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Zu Besuch bei Läderach: Das Dilemma des Firmenchefs

Johannes Laederach, CEO Laederach Chocolatier Suisse, posiert am 18. November 2022 im House of Laederach in Bilten, Kanton Glarus. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
Johannes Läderach, 37, ist CEO von Läderach. Er trennte sich von der Kirche seines Vaters.Bild: KEYSTONE

Besuch bei Läderach: Mitarbeiter machen weiter wie immer – und dann taucht der CEO auf

Grosses Entsetzen nach SRF-Dokfilm: Der frühere Chocolatier Jürg Läderach soll in seiner evangelikalen Schule Kinder gezüchtigt haben. Wie treffen die Vorwürfe die Schokoladefirma? CH Media besuchte unangemeldet den Firmensitz in Glarus – und erlebte eine Überraschung.
26.09.2023, 10:1126.09.2023, 16:13
Patrik Müller / ch media
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Besucher gehen ein und aus

Emsiges Treiben beim «House of Läderach» am Montag kurz vor Mittag. Hier, unweit der Autobahnausfahrt Bilten GL, gehen Besucherinnen und Besucher ein und aus. Sie kommen, wie eine asiatische Reisegruppe, von einer Fabriktour, oder sie kaufen im «Factory Store» ein. Eine junge Frau mit Kinderwagen und vollen Säcken sagt: «Ich habe den Dokfilm gesehen, eine Katastrophe, was der alte Läderach an dieser Schule gemacht hat. Trotzdem habe ich wieder eingekauft, aber mit sehr ungutem Gefühl.»

Eine ältere Frau trägt ihre Einkäufe ohne schlechtes Gewissen mit sich. Die Medien würden die Nadel im Heuhaufen suchen, sagt sie, sie glaube den Vorwürfen nicht. Sie sagt:

«Ich kenne die Läderachs von einer sehr feinen Seite.»

Wie wirken sich die Vorwürfe auf das Unternehmen aus, das nun von Jürg Läderachs Kindern geführt wird? Das wollen wir vom CEO persönlich wissen. Johannes Läderach ist 37, HSG-Absolvent und seit fünf Jahren erfolgreich Chef. Der Umsatz hat sich seither verdoppelt, das Auslandsgeschäft wurde ausgebaut, es gibt Filialen in Dubai, New York und Schanghai. Im Kanton Glarus ist das Unternehmen mit 750 Stellen der grösste Arbeitgeber, weltweit beschäftigt es inzwischen 1800 Mitarbeitende.

Der Empfang

Am Empfang fragt eine freundliche Mitarbeiterin: «Haben Sie einen Termin?» Haben wir nicht, es ist ein Überraschungsbesuch. Sie verschwindet hinter einer Tür. Ein paar Minuten später erscheint Matthias Goldbeck. «Global Head of Corporate Communications» steht auf seiner Visitenkarte.

Läderach Fabrikladen in Bilten GL
Courant normal: der Fabrikladen in Bilten GL am Montagmorgen.Bild: ch media/pmü

Er sagt, der oberste Chef habe einen extrem dichten Terminkalender, und ausserdem habe er in zwei Interviews sehr offen Auskunft gegeben – bei «10vor10» und in der «Sonntags-Zeitung». Also kein Treffen? Doch, lautet die eher unerwartete Antwort: Über Mittag habe Johannes Läderach einen Slot, aber ein eigentliches Interview werde es nicht geben, nur Hintergrundinformationen.

Das Dilemma des Firmenchefs

Der CEO ist in einem kommunikativen Dilemma. Tritt er nicht in den Medien auf, um sich klar vom Vater zu distanzieren, wirkt dies, als würde er dessen mutmassliche Taten gutheissen oder verharmlosen. Äussert er sich hingegen breitflächig, wird der Missbrauchsskandal noch stärker mit der Firma Läderach verbunden - etwas, was das Unternehmen unbedingt vermeiden möchte.

Denn die Vorwürfe gegen den früheren Patron wiegen schwer, und weil das Unternehmen den Familiennamen trägt, färben sie auf dessen Image ab. Im Dokfilm «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» sagen ehemalige Schulkinder des Instituts von Kaltbrunn SG, dass sie regelmässig geprügelt und mit Gürteln geschlagen wurden. Ihr Wille sollte gebrochen werden.

Die Missbräuche geschahen in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Jürg Läderach hatte die Schule 1995 mitaufgebaut, in der zugehörigen Kirche gepredigt und gemäss Stimmen im SRF-Dok persönlich Kinder gezüchtigt. Läderach senior bestreitet dies in einer eidesstattlichen Erklärung.

Läderach junior konnte sich auf den Film und dessen Schockwellen vorbereiten, er wusste im Voraus davon. In «10vor10» nahm er Stellung:

«Ich verurteile in aller Form, was da vorgefallen ist. Das widerspricht allem, woran ich glaube und was mir wichtig ist.»

