Mit Abstand das bedeutendste Programm ist Horizon.
Um die Assoziierung zu erreichen, will die Kommission in einem zweiten Schritt einen dritten Schweizer Kohäsionsbeitrag an die EU zahlen. Parallel dazu will die APK, dass sich die Schweiz verpflichtet, die institutionellen Fragen zügig zu lösen. «Sonst wird die EU nicht auf den Vorschlag einsteigen», sagt Molina.
Die Motion folgt der Logik der Roadmap der SP. Diese sieht zwei Phasen vor: zuerst eine Stabilisierung und dann ein neues Abkommen. «Die Idee der SP ist nicht revolutionär», sagt Molina. «Wir müssen das Problem portionieren und Schritt für Schritt vorgehen. Will man alles gleichzeitig verhandeln, dauert das ewig.»
Die APK will weg vom umfassenden Verhandlungsansatz, den der Bundesrat verfolgt. Die Regierung plant, die institutionellen Fragen sektoriell zu regeln, weitere Abkommen wie jene zum Strom und zur Lebensmittelsicherheit voranzutreiben und die volle Assoziierung in Forschung, Gesundheit und Bildung zu erreichen – und das alles in einem einzigen Abkommen.
Das schrittweise Vorgehen fand in der APK eine knappe Mehrheit – mit 13 zu 12. «Wir müssen dem Bundesrat Druck machen», betont Molina – und meint damit vor allem Wirtschaftsminister Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis.
«Parmelin will nichts in Sachen Assoziierung und darf wegen der SVP nichts wollen», sagt er. «Und Cassis tut zwar so, als ob er etwas wolle, doch er will nichts tun, bis er 2023 wiedergewählt ist.»
Auch die FDP will Druck machen auf den Bundesrat – vor allem auf Parmelin. Ähnlich sieht es bei der GLP aus: «Die Europapolitik ist vollkommen blockiert», sagt Fraktionschefin Tiana Angelina Moser. «Niemand versteht, was die Schweiz genau will.»
Moser kritisiert die Bundesräte Cassis, Parmelin und Karin Keller-Sutter, die im Bundesrat den Europa-Ausschuss bilden. «Sie tragen eine Schlüsselverantwortung», sagt sie – und hält fest: «Die Motion zeigt einen Lösungsansatz für die unhaltbare Situation der Schweizer Forschung auf. Darum unterstützen wir sie.»
Hinter den Kulissen macht auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse Druck. Er legt den bürgerlichen Parlamentariern im Sessionsbrief, der CH Media vorliegt, dringend ein Ja zur Motion ans Herz:
Direktorin Monika Rühl bestätigt die Recherchen. «Dass die Schweiz bei Horizon Europe wieder voll assoziiert werden kann, ist nicht nur für den Forschungsstandort wichtig, sondern auch für den Wirtschaftsstandort», sagt sie. «Wenn bis im Herbst keine Lösung gefunden wird, ist der Zug abgefahren für die Programmperiode 2021 bis 2027.»
Gegen die Motion stellen sich Die Mitte, die SVP und der Bundesrat selbst. Der Bundesrat schätzt das «isolierte Angebot» eines dritten Kohäsionsbeitrags als «nicht zielführend» ein, wie er in seiner Antwort auf die Motion festhält.
Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider betont, sie kämpfe «an allen Fronten» für die Teilnahme der Schweiz an Horizon. «Doch Symbolpolitik bringt uns nicht ans Ziel. Wir brauchen jetzt Antworten auf die grossen Fragen.»
Am Kongress der Europäischen Volksparteien vom 1. Juni sei eines klar geworden, sagt Schneider: «Die EU wird eine Teilnahme an ihren Forschungsprogrammen erst zulassen, wenn ein Plan für die Lösung der institutionellen Fragen vorliegt.»
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi spricht von einem «verhandlungstaktisch ungeschickten Vorgehen». Für ihn macht Parmelin genau das Richtige: «Er vereinbart Forschungszusammenarbeiten mit den USA, Israel, Japan und Grossbritannien und zeigt damit der EU, dass wir Alternativen haben.»
Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, hat der Nationalrat am Donnerstag in Sachen Forschung eine neue Vorwärtsstrategie mit 164 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung durchgewunken. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen forderte in einer Motion vom Bundesrat, dass er ein eigenständiges Schweizer Programm für exzellente Forschung und Innovation aufbaut.
Es sei Zeit, das Heft in die eigene Hand zu nehmen – unabhängig von Horizon Europe, betonte Wasserfallen. Er fordert vom Bundesrat, dass er aufzeigt, wie «wir die exzellentesten Forscherinnen und Forscher und die besten Start-ups in unserem Land beherbergen können».
Wasserfallen lehnt die APK-Motion ab. Sie sei ein «Rückenschuss für die Verhandlungsdelegation», die keine sachfremden Verknüpfungen wolle. Zudem sei es eine Illusion, mit Geld ein Ergebnis erreichen zu wollen.
Ob die Motion die Hürde von 101 Stimmen tatsächlich schafft, ist offen. Es sind wenige Stimmen der FDP, welche die Abstimmung entscheiden. Beobachter gehen davon aus, dass selbst Bundesräte bis zuletzt um diese Stimmen kämpfen. (aargauerzeitung.ch)