Stefan Hungenberg macht so viele Menschen wach wie kaum jemand: Er ist Chef von 57 Starbucks-Filialen in der Schweiz. Dabei soll es nicht bleiben, verrät er im Gespräch im neu renovierten Kaffeehaus am Zürcher Bahnhofplatz.
Wie viele Kaffees trinken Sie pro Tag?
Stefan Hungenberg: Meistens zwei. Einen am Morgen und am Nachmittag einen doppelten Espresso.
Nie einen White Caffè Mocha mit Hafermilch oder eine andere komplizierte Variante?
Nein, ich bin da sehr klassisch unterwegs. Aber diese Variationen sind sehr wichtig für unsere Kundschaft, auch wenn der Caffè Latte nach wie vor am gefragtesten ist. Die Nachfrage nach individualisierten Getränken wird immer grösser.
In Zürich hat Starbucks vor gut 22 Jahren die erste Filiale in Kontinentaleuropa eröffnet. Die Expansion schritt stetig voran. Doch in den vergangenen Jahren sind einige Standorte zugegangen. Weshalb?
2016 bis 2019 gingen einige Filialen aus ökonomischen Gründen zu, das stimmt. Dann kam die Pandemie, in der die Zeichen natürlich auch nicht auf Expansion standen. Ich habe meine Stelle 2021 angetreten mit dem klaren Auftrag, die Marke wieder zu stärken und die Expansion zu forcieren.
Wie sieht Ihr Plan aus?
In den letzten eineinhalb Jahren haben wir sechs neue Filialen in der Schweiz und in Österreich eröffnet, vier davon in der Schweiz. Sieben weitere sind für die Schweiz und Österreich in Planung. Und wir werden das Wachstum weiter beschleunigen.
Sie haben derzeit 57 Standorte, 48 eigene und der Rest von Partnern betrieben. Konkret: Was ist mittel- bis langfristig das Ziel?
Das Potenzial ist gross und wir werden weiter investieren. Wenn es 90 sein werden, ist das super, aber wenn wir 80 Standorte haben, die alle profitabel sind, ist das auch in Ordnung. Zudem sind wir dabei, viele Standorte zu renovieren und zu modernisieren. Gleichzeitig ist es natürlich auch möglich, dass wir einzelne Standorte schliessen, wenn sie nicht profitabel sind.
Wo sehen Sie noch weisse Flecken?
In der ganzen Schweiz. Nach wie vor in Zentren wie Zürich, Genf, Lausanne, Basel oder Bern, aber auch in den kleineren Städten. Und es muss nicht immer ein grosses Café sein, in Zürich haben wir im HB eine klassische Take-away-Filiale im Kleinformat.
In den vergangenen Jahren haben sich viele unabhängige Kaffeegeschäfte etabliert und Ihnen Kundschaft streitig gemacht. Ihre Markenausstrahlung war schon stärker ...
Natürlich spüren wir die Konkurrenz. Heutzutage verkauft schliesslich praktisch jedes Geschäft Kaffee. Aber das Image von Starbucks ist in der Schweiz nach wie vor sehr stark. Bei der einheimischen Kundschaft, aber auch bei den Touristen.
Da wäre allerdings noch die Inflation. Ihr Cappuccino kostet 6.50, Ihr Latte macchiato 7.50 und Ihr Café crème 5.20 Franken. Kaufen die Kundinnen und Kunden vermehrt den billigeren Kiosk-Kaffee?
Wir spüren die Effekte der Inflation wie alle Unternehmen auch bei den Kosten, deshalb mussten wir die Preise in der Vergangenheit erhöhen. Die Nachfrage hat hingegen nicht nachgelassen. Und trotz der höheren Mehrwertsteuer haben wir jetzt die Preise nicht angehoben.
In den USA und anderen Ländern gibt es neue Filialkonzepte wie Starbucks Roastery und Starbucks Reserve, bei denen es zum Teil Tischservice und warme Mahlzeiten gibt. Ist das auch für die Schweiz denkbar?
