Die Bahn löscht die Lichter dieses Jahr in so vielen Bahnhöfen wie seit mindestens 2013 nicht mehr. Diesen Freitag wurden die Schalter in Herzogenbuchsee BE, Cham ZG, Pully VD und Biasca TI sowie in den Zürcher Gemeinden Dietlikon, Hinwil, Kloten, Männedorf und Oberwinterthur für immer dichtgemacht. Das Reisezentrum in Münsingen BE ging an die Berner Bahn BLS über.
Damit ist nicht Schluss: Per 1. Oktober werden auch die Reisezentren in Sissach BL, Wettingen AG und Zurzach AG geschlossen. Per Ende Jahr werden die SBB voraussichtlich noch 130 bediente Schalter zählen – 13 weniger als im Jahr zuvor und 55 weniger als noch Ende 2013. Dieses Jahr bauen die SBB so viele bediente Schalter ab wie seit Jahren nicht mehr.
An den Bahnhöfen wird es einsam: Oft empfangen nur noch Automaten die Kundinnen und Kunden, der persönliche Kontakt mit dem Bahnpersonal findet nur noch in grossen Bahnhöfen statt. Dabei hat das Personal vor Ort nicht nur Vorteile für Billettkäufer. Es sorgt auch dafür, dass Bahnhöfe nicht zu Unorten werden und für alle möglichen Belange eine Anlaufstelle zur Verfügung steht.
Zudem sind die SBB in Sachen Digitalisierung gar noch nicht so weit, als dass alle Angebote bequem online erworben werden könnten: Internationale Tickets gibt es in der SBB-App noch immer nicht zu kaufen, sondern nur im nicht für Mobilgeräte optimierten Webshop. Und Sitzplätze im Speisewagen lassen sich sowieso nur am Schalter reservieren – oder über eine kostenpflichtige Hotline.
Beschleunigt haben die SBB den Trend zu verwaisten Bahnhöfen zusätzlich, indem sie per Ende 2020 die Verträge mit Agenturen auslaufen liessen. Während im Jahr 2017 noch fast 50 Kioske, Convenience-Stores und privat geführte Reisebüros auf Kommissionsbasis SBB-Billette verkaufen durften und für Leben in kleineren Bahnhöfen sorgten, sind es jetzt keine mehr.
Der Abbau ist noch nicht abgeschlossen. Die Pandemie habe den Trend verstärkt, dass immer weniger Kundinnen und Kunden die Billette am Schalter kaufen, sagt SBB-Sprecher Reto Schärli. Nur noch fünf Prozent seien es. Persönliche Beratung bleibe zwar ein wichtiges Kundenbedürfnis, und in den mittleren und grossen Reisezentren nehme der Wunsch danach laufend zu.
In kleinen Reisezentren hingegen nehme die Kundschaft ab. «Dem muss die SBB Rechnung tragen», sagt Schärli. «Sie hat den Auftrag, mit den öffentlichen Mitteln haushälterisch umzugehen.» Die finanzielle Lage der Bahn sei aufgrund der Corona-Pandemie «sehr angespannt». Welche Schalter als Nächstes dem Abbau zum Opfer fallen, verrät er nicht. Die Bahn prüfe laufend, wie sich die Nachfrage entwickelt: «Allfällige Entscheide würden zu gegebener Zeit kommuniziert.»
Keine Freude an diesem Vorgehen hat Sara Stalder, die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). «Leider machen die SBB nicht transparent, wie die Frequenzen in diesen Bahnhöfen sind und wie sinnvoll aus wirtschaftlicher Sicht eine Schliessung der Schalter in den zum Teil grossen Ortschaften ist», sagt sie. «Für die Kundinnen und Kunden sind offene Schalter hingegen eine wichtige Anlaufstelle, um Informationen, komplexere oder auch allgemein Fahrkarten zu kaufen.»
Billettautomaten seien insbesondere für Reisende, welche nicht häufig mit dem Zug unterwegs oder für ältere Menschen, zum Teil zu anspruchsvoll, sagt Stalder. CH Media weiss von mindestens einem Fall, in dem ein Kunde mit einem komplexen Billettwunsch vom Schalterpersonal selbst an den Automaten geschickt wurde. «Das kann eine Strategie sein, um die Schalter für komplexere Fragen und Käufe frei zu halten», sagt Stalder. Kundenfreundlich sei das aber nicht.
Die Stiftung erwarte von den SBB ein niederschwelliges Angebot, um rasch und einfach an die notwendigen Informationen zu kommen und Billette kaufen zu können – auch auf anonymen Wegen und für Reisende, die mit Automaten oder Online-Käufen Schwierigkeiten hätten. «Aus unserer Sicht muss ein Angebot an Schaltern in grösseren und grossen Ortschaften erhalten bleiben – allenfalls auch in Kombination mit anderen Dienstleistungen anderer Anbieter», sagt Stalder.
Die SBB betonen, dass sie auch in kleine und mittelgrosse Reisezentren investierten und diese erneuerten. Seit dem vergangenen Sommer seien etwa Zentren in Montreux VD, Mendrisio TI, in den Zürcher Gemeinden Horgen und Meilen sowie am Flughafen Zürich erneuert worden, Zürich Enge und Renens VD sollen noch dieses Jahr folgen. Allerdings handelt es sich dabei teilweise um Reisezentren in Bahnhöfen mit einer sehr hohen Kundenfrequenz.
Einen weiteren Abbau hat SBB-Chef Vincent Ducrot gegenüber CH Media kürzlich angetönt. Das Filialnetz werde «überprüft», sagte er Mitte Juni. «Wo die Nachfrage abnimmt, prüfen wir die Umwandlung in Stationen mit Selbstbedienung». Das geschehe im Gespräch mit den Kantonen.Kundinnen und Kunden kommen laut Ducrot auf vielen einfachen Wegen zum Billett, etwa mit einem Anruf beim Contact Center.
Die Kundschaft verlange zunehmend nach längeren Öffnungszeiten und Beratung auch zu Randzeiten, sagte Ducrot. Diesen Dienst könnten die SBB aus wirtschaftlichen Gründen nicht überall anbieten.
Tatsächlich sind die Kosten für bediente Schalter hoch. Das zeigt eine Auflistung des Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) von 2019. Demnach fallen für ein verkauftes Ticket am Schalter Bruttokosten von 6.40 Franken an – über digitale Kanäle hingegen nur 70 Rappen. Mittlerweile dürfte sich dieses Verhältnis noch verschlechtert haben: Je weniger Menschen die Schalter nützen, desto höher werden die Kosten pro Nutzer, weil das Personal trotzdem bezahlt werden muss.
Bei den bedienten Schaltern der SBB handelt es sich allerdings auch um einen Service Public eines Staatsbetriebs, der von der öffentlichen Hand alimentiert wird. Vom zuständigen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) von Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist trotzdem kein Widerstand gegen Schliessungen zu erwarten.
Ein Sprecher verweist auf Anfrage von CH Media auf parlamentarische Vorstösse zum Thema, die der Bundesrat damit beantwortet hat, dass er sich nicht einmischen will. «Die Festlegung des Verkaufsstellennetzes ist eine operative Aufgabe der SBB», schreibt die Landesregierung etwa in einer Antwort auf einen Vorstoss.
Es gebe für die Schliessung von Schaltern keine starren und fixen Kriterien, teilte der Bundesrat im August 2018 mit. Auch eine mehrjährige Planungsübersicht existiere nicht. Welche bedienten Schalter als nächste geschlossen werden, bleibt deshalb das Geheimnis der SBB. (aargauerzeitung.ch)