Schweiz
Wirtschaft

Professor Brunetti über die Credit Suisse und Silicon Valley Bank

Interview

«Wenn die Credit Suisse nicht mehr lebensfähig ist, dann muss sie in Konkurs gehen können»

Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti erklärt, wieso alle Bankaktien unter der Pleite einer US-Regionalbank leiden, warum die Zinsen jetzt trotz drohender Bankenkrise weiter steigen müssen – und weshalb die Credit Suisse nicht gerettet werden muss.
15.03.2023, 11:1316.03.2023, 08:24
Daniel Zulauf und Florence Vuichard / ch media
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Ökonomie-Professor Aymo Brunetti an der Universität in Bern.Bild: KEYSTONE

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Sie haben Ihr letztes Buch vor fünf Jahren geschrieben und der Weltwirtschaft zehn Jahre nach der Finanzkrise den «Ausnahmezustand» bescheinigt. Sind wir jetzt wieder zurück in der Krise?
Aymo Brunetti: Die aktuelle Situation ist nicht mit jener von 2008 vergleichbar. Es sind einzelne Banken, die wegen ihres Geschäftsmodells und hausgemachter Fehler in Schwierigkeiten geraten sind. Aber wir haben nach heutigem Wissensstand kein grundsätzliches Problem wie damals, als in den Bilanzen aller systemrelevanten Banken sehr explosive Werte verborgen waren.

CS-Aktien fallen unter 2 Franken
Weniger als ein Zweifränklker. Die Aktien der Credit Suisse befinden sich im Sinkflug und sind am Mittwoch erstmals unter die Marke von 2 Franken gefallen. Belastet von Aussagen des saudischen Grossaktionärs wurde ein neuer Tiefstkurs bei 1,9935 Franken notiert.

Dann ist jetzt also alles gut und die Börsen sind hysterisch?
Nein. Wir befinden uns auf dem notwendigen Weg zu höheren Zinsen. Dass dieser Weg steinig wird, weiss man schon lange. Es gibt Korrekturen in den Finanzmärkten und vereinzelt auch hohe Verluste. Aber die Regulatoren prüfen seit der Finanzkrise regelmässig unter anderem in Stresstests, ob die systemrelevanten Banken bei Schocks genug kapitalisiert und liquide sind. Die Sicherheitsmarge ist heute viel grösser als damals. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus den aktuellen Verwerfungen eine neue Finanzkrise entsteht, ist eher klein.

Aymo Brunetti, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Bern, befürchtet, dass der wirtschaftliche Einbruch wegen der Coronakrise wesentlich ausgeprägter sein wird als damals bei der Finanzkrise.  ...
Bild: KEYSTONE
Mister «Too big to fail»
Aymo Brunetti (60) gilt als einer der Väter des «Too big to fail»-Regelwerks. Der Ökonomieprofessor arbeitete im Nachgang der Finanzkrise intensiv mit an den Stabilitätsregeln für systemrelevante Banken – zuerst als Chefökonom im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), dann ab 2012 als Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Bern. Brunetti ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Kinder und lebt in Basel. (fv)

Die Puffer der Banken sind zwar dicker als 2007, aber die Bilanzen der Notenbanken sind auch zehnmal grösser als damals. Unterläuft die Liquiditätsflut nicht die Sicherheitsmargen der Banken?
Die extrem expansive Politik der Notenbanken und die daraus folgende Liquiditätsflut hat die Finanzstabilität nicht verbessert. Umso wichtiger sind die Puffer, die wir eingebaut haben. Ich war schon immer der Meinung, dass es ein Fehler war, nach der Finanzkrise so lange eine so expansive Geldpolitik weiterzufähren.

Die Notenbanken wollten damit auch die Deflationsrisiken senken.
Die haben in meiner Einschätzung seit der Finanzkrise gar nie wirklich bestanden. Mit ihrer expansiven Geldpolitik haben die Notenbanken die Inflation nicht hochgebracht, dafür aber Preisblasen erzeugt bei den Vermögenswerten bei Aktien, Immobilien oder auch Kunstgegenständen. Das korrigiert sich jetzt wieder, in diesem Prozess stecken wir drin. Und er ist noch nicht abgeschlossen. Ich hoffe, dass die Zinsen weiter steigen.

Sie plädieren für Zinserhöhungen, auch wenn dadurch das Risiko einer Finanzkrise steigt?
Es wäre sehr problematisch, sollte die US-Notenbank Fed nun wegen dieses relativ überschaubaren Unfalls von ihrem Kurs zu höheren Zinsen abkommen. Wir müssen die Inflation jetzt bremsen. Sonst haben wir plötzlich einen sich selbstverstärkenden Inflationsprozess wie in den 1970er-Jahren, den man dann nur noch mit Radikalmethoden bekämpfen kann. Die Folgen damals waren in den USA Zinssätze von 20 Prozent, eine schwere Rezession und hohe Arbeitslosigkeit.

