In diesem Sommer treffen Extreme aufeinander. Die Nachfrage boomt; Tourismus-Rekorde werden fallen. Doch die Industrie, welche diese Rekorde meistern muss, bleibt dünn aufgestellt; es mangelt weiterhin an Personal. Köchinnen und Kellner werden händeringend gesucht. Dies nicht nur in der Schweiz, auch in beliebten Destinationen im Ausland.
Sie ist offensichtlich noch nicht zurück, die alte Normalität. Das zeigen Aufschreie wie dieser: «Der Personalmangel rüttelt an den Grundfesten des Gastgewerbes». Der Satz stammt von Maurus Ebneter, Präsident des Wirteverbands Basel-Stadt. Es seien nicht mehr die Arbeitgeber, die unter vielen Mitarbeitenden auswählen können. «Die Angestellten suchen aus!»
Für die Gäste heisst dies: Die Wahrscheinlichkeit bleibt hoch, an ein Hotel oder Restaurant zu gelangen, wo das Personal zu knapp ist und es eigentlich ein paar Mitarbeitende mehr bräuchte. 39 Prozent aller Gastronomie-Unternehmen geben an, sie hätten zu wenig Personal. Das hat eine Umfrage ergeben, welche die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) durchgeführt hat.
Und das war im April, der zu den ruhigeren Monaten gehört. 39 Prozent - das ist weniger als auf dem Höhepunkt, als die Hälfte über Personalmangel klagte. Doch es sind noch immer über vier Mal mehr, als es vor der Coronapandemie durchschnittlich waren.
«Der Anteil der Betriebe hat zwar etwas abgenommen, ist aber weiterhin sehr hoch», kommentiert KOF-Experte Klaus Abberger die Rückmeldungen.
Es wird so bald nicht besser. Simon Wey, Chefökonom des Arbeitgeberverbands, glaubt gar:
Aus dem Gastgewerbe sei zu hören, man blicke zuversichtlich auf den Sommer. «Das wird die Lage wieder verschärfen.» Ohnehin halte nach wie vor nichts die Wirtschaft mehr zurück als der Mangel an Arbeitskräften.
Was sich in der Schweiz abspielt, ist europäische Normalität. Der Arbeitsmarkt boomt mehr oder weniger überall. So ist es auch im neuen Employment Outlook zu lesen, welchen der Länderverein OECD veröffentlicht hat. Die Arbeitslosenquote sei in den Mitgliederländern auf dem tiefsten Stand «seit Jahrzehnten». Zwar gebe es Anzeichen dafür, dass der Boom nachlasse, jedoch gelte: «die Arbeitsmärkte bleiben angespannt».
In der Eurozone ist die Arbeitslosenquote ebenfalls rekordtief; in der Statistik findet sich kein tieferer Wert als die aktuellen 6.5 Prozent. Köche und Kellnerinnen werden darum auch in den touristischen Hochburgen in Frankreich, Italien oder Spanien händeringend gesucht.
Der Tourismus erholt sich weltweit sehr schnell von Corona. Die Rekordzahlen sind nicht mehr weit entfernt, die 2019 im letzten Jahr vor Corona erreicht wurden. Europa ist wieder bei 90 Prozent des damaligen Umsatzes angelangt, wie die Weltorganisation für Tourismus meldete. Im ersten Quartal 2023 waren weltweit 235 Millionen Reisende unterwegs - mehr als doppelt so viele wie ein Jahr zuvor.
In der Schweiz ist das Tempo ähnlich gross, teils gross. Gemäss den Prognosen der KOF wird in der Sommersaison ein Allzeitrekord aufgestellt werden: mehr Übernachtungen als je zuvor.
Es ist teilweise eine Nachwirkung aus der Coronazeit. Damals waren viele Menschen in der Schweiz gezwungen, das eigene Wohnland als Ferienort zu entdecken. Nun kehren viele freiwillig dorthin zurück. Hinzu kommt nun die Rückkehr der ausländischen Gäste, vor allem aus den USA, aus China und Südostasien. Zusammen ergibt dies einen Nachfrage-Boom.
Es gibt auch Trends, welche etwas Boom aus dem Boom herausnehmen könnten. Ein solcher könnte die triste Lohnentwicklung sein.
In der Schweiz dürfte es 2023 eine Nullrunde geben: Laut KOF-Prognose kommt am Ende real gar nichts dazu, wenn man von den nominalen Zunahmen die Inflation abzieht. Und da 2021 noch schlechter war und 2022 so richtig schlecht, ist ein trauriger Rekord entstanden: Die durchschnittlichen Reallöhne sind in drei Jahren um 0.9 Prozent gesunken - so schlecht ist es zuvor nie gelaufen, nie in acht Jahrzehnten.
Doch auch hier ist die Schweiz nur internationale Normalität, wobei es in der übrigen Welt zumeist noch schlechter lief, wie die OECD berichtet. Die Reallöhne seien in 30 von 34 Ländern tiefer gewesen im ersten Quartal 2023 als ein Jahr zuvor. Im Mittel sind sie um 3.8 Prozent gesunken.
Dies könnte die Ausgabenfreude trüben. Doch sicher ist dies nicht. Nach Jahren des Verzichts könnten viele Reisende das Geld dennoch mit beiden Händen in die Restaurants und Hotels tragen wollen. Erst nach dem Ferienrausch würde gespart. Der Andrang bliebe gross.
Wenn es im Hotel oder Restaurant irgendwo stocken sollte, dann ist wohl in der Küche. Dort ist der Personalmangel anscheinend am grössten. So zeigt sich dies zumindest in den Jobinseraten von Gastroexpress. In der Küche sind am meisten Jobs unbesetzt, gefolgt vom Service und mit grossem Abstand in Administration und am Empfang. Wenn es in Hotels und Restaurants also stockt, dann wohl in der Küche.
Schweiz Tourismus geht davon aus, dass der Personalmangel «spürbar» bleiben werde. Dabei stützt sich die Marketingorganisation auf spontane Rückmeldungen aus der Branche, wie Sprecher Markus Berger sagt. Fehlen werde vor allem hoch qualifiziertes Personal wie zum Beispiel Chefköchinnen oder Reservationsmanager.
Spürbar könne es insbesondere an Orten werden, die ohnehin ständig viele Gäste haben, oder dann zu Spitzenzeiten. Zum Beispiel an einem sonnigen Wochenende in einem Ausflugsrestaurant. Derlei habe es jedoch in der Vergangenheit auch schon gegeben. «Das wird zu bewältigen sein, es genügt etwas Goodwill von beiden Seiten: Gästen wie Gastgebern.»
Weltweit hat sich in den Coronajahren gezeigt, dass Marktwirtschaften sich schnell an widrige Umstände anpassen können. Im Gastgewerbe jedoch ist dies heikler. Denn genau das wollen die Gäste in ihren Sommerferien gerade nicht: sich mit widrigen Umständen herumschlagen. (bzbasel.ch)
Anstatt nur die Preise zu erhöhen, könnte man einen fairen Lohn zahlen. Es ist erstaunlich wie viele arbeitswillige Menschen man findet, wenn man vom Lohn auch tatsächlich leben kann.