Eine Roastery-Filiale sehe ich eher nicht in der Schweiz. Weltweit gibt es nur sechs davon, weil die Idee von der Exklusivität lebt. Ein Reserve-Geschäft erachte ich hingegen als durchaus möglich. Aber zuerst wollen wir mit den bekannten Formaten expandieren.
Wer seinen eigenen Take-away-Becher mitbringt, erhält 80 Rappen Rabatt auf das Getränk. Wie viele Leute machen davon Gebrauch?
Circa 3 Prozent bringen ihren eigenen Becher mit. Zudem haben wir eine sogenannte Cup Charge eingeführt, also eine Gebühr für die Einwegvariante in der Höhe von 10 Rappen, die an den WWF gehen. Trotzdem gab es keine Änderung beim Kundenverhalten. Das hat mich überrascht.
Wie wollen Sie die Kundschaft stärker zum nachhaltigen Konsum bringen?
Wie gesagt, hatten wir uns mehr erhofft von der Einweggebühr. Wir werden mit weiteren Aktionen versuchen, dass die Kundinnen und Kunden vermehrt ihren eigenen Getränkebecher mitbringen. Aber am Schluss bleibt der Kunde König.
Sie verkaufen auch Sandwiches, Kuchen und andere Esswaren. Wie viel Foodwaste entsteht da?
Da können wir keine konkrete Zahl nennen. Wir versuchen aber natürlich, die Menge auf so tiefem Niveau wie möglich zu halten, und arbeiten unter anderem mit Too Good To Go zusammen, um spätabends Esswaren günstig zu verkaufen.
Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften besagt, dass die Fläche der Arabica-Bohne bis 2050 um 60 Prozent schrumpfen wird im Zuge des Klimawandels. Wird Kaffee in Zukunft ein Luxusprodukt?
Ich kann keine Preisprognosen über eine so lange Zeit hinweg formulieren, das wäre nicht seriös. Aber aktuell sind wie gesagt keine weiteren Preiserhöhungen geplant.
Es gibt bereits Projekte, die an der Kaffeebohne aus dem Labor tüfteln, so wie auch beim Fleisch ...
Die DNA von Starbucks sind die Arabica-Bohnen. Wir helfen den Bauern in den entsprechenden Ländern, von denen wir den Kaffee beziehen, mit den Effekten des Klimawandels so gut wie möglich umgehen zu können. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass wir künftig Laborkaffee trinken.
In den USA haben sich die Angestellten in einer Gewerkschaft organisiert. Stehen Sie auch in der Schweiz vor schwierigen Diskussionen mit der Belegschaft?
Wir führen jedes Jahr Personalumfragen durch, die wir sehr ernst nehmen. Denn unsere Angestellten sind unser höchstes Gut. Sie sind der Kontakt zur Kundschaft. Da ist ein positives Klima unerlässlich.
Was bedeutet das in Franken beim Einstiegslohn?
Wir bezahlen mehr als den Mindestlohn. Und dann geht es sukzessive nach oben.
Stehen mehrheitlich Studentinnen und Studenten hinter der Theke?
Wir haben durchaus viele junge Angestellte, von denen einige am Studieren sind. Aber nicht nur. Wir haben auch sehr viele langjährige Teammitglieder.
Mussten Sie die Löhne erhöhen?
Wir haben sie in den letzten zwei Jahren mehrfach erhöht, je nach Aufgabengebiet. Wir haben einerseits die Inflation ausgeglichen, wollen andererseits aber auch als Arbeitgeber attraktiv sein. Schliesslich spüren auch wir die Personalknappheit in der Gastronomie.
In der Stadt Zürich wurde ein Mindestlohn von 23.90 Franken pro Stunde vom Volk angenommen. Was bedeutet das für sie?
Das ist kein Problem für uns, all unsere Mitarbeitenden erhalten heute schon mehr.
Welche anderen Massnahmen sind möglich, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein?