Die Notenbanken haben die Situation in den vergangenen Jahren immer anders beurteilt. Wieso sollten sie diesmal hart bleiben?
Sie haben alle zu lange zugewartet, aber in jüngster Zeit immerhin klar kommuniziert, dass sie die Zinsen so lange erhöhen werden, bis das Inflationsproblem gelöst ist. Ich hoffe, die Botschaft gilt weiterhin. Aber die Gefahr besteht schon, dass die Notenbanken nun wieder stehen bleiben. Das Risiko einer solchen Verzögerung wären meines Erachtens grösser als jenes einer unmittelbar bevorstehenden Finanzkrise.

Sie bezeichnen die amerikanischen Pleitebanken als Einzelfälle. Aber die Anleger haben alle Bankenaktien weltweit fallengelassen. Wie passt das zusammen?
Finanzturbulenzen kommen schnell, und Anleger können nun mal nicht innerhalb eines Tages Sorgfältigkeitsprüfungen von allen Banken machen. Um auf der sicheren Seite zu sein, werden deshalb Banktitel im grossen Stil verkauft. Es ist eine typische Reaktion auf Unsicherheit. Aber das dürfte sich wieder korrigieren, je klarer das Problem verstanden wird.

US-Präsident Biden hat seinen Landsleuten versprochen, dass ihr Geld auf amerikanischen Banken sicher sei. Hat er damit das Problem entschärft oder gar verschlimmert?
Die Finanzkrise hat uns gelehrt, dass es sich lohnt, die Panik rechtzeitig einzudämmen. Aber man muss vorsichtig sein: Wenn offizielle Statements nach Beruhigungsphrasen klingen, dann könnte sie die Situation tatsächlich verschlimmern.

Im Fall der kalifornischen Silicon Valley Bank lassen die US-Behörden zwar die Aktivseite, also das Vermögen der Aktionäre, pleitegehen, verstaatlichen aber die Passivseite der Bilanz, die Kundeneinlagen. Was halten Sie davon?
Schön ist es natürlich nicht, dass der Staat wieder eingreifen muss. Aber von allen Mitteln im Giftschrank ist die Sicherung der Kundeneinlagen noch das am wenigsten Weitgehende. Schliesslich gibt es die Einlagensicherung, sie wurde einfach ausgedehnt für Leute mit mehr als 250’000 Dollar auf dem Konto.​

Das sind im Fall der Silicon Valley Bank nicht irgendwelche Sparer, sondern Risikokapitalgesellschaften, die viel über Risiken reden, diese aber offensichtlich nicht selber tragen wollen.
Ja, es ist störend, wenn Profis wie diese nicht bestraft werden, wenn sie offensichtlich fahrlässig anlegen. Aber das Vorgehen der Behörden ist trotzdem viel weniger weitgehend als in der Finanzkrise, wo die Staaten reihenweise Banken verstaatlichen und deren Risiken vollständig übernehmen mussten. Immerhin erleiden bei der Silicon Valley Bank die Aktionäre jetzt einen Totalverlust.

Die UBS musste 2008 vom Staat gerettet werden. Aber letztlich hat das dem Land geholfen.
Hätte man die UBS in Konkurs gehen lassen, wäre es eine Katastrophe gewesen. Im Nachhinein gesehen hätte man auch Lehman Brothers retten müssen. Die Kollateralschäden des Konkurses waren viel zu gross.

FILE - Grey clouds cover the sky over a building of the Credit Suisse bank in Zurich, Switzerland, Feb. 21, 2022. Credit Suisse has reported a pre-tax loss of more than 1.3 billion Swiss francs, or ab ...
Bild: keystone

Also muss der Staat jetzt auch die Credit Suisse retten?
Nein. Genau für solche Fälle wurde das «Too big to fail»-Regime gemacht. Eine einzelne Bank muss in Konkurs gehen können. Ich hoffe ja nicht, dass es so weit kommt: Aber wenn die Credit Suisse nicht mehr lebensfähig ist, dann muss sie in Konkurs gehen können. Die «Too big to fail»-Regeln sind so konstruiert, dass das systemrelevante Schweizer Geschäft abgetrennt und separat weiter funktionieren kann.

Wann soll denn dieser «Too big to fail»-Notfallplan gestartet werden? Wenn die Aktie unter zwei Franken fällt?
Nein, wenn die CS zu wenig Eigenkapital hat. Die Börsenkapitalisierung ist hier nicht entscheidend.

Kann ein genereller Kurseinbruch bei Bankaktien auch das Vertrauen der Anleger und vielleicht sogar der Bankkunden schwächen?
Sicher. Aber der kausale Zusammenhang kann auch umgekehrt sein: Fallende Börsenkurse sind Ausdruck eines abnehmenden Vertrauens. Der Kurszerfall am Montag war Ausdruck einer grossen Unsicherheit in den Märkten. Man hat das Phänomen nicht ganz verstanden und war sich nicht sicher, ob die Krise bei der Silicon Valley Bank ein generelles Problem der Branche sein könnte oder eher nicht. In einer solche Situation gehen risikoaverse Investoren durch den Ausgang.

