Der Bundesrat will sparen. Das trifft auch den öffentlichen Verkehr. Dass ab 2025 geplante Subventionen für neue Nachtzüge im Umfang von maximal 30 Millionen Franken jährlich gestrichen werden sollen, hat Protest ausgelöst. Doch während diese Sparmassnahme noch nicht existierende Verbindungen und maximal einige Zehntausend Passagiere pro Jahr betrifft, könnte eine andere für Millionen von Pendlern teurere Billette und ein schlechteres Angebot bedeuten.
Beinahe unbemerkt hat der Bundesrat Ende September die Empfehlung seiner Expertengruppe übernommen, die den regionalen Personenverkehr (RPV) betrifft – also S-Bahnen, Regionalzüge und Busse. Diese sollen künftig rentabler unterwegs sein. Der Bund will seine Beiträge um jährlich etwa 60 Millionen Franken kürzen. Nicht betroffen sind der Fernverkehr, touristische Angebote und der ÖV in Städten, die keine Bundesgelder erhalten.
Heute übernimmt der Bund über die ganze Schweiz gesehen die Hälfte des Defizits des RPV, also jener Kosten, die nicht durch Billettpreise eingespielt werden. Den Rest tragen die Kantone, wobei ihr Anteil je nach ihren «strukturellen Voraussetzungen» variiert. Graubünden muss etwa 20 Prozent des Defizits übernehmen, Basel-Stadt 73 Prozent.
Die Expertengruppe will, dass Bund und Kantone ihre Beiträge je um 5 Prozent reduzieren. Da der RPV im Durchschnitt etwa die Hälfte seiner Kosten deckt, würde das eine Erhöhung des Kostendeckungsgrades im nationalen Schnitt um 2,5 Prozent bedeuten. Der Weg dahin laut der Expertengruppe: höhere Billettpreise, mehr Effizienz oder ein Abbau der Leistungen. Was sie verschweigt: Wenn die Kantone nicht wollen, dass ihr ÖV-Angebot schlechter und teurer wird, könnten sie sich genötigt sehen, in die Bresche zu springen. Dann würde ihre finanzielle Belastung höher, nicht kleiner, weil sie den fehlenden Bundesbeitrag übernehmen müssten.
Die Kantone wehren sich denn auch gegen den Vorschlag. Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) teilt mit, grundsätzlich sei er zwar kompatibel mit dem eigenen Ziel eines wirtschaftlich tragfähigen öffentlichen Verkehrs. Der Kostendeckungsgrad sei in Zürich aber heute schon hoch. «Es wäre darum zielführend, den Kostendeckungsgrad der einzelnen Regionen und Kantone individuell zu betrachten und dort anzusetzen, wo das grösste Steigerungspotenzial besteht», sagt Sprecherin Cristina Maurer.
Eine höhere Rentabilität könne nicht einfach verordnet werden. Der ÖV sei ein langfristig ausgerichtetes Geschäft. Sinnvolle Anpassungen benötigten Zeit. Die Fixkosten könnten zudem auch bei einer Reduktion des Angebots oft nicht wesentlich gesenkt werden.
Maurer weist auf die Preiselastizität hin. Wenn Preiserhöhungen dazu führen, dass sich Menschen vom ÖV abwenden, bringt die Massnahme finanziell nichts. «Der Kostendeckungsgrad und die Nachfrage sind von der Attraktivität und dem Preis-Leistungs-Verhältnis abhängig», sagt Maurer. Diese Wechselwirkung dürfe nicht unterschätzt werden.
Ähnlich sieht es Pascal Süess, der Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Luzern. «Für eine möglichst nachhaltige Mobilität sollte es unser Ziel sein, möglichst viele Fahrgäste für den öffentlichen Verkehr zu gewinnen», sagt er. Dazu brauche es ein attraktives Angebot zu fairen Preisen. «Der Vorschlag zielt in die falsche Richtung.» Würden die Preise stärker erhöht als die allgemeine Teuerung, wirke sich das negativ auf die Nachfrage aus.
Auch in der Ostschweiz stösst der bundesrätliche Vorschlag auf Widerstand. Patrick Ruggli, Leiter des Amt für öffentlichen Verkehr des Kanton St. Gallen, sagt, die geänderte Mindestvorgabe des Bundes führe zu einer Kostenverlagerung hin zum Kanton, wenn das Angebot gleich behalten werden soll. Einsparungen könnten dann nur durch eine Reduktion von Leistungen oder mehr Fahrgäste realisiert werden.
Ein Abbau müsste «sehr sorgfältig» geprüft werden. Der Kanton wolle den Anteil des ÖV eigentlich erhöhen, und Angebotsreduktionen lösten teils heftigen Widerstand in der Bevölkerung aus. Eine Tariferhöhung könnte «durchaus in die Diskussion geworfen werden». Man müsse aber beachten, dass in den letzten Jahren die Kosten für den öffentlichen Verkehr im Vergleich zum Auto gestiegen seien. Wenn ÖV-Tarife erhöht, aber das Autofahren nicht teurer oder sogar billiger werde, «ist die Gefahr gross, dass Fahrgäste verloren gehen».
Darauf weist auch Thierry Müller hin, Rugglis Amtskollege im Kanton Graubünden. Der Spielraum für weitere Preiserhöhungen im ÖV sei «nicht sehr gross». Viele EU-Länder würden sehr günstige Tickets für Bahn und Bus lancieren. Die Herausforderung sei deshalb eher, das heutige Preisniveau zu halten.
Gegen einen rentableren ÖV wehrt sich Müller nicht. Sein Kanton setze auf ein konsequentes Kosten- und Ertragsmanagement. Mit einer effizienteren Produktion würden Kosten gesenkt, mit einem besseren Angebot gleichzeitig mehr Einnahmen generiert.
Eine pauschale Erhöhung des Kostendeckungsgrads sei aber «weder sinnvoll noch zielführend». Jeder Kanton sei in einer anderen Situation. Graubünden weise im Vergleich einen überdurchschnittlich hohen Kostendeckungsgrad auf. Jede einzelne Linie habe aber eine andere Ausgangslage und Charakteristik – und wenn etwa neues Rollmaterial beschafft werde, könne die Rentabilität einer Linie auch mal kurzfristig sinken.
Die Sparvorgabe des Bundes steht. Darüber hinaus herrscht aber Ratlosigkeit. Derzeit brüten die Ämter über die Frage, wie die Einsparungen realisiert werden können. Bis Ende Januar 2025 soll die eidgenössische Finanzverwaltung auf ihren Rückmeldungen basierend dem Bundesrat eine Vernehmlassungsvorlage präsentieren.
Im ÖV könnte eine Konfrontation mit den Kantonen bevorstehen. Cristina Maurer vom ZVV sagt, vergangene Sparrunden des Bundes hätten dessen Haushalt oft nur entlastet, weil die Kantone mehr Lasten übernommen hätten. Ein solches Vorgehen lehne Zürich dezidiert ab – und erwarte, dass der Bund seiner gesetzlichen Verpflichtung einer hälftigen RPV-Finanzierung «auch künftig vollumfänglich nachkommt».
Man will das umsteigen vom ÖV zum PV fördern.
:-(
Schweiz, quo vadis?