Unsere Mitarbeitenden dürfen schon immer während der Arbeitszeit und eine halbe Stunde danach und zuvor kostenlos Getränke konsumieren. Pro Woche erhalten sie eine Packung Kaffee gratis. Vor circa einem Jahr wurde der Rabatt auf das Foodsortiment von 30 auf 50 Prozent angehoben. Und ausserhalb der Arbeitszeit erhalten sie neu ebenfalls 50 Prozent Rabatt auf Getränke und Essen.
Im Zürcher Hauptbahnhof und in Ihrem neuen Laden Basel Schifflände setzen sie auf Take-away. Widerspricht das nicht dem Konzept von Starbucks als Kaffeehaus, in dem man sich lange aufhalten soll?
Nein. Wir wollen weiterhin grosse Kaffeehäuser eröffnen oder wiedereröffnen wie zuletzt am Bellevue in Zürich oder hoffentlich bald wieder in Zürich-Oerlikon. Gleichzeitig hat sich das Kundenverhalten aber geändert. Vor fünf Jahren konnte sich niemand vorstellen, den Kaffee nach Hause geliefert zu bekommen. Das ist mittlerweile fester Bestandteil unseres Geschäfts.
Dennoch: Starbucks begründete die hohen Preise auch immer damit, dass man dafür in einem gemütlichen Kaffeehaus ungestört lange sitzen darf, gratis Internet und Strom erhält. Bei reinen Take-away-Standorten müssten die Preise also tiefer sein!
Die Preise in allen Coffee Houses sind einheitlich. Somit haben die Gäste jeweils die Möglichkeit, sich frei zwischen To go und Bleiben zu entscheiden.
Verglichen mit vor der Coronakrise gibt es immer noch Filialen, die noch nicht wieder bei den alten Öffnungszeiten sind. Warum?
Viele Leute sind nicht mehr fünf Tage pro Woche im Büro, sondern zwei oder drei. An diese Gegebenheiten passen wir uns natürlich an. In der Summe liegen wir umsatzmässig allerdings in der Schweiz und in Österreich deutlich über dem Niveau von 2019, wobei einige Läden deutlich darüber liegen und andere das alte Niveau noch nicht wieder erreicht haben.
Wurden die Filialen vermehrt auch zum Homeoffice?
Nein, das Bild, das wir in den Filialen sehen, ist eigentlich dasselbe wie vor der Coronakrise …
… und das heisst, dass jeder zweite Sitzplatz mit Studierenden besetzt ist, die hier lernen.
Das ist doch ein gutes Zeichen! Studierende waren immer schon eine wichtige Kundengruppe für Starbucks.
Welche Jahreszeit ist die stärkste?
Das ist die «Pumpkin Spice Latte Season», die im Herbst beginnt, und natürlich die Weihnachtszeit. Das sind wichtige Monate.
Früher gab es Starbucks-Wagen bei den SBB. Ist das wieder ein Thema?
Im Moment nicht. Wir arbeiten allerdings eng mit den SBB zusammen und haben viele Standorte in Bahnhöfen.
Sie betreiben nicht alle Filialen in der Schweiz selbst. Neun Filialen führen Lizenznehmer, nämlich jene in Fribourg, im Pathé in Genf, am Flughafen Genf und am Flughafen Zürich. Dort ist es die britische SSP. In den Filialen am Flughafen Zürich sind die Preise auch entsprechend höher. Können Sie das Flughafen-Geschäft nicht selber übernehmen?
Vor einigen Jahren wurde entschieden, alle Filialen am Flughafen inklusive jener vor dem Check-in, die wir betrieben haben, an SSP zu verkaufen. Das war vor meiner Zeit, ist jetzt aber so.
Wollen Sie bei Ihrem eigenen Ausbau auch vermehrt auf Lizenznehmer setzen?
Primär versuchen wir es selbst. Wenn aber ein Partner einen Standort mieten und rentabel betreiben könnte, den wir aus irgendeinem Grund nicht selbst betreiben können, sind wir offen. Der Kunde sieht am Schluss einfach einen Starbucks. Wie wir organisiert sind, ist ihm egal.
Starbucks hat bei vielen Leuten immer noch ein negatives Image. Für sie hat Starbucks nichts mit Kaffee zu tun und echten Kaffee gibt es für sie nur an Autoraststätten in Italien. Wie kämpfen Sie dagegen an?
