Der Bundesrat macht Ernst: Ab 1. Oktober sollen alle Ungeimpften wieder für ihre Corona-Tests bezahlen, jedenfalls sofern sie keine Symptome haben.
Unfair sei es, dass die geimpfte Allgemeinheit für die unsolidarischen Piksverweigerer aufkommen müssen, begründet der Bundesrat seinen Entscheid. «Jemand, der sich jedes Wochenende testen lässt, kostet die Gesellschaft in zehn Wochen 500 Franken», sagte Gesundheitsminister Alain Berset an der Pressekonferenz am Mittwoch.
Das stimmt natürlich. Corona-Tests für ungeimpfte Nachtschwärmer kosten Geld. Fair im Sinne des Verursacherprinzips ist dies nicht. Doch ist diese Rechnung nicht zu einfach? Mit dem Wegfall von potenziell tausenden täglichen Tests fällt auch ein beträchtlicher Teil eines der wichtigsten Überwachungsinstrumente dieser Pandemie weg. Dies, kombiniert mit den steigenden Delta-Fallzahlen, könnte zu einer Spirale an vermehrten Ausbrüchen, Hospitalisationen und schlimmstenfalls lokalen Shutdowns führen. Die Rechnung dafür dürfte dann deutlich happiger ausfallen.
«Man kann sich so ein Worst-Case-Szenario vorstellen, in dem das verminderte Testen zu Folgen führt, die der Volksgesundheit und dem Steuerzahler letztlich teurer zu stehen kommen», sagt Marius Brülhart, Leiter der Expertengruppe Economics bei der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne.
«Es ist eine Güterabwägung. Alles hat seinen Preis. Das Risiko, dass sich nun weniger Leute testen lassen, ist real. Und klar: Je mehr Leute sich testen lassen, desto besser.» Dass die Testfrequenz nun also sinke, sei die Kehrseite dieser Politik.
Für Brülhart stehen bei diesem Strategiewechsel des Bundes jedoch nicht die Kosteneinsparungen im Vordergrund, sondern das Ziel, die Impfquote zu erhöhen. Und dafür sei die Streichung der Gratis-Tests sinnvoll. «Unsere beste Waffe in dieser Pandemie ist die Impfung, da stellt sich die Frage, wie kann man die Impfung zu mehr Leuten bringen?»
Da gäbe es einerseits die Aufklärung: Mittels sanften Stupsern wie Impftrucks oder Informationskampagnen Leute überzeugen, die bis anhin keine grosse Meinung zu den Impfungen hatten «und sich zum Beispiel aus Lethargie nicht impfen liessen», sagt Brülhart.
Andererseits gäbe es materielle Anreize: «Wenn man es den Leuten zu einfach macht, sich nicht zu impfen, dann wird auch die Impfbereitschaft nicht sehr hoch sein. Das ist eine rein ökonomische Abwägung», so der Ökonom.
Die Schweiz verfolge die Devise, keinen Impfzwang einzuführen. Der Preis für die Ungeimpften dürfe also nicht unendlich hoch sein. «Aber dass das Nicht-Impfen gar kein Preisschild trägt, ist auch nicht Sinn der Sache. Wir wünschen uns zur Überwindung dieser Pandemie ja schon möglichst viele geimpfte Personen», sagt Brülhart.
Fragt sich, ob das Preisschild nun hoch genug angesetzt wurde, um einen signifikanten Teil der Ungeimpften umzustimmen. Ein Blick ins Ausland könnte hier Antworten liefern.
In Italien kosten Schnelltests 20 bis 60 Euro. Zudem gelten seit letztem Freitag strengere Regeln für den Eintritt in Restaurants, Museen und anderen Einrichtungen. Diese dürfen nur noch mit einem Zertifikat betreten werden.
Das schlägt sich auch auf die Zahl der täglichen Impfungen nieder. Die Gesamtzahl geht zwar zurück, allerdings lassen sich seit Mitte Juli wieder deutlich mehr Leute zum ersten Mal impfen. Zudem hat bei den Jugendlichen regelrecht ein Run auf Impfungen eingesetzt.
Ähnlich sieht es in Frankreich aus. Ab 1. Oktober werden auch dort die Corona-Tests kostenpflichtig sein. Zudem dürfen seit diesem Montag nur noch Personen mit einem «pass sanitaire» in Restaurants und Cafés. Für Zug- und Busreisen gilt dies ebenfalls. Auch hat Frankreich für gewisse Berufsgruppen wie Gesundheits- oder Bahnpersonal eine Impfpflicht erlassen.
Ein Blick in die Impfstatistik zeigt: Die Massnahmen haben Wirkung gezeigt. Zumindest kurzfristig hat sich die Impfkadenz fast verdoppelt. Mittlerweile sinkt sie allerdings wieder.
Die Anreize scheinen im Ausland also doch einige Leute dazu zu bewegen, sich impfen zu lassen. Ganz auf die Schweiz übertragen lässt sich dies allerdings nicht. Hierzulande wird darauf verzichtet, für Restaurant- und Cafébesuche ein Zertifikat vorzeigen zu müssen. Dies dürfte ein nicht unwesentlicher Anteil am Impferfolg im Ausland gehabt haben.
Marius Brülhart jedenfalls ist sich sicher: «Ich glaube, der finanzielle Anreiz in der Schweiz wird eine gewisse Wirkung zeigen. Es ist einfache Ökonomie: Wird etwas teurer, gibt es weniger Nachfrage. Und momentan wird das Ungeimpft-Sein wesentlich teurer gemacht.»
Das ist das Preisschild.
Ist die bisherige Impfweigerung persönliche Überzeugung oder Faulheit?
Ich habe durchaus für beides Verständnis, es nimmt mich einfach wunder...