Emsiges Treiben beim «House of Läderach» am Montag kurz vor Mittag. Hier, unweit der Autobahnausfahrt Bilten GL, gehen Besucherinnen und Besucher ein und aus. Sie kommen, wie eine asiatische Reisegruppe, von einer Fabriktour, oder sie kaufen im «Factory Store» ein. Eine junge Frau mit Kinderwagen und vollen Säcken sagt: «Ich habe den Dokfilm gesehen, eine Katastrophe, was der alte Läderach an dieser Schule gemacht hat. Trotzdem habe ich wieder eingekauft, aber mit sehr ungutem Gefühl.»
Eine ältere Frau trägt ihre Einkäufe ohne schlechtes Gewissen mit sich. Die Medien würden die Nadel im Heuhaufen suchen, sagt sie, sie glaube den Vorwürfen nicht. Sie sagt:
Wie wirken sich die Vorwürfe auf das Unternehmen aus, das nun von Jürg Läderachs Kindern geführt wird? Das wollen wir vom CEO persönlich wissen. Johannes Läderach ist 37, HSG-Absolvent und seit fünf Jahren erfolgreich Chef. Der Umsatz hat sich seither verdoppelt, das Auslandsgeschäft wurde ausgebaut, es gibt Filialen in Dubai, New York und Schanghai. Im Kanton Glarus ist das Unternehmen mit 750 Stellen der grösste Arbeitgeber, weltweit beschäftigt es inzwischen 1800 Mitarbeitende.
Am Empfang fragt eine freundliche Mitarbeiterin: «Haben Sie einen Termin?» Haben wir nicht, es ist ein Überraschungsbesuch. Sie verschwindet hinter einer Tür. Ein paar Minuten später erscheint Matthias Goldbeck. «Global Head of Corporate Communications» steht auf seiner Visitenkarte.
Er sagt, der oberste Chef habe einen extrem dichten Terminkalender, und ausserdem habe er in zwei Interviews sehr offen Auskunft gegeben – bei «10vor10» und in der «Sonntags-Zeitung». Also kein Treffen? Doch, lautet die eher unerwartete Antwort: Über Mittag habe Johannes Läderach einen Slot, aber ein eigentliches Interview werde es nicht geben, nur Hintergrundinformationen.
Der CEO ist in einem kommunikativen Dilemma. Tritt er nicht in den Medien auf, um sich klar vom Vater zu distanzieren, wirkt dies, als würde er dessen mutmassliche Taten gutheissen oder verharmlosen. Äussert er sich hingegen breitflächig, wird der Missbrauchsskandal noch stärker mit der Firma Läderach verbunden - etwas, was das Unternehmen unbedingt vermeiden möchte.
Denn die Vorwürfe gegen den früheren Patron wiegen schwer, und weil das Unternehmen den Familiennamen trägt, färben sie auf dessen Image ab. Im Dokfilm «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» sagen ehemalige Schulkinder des Instituts von Kaltbrunn SG, dass sie regelmässig geprügelt und mit Gürteln geschlagen wurden. Ihr Wille sollte gebrochen werden.
Die Missbräuche geschahen in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Jürg Läderach hatte die Schule 1995 mitaufgebaut, in der zugehörigen Kirche gepredigt und gemäss Stimmen im SRF-Dok persönlich Kinder gezüchtigt. Läderach senior bestreitet dies in einer eidesstattlichen Erklärung.
Läderach junior konnte sich auf den Film und dessen Schockwellen vorbereiten, er wusste im Voraus davon. In «10vor10» nahm er Stellung:
Diesen Satz sagte er gleich zweimal, einmal auch mit Bezug auf seinen Vater. In der «Sonntags-Zeitung» vermeidet der 37-Jährige jede Relativierung des Leids von Kindern und betont: «Ich habe das Klima der Angst selber miterlebt.» Auch Johannes Läderach und seine Geschwister gingen in Kaltbrunn zur Schule, allerdings lebten sie nicht im Internat, sondern kehrten abends nach Hause zurück.
Bei aller Bemühung um Abgrenzung irritiert im Interview, dass Läderach nichts dazu sagt, warum seine eigenen Kinder aktuell in Kaltbrunn zur Schule gehen. «Ich will meine Kinder nicht in die Diskussion einbeziehen», sagte er ausweichend.
Im Café des «House of Läderach» ist zur versprochenen Zeit nichts zu sehen vom Chef. Klappt das Treffen doch nicht? Dann, zehn Minuten später, taucht Johannes Läderach plötzlich auf. Dunkler Anzug, helles Hemd, keine Krawatte, ruhiges, kontrolliertes Auftreten. Läderach erzählt von Telefonkonferenzen und Gesprächen mit Mitarbeitenden. Angesprochen auf die Aussage zu seinen eigenen Kindern, deutet der CEO an, dass er mit seiner Frau darüber diskutiere, ob sie in der Schule bleiben sollen oder nicht. Ein solcher Entscheid brauche aber Zeit.
Hat die Generation, die jetzt bei der Schokoladefabrik am Ruder ist, wirklich mit dem Vater gebrochen? Nicht nur Johannes Läderach ist in leitender Funktion tätig, sondern auch sein Bruder Elias. Er ist «Chief Creative Officer», Mitglied der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats. In der Eingangshalle steht wie eine Statue ein preisgekröntes Produkt, das der gelernte Konditor-Confiseur kreiert hat:
In der amtierenden Läderach-Generation wünscht man sich jetzt manchmal, das weltweit tätige Unternehmen hätte eine andere Marke als den Familiennamen. Man fürchtet, die Schlagzeilen könnten über die Schweiz hinaus auch im Ausland noch Wirbel auslösen. Vorerst brennt es «nur» im Inland. Ein Zeichen dafür ist, dass das Zürcher Film-Festival kurzfristig auf das Läderach-Sponsoring verzichtet.
Die Mitarbeitenden in Bilten arbeiten an diesem Montag wie eh und je, die Produktion brummt, im Laden werden Geschenke eingepackt. Aber die Verunsicherung ist spürbar, der Diskussionsbedarf gross. Eben wurden alle 49 Filialleiterinnen und Filialleiter zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet, an der Johannes Läderach zu Fragen Stellung nahm. Diese konnten im Vorfeld anonym eingebracht werden. Er wolle sich intern schonungslos allen Fragen stellen, verspricht der CEO.
Draussen vor der Firmenzentrale wartet derweil eine Klasse der Kantonsschule Luzern auf ihre Fabriktour. Was halten die Jugendlichen von den Enthüllungen über den Ex-Schokoladepatron? Die Neuntklässlerinnen schauen sich fragend an:
Ganz ehrlich, es ist absurd, dass Läderach überhaupt noch Kunden in der Schweiz hat.
Wir haben schon längst umgestellt auf lokale Chocolatiers, die sich nicht öffentlich für Homophobie, Abtreibungsgegner und Religionswahnsinn einsetzen.
Es war ein offenes Geheimnis das in der Schule sehr streng gelehrt wurde.