Wer in Europa in einem Burger King isst, schickt einen Teil des Geldes in die Schweiz: Die Muttergesellschaft RBI hat ihren Europasitz in Zug. Wer eine Spritze von Moderna erhält, stärkt den Basler Europa-Hauptsitz. Und je mehr Werbung Google verkauft, desto mehr Mitarbeitende beschäftigt der US-Konzern in Zürich, dem grössten Standort ausserhalb der USA.
Das sind keine Einzelbeispiele: Die Schweizer Wirtschaft ist so international wie kaum eine zweite in Europa. Die multinationalen Firmen aus- und inländischer Herkunft sind essenziell für den Wohlstand: Sie machen zwar nur fünf Prozent der Firmen aus, doch 26 Prozent der Beschäftigten sind bei ihnen angestellt. Sie tragen 36 Prozent zum Bruttoinlandprodukt (BIP) bei und fast die Hälfte des Steueraufkommens der Firmen auf Bundesebene.
Doch die Schweiz verliert an Boden, wie eine neue Studie des Beratungsunternehmens Bearingpoint zeigt. In den letzten Jahren konnte die Schweiz weniger neue Hauptsitze anlocken als die Niederlande, Luxemburg oder Grossbritannien. Zwar werden hierzulande viele Forschungszentren internationaler Firmen eröffnet. Der Anteil an globalen oder regionalen Hauptsitzen und Finanzholdings unter den Neuzuzügen nimmt aber ab.
Entscheidet sich eine Firma gegen die Schweiz, kommuniziert sie das selten aktiv. Bekannt sind Fälle wie jene des Outdoor-Ausrüsters Black Diamond, der vor einigen Jahren nach Österreich gezogen ist. Kein Glück hatte die Schweiz auch bei Apple: Der Konzern entschied sich kürzlich, sein europäisches Zentrum für Chipdesign in München zu eröffnen.
Wieso stottert der Ansiedlungsmotor? Die Autoren sehen mehrere Gründe:
Der «Skill Shortage Index» von Adecco zeigt, dass der Fachkräftemangel zunimmt. Abhilfe schaffen könnten neue Rollenmodelle: Insbesondere in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) fehlen noch immer die Frauen.
Die vielen Babyboomer gehen in Rente. Im Jahr 2050 werden über 65-Jährige einen Anteil von 25.6 Prozent an der Bevölkerung haben gegenüber 18.9 Prozent heute. Der Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter dürfte von 61.2 auf 55.1 Prozent fallen. «Das wird nicht nur die Renten negativ beeinflussen, sondern auch die ökonomische Performance und den Wohlstand», so die Autoren. Es brauche Strategien, dem entgegenzuwirken.
Die Schweiz schneidet in Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit gut ab, aber nicht mehr zuverlässig auf dem ersten Platz. Im «World Digital Competitiveness Ranking», das aufzeigt, wie gut ein Land die Digitalisierung meistern wird, landet die Schweiz hinter Dänemark, Singapur und Schweden. «Das birgt die Gefahr, dass die Schweiz an Attraktivität für den schnell wachsenden Technologiemarkt verliert», halten die Fachleute fest. Allerdings weisen die Autoren auch darauf hin, dass die Schweiz weiterhin in vielen Rankings führt, in denen es darum geht, wie gut die Erwerbsbevölkerung ausgebildet ist und wie attraktiv ein Land für ausländische Talente ist.
Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 werden immer weniger Investitionsprojekte von ausländischen Firmen in der Schweiz gezählt. Im letzten Jahr waren es 75, noch im Jahr 2006 hingegen 136. Das liegt laut Bearingpoint auch daran, dass die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern an steuerlicher Attraktivität einbüsst. Die OECD-Mindeststeuer dürfte diesen Trend beschleunigen. Wie die Schweiz darauf reagiere, sei entscheidend, gerade wenn es darum gehe, Arbeitsplätze für Forschung und Entwicklung anzusiedeln. Länder wie Irland, Grossbritannien, die Niederlande, Deutschland, Spanien oder Singapur würden viel Geld investieren, um ähnliche Industrien zu fördern.
Die bestehenden Cluster - also Orte, an denen viele Firmen und Institute aus der gleichen Industrie angesiedelt sind wie die Pharmaindustrie in Basel - seien zwar gesichert, neue entstünden aber kaum. Innovation sei auf existierende Cluster limitiert. Als Problem identifizieren die Autoren auch, dass die Schweiz nicht mehr am Horizon-Forschungsprogramm der EU teilnehmen kann.
Zwar ist die hiesige Infrastruktur noch immer top. Offen ist laut den Autoren aber, ob die Energiesicherheit mit dem geplanten AKW-Aus gegeben ist.
Die Schweiz dient vielen Firmen dank ihrer Kaufkraft und einer hohen Diversität der Bevölkerung als Testmarkt. Doch weil viel Unsicherheit in den Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin, der EU, steckt, könnten sich viele Firmen künftig für einen Sitz in der Union entscheiden. Eine aktuelle Umfrage unter Verantwortungsträgern in Firmen zeige, dass viele mit einem schlechteren Marktzugang in die EU rechnen.
Wird der Franken noch teurer und verschwinden gleichzeitig Steuervorteile, werden die Kosten für einen Schweizer Standort im Vergleich noch höher.
Für den hiesigen Arbeitsmarkt spreche seine Flexibilität. Doch vergleichsweise neue Regulierung wie Quoten für Fachleute aus Drittstaaten oder die Bürokratie, die mit dem Einholen von Arbeitserlaubnissen kommt, sei ein Problem.
Doch wie ernst müssen die Warnungen genommen werden angesichts einer boomenden Wirtschaft, tiefen Arbeitslosenquote und viel Zuwanderung? Die Autoren greifen auf ein drastisches Bild zurück, um diese Frage zu beantworten: Wenn ein Frosch ins heisse Wasser geschmissen wird, springt er raus. Wird das Wasser aber kontinuierlich wärmer, realisiert er es nicht - und wird in der Hitze sterben. (aargauerzeitung.ch)
Bei jedem Wachstum gibt es Sättigung, wer das nicht sieht, kriegt den Hals nicht voll und erstickt letztendlich. Der Autor setzt einfach unendliches Wachstum voraus und hinterfragt dies nicht, leider.