Diesen Satz sagte er gleich zweimal, einmal auch mit Bezug auf seinen Vater. In der «Sonntags-Zeitung» vermeidet der 37-Jährige jede Relativierung des Leids von Kindern und betont: «Ich habe das Klima der Angst selber miterlebt.» Auch Johannes Läderach und seine Geschwister gingen in Kaltbrunn zur Schule, allerdings lebten sie nicht im Internat, sondern kehrten abends nach Hause zurück.

Dann taucht Johannes Läderach plötzlich auf

Bei aller Bemühung um Abgrenzung irritiert im Interview, dass Läderach nichts dazu sagt, warum seine eigenen Kinder aktuell in Kaltbrunn zur Schule gehen. «Ich will meine Kinder nicht in die Diskussion einbeziehen», sagte er ausweichend.

Im Café des «House of Läderach» ist zur versprochenen Zeit nichts zu sehen vom Chef. Klappt das Treffen doch nicht? Dann, zehn Minuten später, taucht Johannes Läderach plötzlich auf. Dunkler Anzug, helles Hemd, keine Krawatte, ruhiges, kontrolliertes Auftreten. Läderach erzählt von Telefonkonferenzen und Gesprächen mit Mitarbeitenden. Angesprochen auf die Aussage zu seinen eigenen Kindern, deutet der CEO an, dass er mit seiner Frau darüber diskutiere, ob sie in der Schule bleiben sollen oder nicht. Ein solcher Entscheid brauche aber Zeit.

Hat die Generation, die jetzt bei der Schokoladefabrik am Ruder ist, wirklich mit dem Vater gebrochen? Nicht nur Johannes Läderach ist in leitender Funktion tätig, sondern auch sein Bruder Elias. Er ist «Chief Creative Officer», Mitglied der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats. In der Eingangshalle steht wie eine Statue ein preisgekröntes Produkt, das der gelernte Konditor-Confiseur kreiert hat:

Preisgekrönte Kreation von Elias Läderach, Mitglied der Geschäftsleitung.
Preisgekrönte Kreation von Elias Läderach, Mitglied der Geschäftsleitung.Bild: ch media/pmü

In der amtierenden Läderach-Generation wünscht man sich jetzt manchmal, das weltweit tätige Unternehmen hätte eine andere Marke als den Familiennamen. Man fürchtet, die Schlagzeilen könnten über die Schweiz hinaus auch im Ausland noch Wirbel auslösen. Vorerst brennt es «nur» im Inland. Ein Zeichen dafür ist, dass das Zürcher Film-Festival kurzfristig auf das Läderach-Sponsoring verzichtet.

Die Produktion brummt weiter

Die Mitarbeitenden in Bilten arbeiten an diesem Montag wie eh und je, die Produktion brummt, im Laden werden Geschenke eingepackt. Aber die Verunsicherung ist spürbar, der Diskussionsbedarf gross. Eben wurden alle 49 Filialleiterinnen und Filialleiter zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet, an der Johannes Läderach zu Fragen Stellung nahm. Diese konnten im Vorfeld anonym eingebracht werden. Er wolle sich intern schonungslos allen Fragen stellen, verspricht der CEO.

Draussen vor der Firmenzentrale wartet derweil eine Klasse der Kantonsschule Luzern auf ihre Fabriktour. Was halten die Jugendlichen von den Enthüllungen über den Ex-Schokoladepatron? Die Neuntklässlerinnen schauen sich fragend an:

«Davon haben wir noch nie gehört.»
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233 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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WatSohn?
26.09.2023 12:05registriert Juni 2020
Einer der im DOK Film genannten Mittäter ist ein Cousin von mir. Als wir beide etwa 15 Jahre alt waren, war ich dort in den Ferien, sonst sahen wir uns kaum. Er war ein extrem kommunikativer, kreativer, fröhlicher und witziger Typ, ein wahres Energiebündel. Jahre später war er zu Besuch bei meinen Eltern. Ich traf einen völlig veränderten, humorlosen, verbitterten Langweiler und Fanatiker, mit dem man ausser über Gott über nichts reden konnte. Da ich nicht religiös bin, gab es nichts zu reden. Das ist es, was Sekten mit einem ganz normalen Menschen machen.
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hans gwüsst
26.09.2023 10:30registriert Januar 2016
«Ich kenne die Läderachs von einer sehr feinen Seite.» Als Schoggi-Kundin?

Ganz ehrlich, es ist absurd, dass Läderach überhaupt noch Kunden in der Schweiz hat.

Wir haben schon längst umgestellt auf lokale Chocolatiers, die sich nicht öffentlich für Homophobie, Abtreibungsgegner und Religionswahnsinn einsetzen.
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Wir (M)Ostschweizer*innen nun im Süden
26.09.2023 10:31registriert Juni 2019
Was ich nicht einfach nicht so richtig schlucken will, ist die Tatsache das ein Jugendlicher in einem patriachischem, religiösen geführten Haushalt nichts mitbekommen hat und die Umgebun hingegen wusste von der strenge des Hausherrn.
Es war ein offenes Geheimnis das in der Schule sehr streng gelehrt wurde.
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