«Das betroffene Gebiet ist gut einsehbar, unter anderem von einem Ski-Gebiet. Es ist gewaltig. Deswegen machten die Bilder so schnell die Runde.» Das sagt Martin Keiser. Er ist Regionalforstingenieur und Naturgefahrenspezialist beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden. Keiser wurde am Sonntag kurz nach 7 Uhr von den Einsatzkräften über den riesigen Bergsturz informiert, der sich wenige Minuten zuvor am Piz Scerscen im Engadin ereignet hatte.
Auf über fünf Kilometern hat sich im Rosegtal Gestein aufgetürmt. Das Volumen des Bergsturzes wird auf mehrere Millionen Kubikmeter geschätzt. Es werden Vergleiche mit dem Bergsturz von Bondo aus dem Jahr 2017 gezogen, in der Tendenz sei der jetzige Bergsturz sogar noch leicht grösser, so Keiser am Telefon zu watson.
Before and after comparison of the massive rock-ice avalanche from Piz #Scerscen in #Engadin which completely reshaped the landscape and may turn out to be one of the largest events ever recorded in the Alps. Before 📷 by Obadiah Reid, after 📷 by @matthias_huss. pic.twitter.com/cR61xLnRF8
— Mylène Jacquemart (@MyleneJac) April 17, 2024
Flashback to the former beauty Vadret da Tschierva... #Glacier retreat over 87 years. And then - 💥.
— Matthias Huss (@matthias_huss) April 18, 2024
The Piz #Scerscen landslide on 14 April 2024 profoundly changed the landscape pic.twitter.com/TB51WYmb0u
Das betroffene Gebiet gehört zur Gemeinde Samedan, oberhalb des Ferienorts Pontresina. Doch wie konnte es zu diesem gigantischen Bergsturz kommen?
Eine Erklärung gebe es noch nicht, sagt Keiser. Dafür lägen bislang zu wenige Informationen vor. «Ein solcher Bergsturz entwickelt sich über hunderte oder sogar tausende von Jahren. Zahlreiche Faktoren, etwa Permafrost oder Wasserdruck, können als Ursache infrage kommen.»
Den Klimawandel alleine für diesen Bergsturz verantwortlich zu machen, sei zu kurz gegriffen. Aber: «Er spielt sicher eine Rolle.»
Momentan laufe die Erstbeurteilung. Keiser und weitere Experten beobachten unter anderem, wie das Wasser über die riesige Gesteinsmasse sickere und wohin das Geröll transportiert werde, wenn es zu Niederschlägen komme. «Die Aufarbeitung dauert mehrere Wochen.»
Die Gemeinde Samedan ist an der Analyse der aktuellen Lage beteiligt, wie Gemeindepräsident Gian Peter Niggli bei SRF sagte. Das Gestein könnte Wasser stauen, wodurch im Tal ein See entstehen könnte.
Auch der Umgang mit den verschütteten Wanderwegen werde beobachtet. Ende Mai, wenn der Schnee weg sei, wisse man mehr.
Was nicht vergessen werden sollte: Unterhalb der Millionen Tonnen Geröll liegt der Tschierva-Gletscher, der den Bergsturz deutlich beeinflusst hat. Wir rufen Glaziologe Matthias Huss an und fragen nach. Er erklärt:
Ausserdem werde durch das Schmelzen das Volumen des Bergsturzes erhöht und die Reichweite des Bergsturzes steige. «Wäre dieser Bergsturz im Sommer passiert und nicht auf einen Gletscher herabgefallen, wäre er wahrscheinlich nicht so gross geworden», sagt Huss.
Auch die negativen Effekte auf den Gletscher seien nicht zu unterschätzen, so Huss weiter. «Ich war gestern für Messungen auf einem benachbarten Gletscher in der Region. Was ich sah: Der ganze Tschierva-Gletscher ist abrasiert. Die schützende Schneeschicht ist weg, auch viel Gletschereis dürfte erodiert sein.»
Das Eis am Gletscherende sei nun hingegen unter vielen Metern Geröll begraben und dadurch vor der Hitze im nächsten Sommer geschützt. Was gut töne, müsse jedoch relativiert werden. «Das Eis schmilzt unter der Sturzmasse zwar kaum mehr, es handelt sich aber um sogenanntes Toteis, das nicht mehr erneuert wird.»
Menschen seien keine zu Schaden gekommen, bestätigte die Kantonspolizei Graubünden gegenüber SRF. Vermisstmeldungen lägen keine vor. Auch wenn das Gebiet aufgrund seiner Grösse derzeit nicht gesperrt ist, raten die Behörden davon ab, das Bergsturzgebiet zu begehen.
Stimmt. Hauptgrund Nr. 1 ist die Schwerkraft. Dicht gefolgt von der Klimaänderung.