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Warum Worldline an jedem digitalen Trinkgeld mitverdient

Beim Bezahlen wird das Mobiltelefon zunehmend wichtiger, sagt Marc Schluep.
Beim Bezahlen wird das Mobiltelefon zunehmend wichtiger, sagt Marc Schluep.bild: keystone
Interview

«Bargeld kostet ebenfalls» – warum Worldline an jedem digitalen Trinkgeld mitverdient

Wer in der Schweiz digital bezahlt, kommt um Worldline nicht herum. Im Interview erklärt Marc Schluep, wann Kartenzahlungen günstiger werden könnten – und warum es Münz und Nötli noch lange geben wird.
04.04.2023, 15:38
Pascal Michel und Rahel Künzler / ch media
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Der französische Konzern Worldline ist ein unbekannter Riese: Als Zahlungsabwickler für Debit- und Kreditkarten setzt er jährlich über drei Milliarden Euro um. Dennoch fliegt die Firma weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit. Nur wer an der Kasse beim Grossverteiler genau hinschaut, entdeckt am Bezahlterminal das Firmenlogo. Das Geschäftsmodell ist einträglich: An jeder Kartenzahlung verdient das Unternehmen mit - auch in der Schweiz, wo Worldline rund 800 Mitarbeitende beschäftigt. Marc Schluep, der Chef des Schweizer Geschäfts, spricht im Interview über Gebühren, Trinkgelder - und die Zukunft des Bargelds.

Marc Schluep, Managing Director von Worldline in der Schweiz.
Marc Schluep, Managing Director von Worldline in der Schweiz.bild: screenshot linkedin

Welche Auswirkungen hat der Untergang der Credit Suisse auf Worldline als grössten Zahlungsabwickler der Schweiz?
Marc Schluep: Vorerst ändert sich nichts. Ich gehe davon aus, dass die UBS die Kredit- und Debitkarten, welche die Credit Suisse herausgibt, übernimmt. Aber klar: Die Banken sind im System des bargeldlosen Bezahlens wichtig. Sie geben die Karten heraus, belasten dem Kontoinhaber die Zahlung, und wir als sogenannter Acquirer sorgen dafür, dass der Betrag beim Händler ankommt. Dass eine Grossbank mit langer Geschichte untergeht, ist eine Tragödie. Dennoch bin ich froh, dass die CS nicht Konkurs anmelden musste. Das hätte weitreichende Folgen für das Zahlungssystem gehabt.

Gibt es für ein solches Szenario Notfallpläne?
Ja. Banken wie auch Zahlungsabwickler hinterlegen bei den Kartenorganisationen wie beispielsweise Visa und Mastercard finanzielle Sicherheiten. Fällt einer der beiden Akteure aus, können die Kartenfirmen darauf zurückgreifen. Was viele nicht wissen: Auch wenn ein Händler nicht liefert, müssen wir als Zahlungsabwickler dafür garantieren, dass der Kunde sein Geld zurückbekommt.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Ich hatte für die ganze Familie bei der Berner Airline Skywork Flüge nach Korsika gebucht. Als die Fluggesellschaft in Konkurs ging, konnte ich bei meiner Hausbank den Betrag, den ich bereits per Kreditkarte bezahlt hatte, zurückfordern. Bezahlt dafür hat letztlich Worldline.

Sie sind also auch eine Art Versicherer. Wie viel Geld stellt das Unternehmen dafür pro Jahr zurück?
Das kommunizieren wir nicht. Aber im Fall der Airline Skywork waren es beispielsweise 50 Millionen Franken, die Worldline an Kunden ausbezahlt hat. Natürlich sichern wir uns gerade bei risikoreichen Geschäften – dazu gehört die Flugbranche – ab und verlangen von solchen Firmen auch Sicherheiten, beispielsweise in Form von Bargeld oder Bankgarantien.

Das heisst, die Swiss muss bei Ihnen erhebliche Sicherheiten deponieren?
Ja. Der Lufthansa-Konzern ist ein grosser Kunde.

Händler müssen also für das höhere Risiko aufkommen. Bezahlen auch Kunden bei Flugbuchungen per Karte höhere Gebühren?
Es ist klar, dass wir bei der Gebührenstruktur das Ausfallrisiko des jeweiligen Händlers berücksichtigen. Der Händler wiederum berücksichtigt diese Kosten bei der Preisgestaltung. Sie dürfen allerdings ihren Kunden für Kartenzahlungen keine zusätzlichen Gebühren verrechnen, womit der Kunde unabhängig vom eingesetzten Zahlungsmittel immer den gleichen Preis bezahlt.

