Es ist Montag, 21:20 Uhr, als bei der Kantonspolizei Freiburg eine Meldung eingeht. Dass es sich dabei um den zweitgrössten Drogenfund in der Geschichte der Schweiz handeln wird, weiss zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Vielleicht ahnten es aber einige Arbeiter im Nespresso-Werk in Romont. Diese waren mit dem Abladen der Säcke mit den frisch gelieferten Kaffeebohnen beschäftigt. Der Kaffee kam in Schiffscontainern aus Brasilien und dann per Zug in die Romandie. Zwischen den Bohnen entdeckten die Mitarbeitenden eine unbekannte, weisse Substanz – und informierten die Polizei.
Die Beamten rückten aus, riegelten das Gelände grossräumig ab und fanden mit einer Probe vor Ort schnell heraus, worum es sich handelt: Kokain.
Rund 20 Mitarbeiter des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) wurden vor Ort eingesetzt. Mithilfe von Spezialgeräten scannten sie die verschiedenen Container und halfen bei deren Durchsuchung.
Die Bilanz:
Insgesamt 500 Kilogramm.
Reinheitsgrad: über 80 Prozent.
Verkaufswert: Geschätzte 50 Millionen Schweizer Franken.
Es handelt sich um den zweitgrössten Drogenfund in der Schweiz. Der grösste liegt nicht lange zurück.
2019 beschlagnahmten Fahnder in Basel die grösste Menge an Kokain, die je in der Schweiz entdeckt wurde: 603 Kilogramm. Es war nicht nur in seinem Ausmass ein spektakulärer Fall.
Das fand auch die europäische Polizeibehörde Europol. Sie koordinierte damals die Ermittlungen unter dem Namen «Operation Familia» und präsentierte den Fall anschliessend in einem Kurzfilm:
Auch die Schweizer Bundespolizei sprach nach den Verhaftungen der Drahtzieher von einem «Meisterstück» der internationalen Polizeiarbeit. Ein Fall «wie aus einer Krimiserie», folgerte sie in ihrem Jahresbericht, wie die «Aargauer Zeitung» schrieb. Ein Krimi, der sich wie folgt abgespielt hat:
Am 16. Mai 2019 landet um 17:26 Uhr eine Gulfstream V auf dem privaten Rollfeld des Euroairports in Basel/Mulhouse. Aus dem Privatjet steigen der Pilot, der Co-Pilot und eine Flugbegleiterin. Der Pilot holt zwei Mietwagen: einen Smart und einen Ford Transit. Die Besatzung holt insgesamt 21 Koffer aus dem Flugzeug und verstaut sie im Lieferwagen. In jedem Koffer liegt Pulver im Wert von fast einer Million Franken.
Im Nacken der Drogenschmuggler liegen in diesem Moment allerdings auch die internationalen Drogenfahnder. Diese verfolgen das Geschehen auf dem Flughafen bereits über Überwachungskameras.
Denn 48 Stunden vor der Landung erhielt das Fedpol von der kroatischen Polizei eine Meldung zur bevorstehenden Lieferung.
Der Drogentransport endet im Parkhaus des Basler Grand Casinos. Dorthin steuerten die Schmuggler ihren Transporter. Endstation: Sie wurden festgenommen.
Als Hauptbeschuldigter wurde der Montenegriner Michael Dokovich identifiziert – auch bekannt als El Chapo von Kroatien.
Wie Nespresso wurde auch Coop im Jahr 2020 mit einer grossen Ladung Kokain «beliefert». Damals wurden in mehreren Filialen der Schweiz insgesamt 140 Kilogramm Kokain sichergestellt. Alleine im Einkaufszentrum Haag Center in St.Gallen landeten 50 Kilogramm. Die leitenden Coop-Angestellten wurden darauf angehalten, sämtliche Bananenkisten zu kontrollieren.
Die Ware stammte aus einer Lieferung aus Holland mit Ursprung Südamerika. Bereits 2011 wurde in einer Reiferei 70 Kilogramm Kokain in Bananenschachteln gefunden.
Im August 1997 flog einer der spektakulärsten Drogenschmuggel auf. Damals entdeckte die Polizei 13 Kilogramm Kokain in einem Container für Zierpflanzen. Pikant hinter dem Schmuggel: Den Container hatte der damalige Schweizer Nestlé-Direktor von Guatemala organisiert. Sein Sohn war einer der beiden Hauptverdächtigen in dem Fall und wurde zusammen mit seinem Freund festgenommen.
Der Drogenfall beschäftigte die Schweiz darauf jahrelang. Zahlreiche Anekdoten über Mord, Sex, Korruption und abgesetzte Richter reihten sich in den folgenden Jahren zu dem Krimi.
Der ehemalige Nestlé-Direktor wurde von der Beihilfe zum Drogenhandel freigesprochen und setzte sich nach Argentinien ab. Weil er später in Abwesenheit erneut verurteilt wurde, blieb er untergetaucht. Sein Sohn und dessen Komplize kamen im November 2003 frei. Er sagte damals unmittelbar nach der Freilassung: «Ich fühle mich sehr gut. Noch besser werde ich mich fühlen, wenn ich wieder in der Schweiz bin.»
Die Hintergründe des jüngsten Drogenschmuggels in Romont sind noch Gegenstand der Ermittlungen. Wer hinter dem Drogenschmuggel steckt, ist ebenso unklar. Die Polizei geht davon aus, dass die gesamte Droge für den europäischen Markt bestimmt war. Überraschend ist dies nicht.
Sergio Mastroianni, seit 20 Jahren Staatsanwalt des Bundes und für organisierte Kriminalität zuständig, erklärte im März gegenüber dem Blick: «Die Schweiz dient als Transitland für den Weitertransport, und gleichzeitig werden hier auch Endabnehmer versorgt.»
Und die Endabnehmer in der Schweiz gehören zu den dankbarsten in Europa. Denn nirgends wird so viel gekokst wie in der Schweiz, nimmt man die Kokainrückstände in den Abwässern als Massstab. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht fasst jedes Jahr in einer Städte-Liste die Abwasseranalysen zusammen. Getestet wird auf verschiedenste Substanzen, darunter Kokain.
In den Top Ten der Städte mit den höchsten Kokainrückständen im Abwasser ist die Schweiz gleich viermal vertreten: St. Gallen (Rang 2), Zürich (Rang 4), Basel (Rang 7) und Genf (Rang 9).
Die Schweiz gilt seit langem als Kokain-Hochburg – nicht nur als Drehscheibe. 2007 wurde im Kanton Zürich in Konservendosen 144 Kilo Kokain entdeckt. Es handelte sich damals um den grössten Drogenfund in der Schweiz. Pikant: Die Polizei ging nicht davon aus, dass die Drogen für den europäischen Markt bestimmt war. Polizeisprecher Stefan Oberlin sagte dem SRF damals: «Man muss bedenken, dass diese Riesenmenge von 144 Kilogramm für den Grossraum Zürich bestimmt war». Gestreckt hatte die Ware einen Marktwert von rund 12 Millionen Franken. (meg)