Dann muss auch bei der Credit Suisse der Vertrauensschwund der Kunden am Anfang gestanden haben. Müsste die Schweiz nicht nach amerikanischem Vorbild alle Kundeneinlagen der Bank garantieren?
Nein, sicher nicht. Für alle, die weniger als 100’000 Franken bei der CS haben, gibt es ja kein Risiko. Bis zu diesem Betrag ist das Geld gesichert. Wer aber dort zwei oder drei Millionen Franken in bar parkiert hat, ist selber schuld. Ich denke nicht, dass das viele sind. Auch darum ist die Gefahr eines Bankruns bei der CS eher klein.

Die Idee einer Übernahme der Credit Suisse durch die UBS scheint gerade etwas mehr Zuspruch zu bekommen – auch bei Ihnen?
Wie sinnvoll eine solche Übernahme wäre, kann ich betriebswirtschaftlich überhaupt nicht beurteilen. Aber ich bin froh, wenn die UBS in einem guten Zustand ist. Man könnte vielleicht argumentieren, dass sich aus einem Zusammenschluss der beiden Grossbanken neue Möglichkeiten ergäben, aber es entstünden sicher auch neue, kaum absehbare Risiken. Ich bezweifle deshalb, dass ein solcher Zusammenschluss eine gute Idee ist. Und ich glaube auch nicht, dass die Wettbewerbskommission einen solchen Merger ohne weiteres akzeptieren könnte.

Vielleicht ja schon, wenn sich so ein Konkurs verhindern liesse?
Auch wenn es so wäre, wäre es nicht gut für den Schweizer Markt, wenn eine so grosse Akteurin entstünde. Aber ich weiss, es gibt Leute, die haben die Vorstellung, dass es zumindest eine besonders grosse Bank braucht in der Schweiz – ein nationaler Champion. Aber das ist eine industriepolitische Idee, die ich problematisch finde.

Sie haben in Ihrem Buch die heutige amerikanische Finanzministerin Janet Yellen zitiert, die 2017 noch US-Notenbankchefin war. Sie sagte, sie erwarte nicht, dass Ihre Generation nochmals eine Finanzkrise erleben werde. Würden Sie sich dieser Prognose anschliessen?
Diese Prognose war zu apodiktisch. Insbesondere wenn man die Aussage in einer Zeit macht, in der die Notenbanken in beispielloser Weise Liquidität schaffen …

… man sagt auch Geld drucken.
Mein Punkt ist: Die Finanzkrise von 2008 ist erst wirklich ausgestanden, wenn die Geldversorgung der Wirtschaft wieder normalisiert ist. Das heisst, dass wir auch die Inflation unter Kontrolle bringen müssen. Deshalb ist mein grösstes Anliegen, dass sich die Notenbanken im Licht der aktuellen Verwerfungen nicht davon abbringen lassen, die Zinsen weiter zu erhöhen.

Wie hoch werden die Zinsen noch gehen?
Sie werden wohl noch deutlich höher gegen müssen als jetzt. Eine Inflationsrate von 6 Prozent und mehr, wie wir sie in den USA und in Europa immer noch sehen, ist inakzeptabel.

Aber die meisten Staaten, viele Haushalte und auch Unternehmen sind doch bis über beide Ohren verschuldet. Warum sollten wir uns gerade jetzt noch höhere Zinsen antun?
Damit wir später nicht noch viel höhere Zinsen brauchen, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Schulden werden in den nächsten drei oder vier Jahren nicht stark sinken. Es ist deshalb viel besser, wir akzeptieren jetzt etwa in den USA Zinsen von 5 oder 6 Prozent als zweistellige Prozentzahlen in ein paar Jahren. Dann würde das Schuldenproblem noch viel destabilisierender.

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64 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Quaoar
15.03.2023 11:40registriert Januar 2018
Mir waren negativ Zinsen schon immer suspekt. Irgendwann kommt der Zahltag. Baden halt andere aus und diejenigen welche es uns eingebrockt haben, haben ihre Pfründe eingesteckt - ungestraft!
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stoneTruth
15.03.2023 11:42registriert März 2022
Es ist ganz einfach. Geht die CS Konkurs haben mehr als 50% der KMU‘s in der CH ein Problem. Die CS muss nur gezwungen werden das defizitäre Auslandsgeschäft abzustossen.
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Rikki-Tiki-Tavi
15.03.2023 10:23registriert April 2020
Ich schätze die Analysen von Aymo Brunetti sehr, danke für dieses Interview. Er ist immer auf dem Punkt und denkt bzw sieht die Dinge langfristig.
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