Dass Ihr Unternehmen bei jeder Kartenzahlung durchschnittlich 1.5 Prozent einstreicht, sorgt für Kritik. Wie viel Gewinn bleibt davon?
Für die Schweiz geben wir keine Zahlen bekannt. Worldline erwirtschaftete letztes Jahr einen Umsatz von drei Milliarden Euro. Die Marge vor Steuern und Abschreibungen betrug rund 29 Prozent. Die Nettogewinnmarge ist dann tiefer.

Fakt ist, dass Sie bei jeder Kartenzahlung mitverdienen. Dabei ist das Geschäftsmodell beliebig skalierbar: Einmal aufgesetzt, fällt es nicht mehr ins Gewicht, ob das Unternehmen 1000 oder 1 Million Transaktionen abwickelt, die Kosten steigen nicht mehr – wohl aber der Gewinn. Ist das gerechtfertigt?
Unser Fixkostenanteil ist relativ hoch, was skalierbare Geschäftsmodelle auszeichnet. Jede Transaktion generiert aber auch variable Kosten, insbesondere das Interbankenentgelt (siehe Grafik) und die Gebühren der Kartenorganisationen. Darüber hinaus stehen wir in einem intensiven Wettbewerb …

… Sie dominieren den Schweizer Markt. In der «Republik» war zu lesen, dass Worldline 90 Prozent Marktanteil hat. Wo soll da der Wettbewerb spielen?
Das stimmt nicht. Wenn man das Umsatzvolumen anschaut, haben wir einen Marktanteil von ungefähr 70 Prozent. Dafür sorgen vor allem grosse Kunden wie Migros, Coop oder die SBB. Bei der Anzahl Händlerkunden sieht es anders aus: Da haben wir einen Marktanteil von etwa 60 Prozent. Wichtige Konkurrenten sind hier Sumup, Twint oder der italienische Konzern Nexi. Nach Jahren der Konzentration treten wieder neue Anbieter auf den Plan, etwa Wallee oder Stripe.

Das Kartengeschäft verändert sich schnell. Eine Entwicklung bedroht ihr Geschäft direkt: Banken sollen ab Sommer 2024 Belastungen in Echtzeit zulassen – dann braucht es sie nicht mehr.
Die Idee ist da tatsächlich, dass die Bank des Endkunden den Betrag direkt an die Bank des Händlers überweist – der Zwischenschritt über uns fiele weg. Der Vorteil ist, dass kein Ausfallrisiko mehr besteht: Es kann nur ein Kunde bezahlen, der auch Geld auf dem Konto hat. Für den Händler stellt sich dennoch die Frage, ob er täglich Tausende Abrechnungen in Echtzeit erhalten und am Abend alles mit der Kasse selbst abgleichen will – oder ob er eine Sammelrechnung eines Dienstleisters vorzieht.

Die Wettbewerbskommission (Weko) wird noch dieses Jahr entscheiden, ob sie die sogenannte Interbanken-Gebühr senken muss. Diese beträgt heute 0.44 Prozent und fliesst zu den Banken. Würden Sie das direkt weitergeben?
Es kommt drauf an. Die Kommission, die wir dem Händler verrechnen, enthält drei Komponenten: das Interbanken-Entgelt, das die Banken entschädigt. Die Kartengebühr, die Visa oder Mastercard verlangen. Und die Kosten, die wir für unsere Leistung verrechnen. Die Gebührenstruktur ist hochkomplex und unterscheidet sich je nach Karte. Bei den grossen Kunden wie Migros oder Coop werden diese drei Kostenkomponenten für jede einzelne Transaktion separat berechnet, womit eine Senkung der Interbanken-Gebühr direkt weitergegeben würde.

Und beim Restaurant oder in der Bäckerei?
Das wäre nicht zwingend der Fall. Gerade mit kleineren Händlern haben wir langfristige Verträge mit klarer Kostenstruktur. Sie wissen, für eine gewisse Karte fällt eine bestimmte Gebühr an. Das schafft Planungssicherheit. Hier aktualisieren wir unsere Preise nicht tagesaktuell.

Sie könnten aber die Verträge aufdatieren. Das wäre kundenfreundlich.
Die Verträge werden periodisch angepasst, nach oben wie nach unten. Die Interbanken-Gebühr ist nicht die einzige Komponente, die sich ändern kann. Es gibt einen ganzen Gebührendschungel für alle möglichen verfügbaren Karten. So steigen beispielsweise die Gebühren, die Visa und Mastercard einfordern, stetig.

Gerade kleine Händler und Restaurants kritisieren, dass Sie am Trinkgeld mitverdienen. Die Gebühren fallen nämlich auf dem Gesamtbetrag an. Wäre es technisch möglich, das Trinkgeld von der Gebühr zu befreien?
Möglich ist es. In unseren Kartenterminals kann man den Trinkgeldbetrag ja separat eintippen. Dieser Teil der Zahlung wird in unserem System dann auch so erfasst.