Ich lade alle Skeptiker zu einem Tasting ein. Wir haben eine sehr hohe Kaffeekompetenz, wie zahlreiche Auszeichnungen zeigen, und wir bieten die höchste Qualität mit unseren Arabica-Bohnen.
Was zeichnet denn die Schweizer Kundschaft aus?
Das Kaufverhalten ist anders als etwa in den USA. Der Umsatzanteil von Menschen, die ihr Produkt via App vorbestellen und dann abholen, liegt nur im einstelligen Prozentbereich. In den USA liegt er im hohen zweistelligen Bereich. Dort sind auch die Drive-through-Filialen wichtiger. Diese hätte ich auch gerne hier, dazu führen wir Gespräche. Sobald wir den richtigen Partner und Standort haben, werden wir Drive-through-Filialen lancieren.
Welchen Anteil machen Lieferungen aus?
Auch die liegen im einstelligen Prozentbereich.
Verdienen Sie an der Lieferung eines Latte denn etwas?
Ja, das Geschäft ist profitabel.
Starbucks verkauft auch Lebensmittel. Was ist der Renner?
Cinnamon Roll, Triple Chocolate Cookie und Lemon Loaf Cake.
Das sind nicht gerade gesunde Artikel. Spüren Sie einen Trend hin zu gesünderen Bestellungen?
Wir haben verschiedene Artikel im Angebot, zwischen denen die Konsumenten wählen können. Zudem sind wir laufend bemüht, innovativere und nachhaltigere Produkte anzubieten und das Menü gesünder zu machen. Wir erneuern unser Produktangebot sukzessive.
Wie wichtig sind vegane Produkte?
Wir bieten sie an, aber der Umsatzanteil ist sehr gering und wächst auch kaum.
Und bei der Milch? Wollen weiterhin 90 Prozent die Kuhmilch für ihr Milchgetränk?
Wahrscheinlich sogar mehr. Das ist übrigens immer Schweizer Milch.
Bei McDonald's gibt es nun auch Tischservice. Das war früher undenkbar. Bald auch bei Starbucks?
Nein, aber wir bieten an, über unsere App das Getränk minutengenau vorzubestellen und dann am Tresen abzuholen.
Haben Sie schon Bekanntschaft gemacht mit Starbucks-CEO Laxman Narasimhan und Gründer Howard Schultz?
Ja, ich habe beide schon getroffen. Sie kommen regelmässig in die Schweiz wegen unserer Partnerschaft mit Nestlé, aber auch weil in Lausanne unser globales Beschaffungsbüro für Kaffee ist. Dann treffe ich mich jeweils mit ihnen.
Sie sind auch Österreich-Chef von Starbucks. Hat Starbucks dort nicht einen schwereren Stand wegen der weit verbreiteten Kaffeehaus-Kultur?
Nein, in Österreich funktioniert Starbucks sehr gut. Wir forcieren auch dort das Wachstum. Beide Länder haben etwa neun Millionen Einwohner. Die Schweiz hat 57 Starbucks-Filialen, Österreich 23. Das Potenzial ist also noch viel grösser.
Neu in der Schweiz ist die Kette Pret. Spüren Sie das?
Wir stellen fest, dass die Konkurrenz das Geschäft tatsächlich belebt. Man muss aber zum Markenkern stehen. Wir sind primär Kaffee, Pret positioniert sich etwas anders. Wir sehen die neue Konkurrenz darum gelassen.
Wohl jeder Kunde hat schon mal erlebt, dass sein Name auf dem Becher falsch geschrieben ist. Machen dies die Mitarbeitenden absichtlich?
Nein, natürlich nicht. Die Arbeit hinter der Bar ist sehr anspruchsvoll, unser Personal tut sein Bestes.
Und wie viele Tassen werden jährlich gestohlen?
Da führen wir keine Statistik. Solche Vorfälle zeigen aber, dass unsere Marke nach wie vor sehr begehrt ist (lacht). (aargauerzeitung.ch)