Wieso tun Sie das nicht?
Zum einen würde es einen überproportionalen technischen Entwicklungsaufwand bedeuten, zum anderen sind die Grenzen sehr schwer zu ziehen: Es würde sich etwa die Frage stellen, ob nicht auch karitative Organisationen oder Branchen mit geringen Gewinnmargen Anrecht auf Gebührenbefreiung beim Trinkgeld hätten. Und wir sollten nicht vergessen, dass auch beim Trinkgeld variable Kosten anfallen und das Bezahlen mit Bargeld ebenfalls etwas kostet.

Inwiefern?
Bei Barzahlungen besteht ein viel höheres Diebstahlrisiko als bei elektronischen Zahlungen. Man muss das Geld zählen, prüfen, ob es mit der Kasse übereinstimmt und es zur Bank bringen. Auf dieser Basis hat die Wettbewerbskommission 2014 übrigens entschieden, dass Händler bei Zahlung mit Kreditkarte keine Zusatzgebühren in Rechnung stellen dürfen. Das hatten etwa Fluggesellschaften lange gemacht. Die Weko hat interveniert, weil Kartenzahlungen nicht teurer sind als Barzahlungen.

Wohin entwickelt sich der Standort Schweiz in den nächsten Jahren?
Der Blick zurück zeigt, dass Worldline seit der Übernahme von SIX Payment Services im Jahr 2018 relativ stark gewachsen ist. Damals sind wir mit rund 600 Mitarbeitenden gestartet. Heute sind es 800.

Wie wollen Sie weiter wachsen?
Wir haben in den vergangenen Monaten zwei neue Produkte eingeführt, die sich an Kleinhändler richten. Einerseits ist da ein kleineres Kartenlesegerät, das sich gut an mobilen Verkaufsständen oder unterwegs von Monteuren oder Handelsreisenden einsetzen lässt.

Und die zweite Neuerung?
Das ist eine App, mit der sich das Smartphone direkt zum Terminal umfunktionieren lässt. Sie ist an sich kostenlos, bei jeder Transaktion fällt dann eine pauschale Gebühr von 1.7 Prozent an.

Digitales Zahlen hat durch die Pandemie einen kräftigen Schub erlebt. Wie lange dauert es noch, bis Bargeld ganz verschwindet?
Wir werden noch sehr lange Bargeld haben. Es ist ein Bedürfnis. Ich stelle fest, dass es in der Schweiz lange dauert, bis sich Gewohnheiten ändern. In der Covid-Zeit hat der Anteil digitaler Zahlungsmittel am Transaktionsvolumen um etwa zehn Prozent zugenommen. Nun ist der Trend wieder rückläufig, die Leute fallen zurück in alte Muster. Ich zahle wenn immer möglich mit dem Smartphone. Im Inland brauche ich Twint, beim Onlineshopping als auch in Geschäften vor Ort.

Dann verdient Worldline bei Twint-Zahlungen also nichts an Ihnen?
Doch. Nur bei kleinen Geschäften, die den statischen Twint-QR-Code einsetzen, werden die Zahlungen direkt über Twint abgewickelt. Wenn man jedoch bei Coop oder Migros an der Kasse mit Twint bezahlt, steht in der Regel Worldline oder ein anderer Acquirer als Zahlungsabwickler dazwischen.

Wie wird sich das Zahlen per Smartphone entwickeln?
Bereits heute kann beobachtet werden, dass der Zahlungsvorgang zunehmend ins Kauferlebnis integriert wird. Kleidungsstücke oder Elektronik werden immer öfter unterwegs per App bestellt. Weil die Zahlungsmittel bereits hinterlegt sind, ist der Einkauf mit einem Klick bestätigt. Es gibt auch schon Restaurants, in denen man via QR-Code auf die Menükarte gelangt, die Bestellung digital aufgibt und dann auch gleich zahlt. Händler setzen deshalb zunehmend auf IT-Systeme, die neben der Bezahlung zusätzliche Dienstleistungen wie einen Onlineshop, die Buchhaltung oder Lagerbewirtschaftung abdecken.

Will Worldline auf diesem Markt auch mitmischen?
Wir haben überlegt, in unserer neuen App künftig Module mit weiteren Funktionen zusätzlich zur Zahlungsabwicklung anzubieten. Aber dazu ist noch nichts spruchreif.

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21 Kommentare
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Henri Lapin
04.04.2023 17:27registriert November 2017
Trinkgeld von mir auschliesslich bar.
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