Sie erhoffte sich Erlösung, aber ihr Entscheid erwies sich als Albtraum. Als die damals 25-jährige Rumänin G. P. sich von ihrem damaligen, gewalttätigen Zuhälter lossagen wollte, geriet sie an ihre Landsleute A. C. und M. Z. Die beiden versprachen ihr zu helfen. Scheinbar ein Schritt in die richtige Richtung für G. P. Denn M. Z. wollte nur 50 Prozent ihres Einkommens – und nicht 100, wie ihr alter Zuhälter.
Jetzt aber steht M. Z. vor dem Bezirksgericht Zürich. Er ist der Förderung der Prostitution und der versuchten Erpressung angeklagt, das Verfahren gegen seine Mittäterin A. C. wird separat geführt. Die Anklageschrift beschreibt, wie M. Z. zusammen mit seiner Komplizin die 25-jährige P. ausnutzte, sie mit Schlägen und Drohungen gefügig gemacht und zur Ausübung der Prostitution gezwungen haben soll. M. Z., der vorbestraft ist, drohen eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren und ein fünf Jahre dauernder Landesverweis.
G. P. ist kein Einzelfall. 228 Fälle von Frauenhandel beschäftigten die Fachstelle Frauenberatung und Frauenmigration FIZ im abgelaufenen Jahr, wie aus dem heute Dienstag erschienenen Jahresbericht hervorgeht, davon seien 111 Fälle neu eingegangen. Ein Drittel der neuen Fälle betrifft Asylsuchende. Ingesamt haben sich die Fälle «auf hohem Niveau eingependelt», wie Rebecca Angelini von der FIZ sagt. Die Dunkelziffer sei aber hoch.
Die beiden Beschuldigten schrieben der 25-Jährigen laut Anklageschrift vor, dass sie täglich der Prostitution nachgehen und dabei so viele Freier wie möglich bedienen sollte, sie wiesen sie an, welche Kleidung sie tragen sollte und wann und wie lange sie Pausen machen durfte. Während drei Wochen, von Ende Januar 2017 bis Mitte Februar, kontrollierten sie G. P. bis ins Detail. Die beiden Zuhälter verlangten von der jungen Rumänin weiter, ungeschützten Geschlechtsverkehr anzubieten und Freier bereits für 20 Franken zu bedienen. Das Geld musste sie laut Anklageschrift vor oder unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr an A. C. übergeben.
Dass der Fall G. P. überhaupt vor ein Gericht kommt, ist alles andere als selbstverständlich. «Die grösste Herausforderung in den komplexen Verfahren gegen Menschenhändler ist die Identifizierung eines mutmasslichen Opfers», schreibt die Kantonspolizei Zürich auf Anfrage. Betroffene wendeten sich in allerwenigsten Fällen von sich aus an die Polizei. Die Kapo macht dafür Gründe aus wie Angst, fehlendes Vertrauen, Unkenntnis der Rechtslage und sprachliche Hürden.
Auch übten Zuhälter oft psychischen und physischen Druck auf die Opfer aus. Zum Beispiel mit der Drohung, der Familie der Prostituierten Gewalt anzutun oder selber die Polizei über den illegalen Aufenthaltsstatus der Sexarbeiterin zu informieren.
«Menschenhandel und Förderung der Prostitution sind Kontrolldelikte», sagt Angelini. Wenn nicht proaktiv ermittelt werde, könnten die Fälle nie aufgedeckt werden. In Zürich ist das die Arbeit von Ermittlern im Bereich Millieu- und Sexualdelikte. Eines der grössten Hindernisse bestehe darin, dem Opfer gegenüber Vertrauen aufzubauen. «Viele der Betroffenen hatten zuvor schlechte Erfahrungen gemacht mit Polizisten, sei es, weil ihr Aufenthaltsstatus prekär ist, oder sei es, weil sie als Sexarbeiterinnen noch immer mit einem negativen Stigma behaftet sind.»
Die FIZ leistet deshalb in 10 Kantonen, darunter auch Zürich, Opferschutz und begleitet Betroffene bei Einvernahmen und im Strafprozess. Auch im Fall von G. P. ist die FIZ involviert, zum Fall selber äussert sich die Fachstelle erst nach dem letztinstanzlichen Urteil.
Im Fall G.P. sorgten die Beschuldigten mit regelrechtem Telefonterror dafür, dass die Prostituierte ihren Forderungen nachkam. 155 Mal wurde G. P. kontaktiert, zu verschiedenen Tag- und Nachtzeiten; nach dem Geschlechtsverkehr hatte sich die Rumänin überdies telefonisch zu melden.
M. Z. versuchte P. überdies, mit SMS zu erpressen. Mitte Februar schickte er der Privatklägerin aus dem Ausland folgende Nachricht:
Drei Tage später schickte er eine weitere SMS mit einem ähnlichen Inhalt:
Bis zu 15 Freier täglich bediente G. P. während dieser drei Wochen an der Langstrasse 110, die Einnahmen – mehr als 10'000 Franken – musste die junge Rumänin den beiden Beschuldigten abliefern.
Dass es sich beim Fall G. P. um eine Rumänin handelt, ist kein Zufall. Die FIZ führt Rumänien bei den Menschenhandel-Fällen auf Rang 2 der Herkunftsländer. Nur Nigeria und Ungarn stellen noch mehr Opfer.
Ein ähnliches Bild zeichnet die Kantonspolizei Zürich: «In den Verfahren, welche wir in den letzten Jahren geführt haben, handelte es sich bei den Opfern zu einem grossen Teil um junge Frauen aus Osteuropa.» Aber auch Afrika und Südamerika, sowie Asien werden immer wieder als Herkunftsländer eruiert.
Die Hürden für legale Sexarbeit haben sich in den letzten Jahren in Zürich erhöht, stellt Angelini fest. Das liege an einer Kombination von verschiedenen Faktoren, einerseits politischen Regulierungen wie der neuen Prostitutionsgewerbeverordnung und die Bau- und Zonenordnung, anderseits räumlichen Entwicklungen wie der Gentrifizierung im Kreis 4. «Sexarbeiterinnen im traditionellen Langstrassenviertel stehen mehr unter Druck als früher, das wiederum macht sie verletzlich gegenüber Ausbeutung.» Ausbeutung, die nicht immer einfach zu erkennen sei.
Das stellt auch die Kantonspolizei Zürich fest: «Während zu Zeiten der offenen Strassenprostitution die potentiellen Zuhälter sich jeweils in unmittelbarer Nähe der Sexarbeiterinnen aufhielten und sie durch die blosse Anwesenheit unter Druck setzten, ist die Situation heute sehr oft wesentlich schwieriger zu erkennen.»
Ob G. P. nach dem Ende des Gerichtsverfahrens in der Schweiz bleibt oder nicht, ist unklar. Die Rumänin hat keinen festen Wohnsitz hierzulande. Rebecca Angelini betont, dass sich die FIZ auch langfristig um die Opfer von Ausbeutung kümmert. «Unsere Arbeit ist nach dem Urteil nicht abgeschlossen.» Wenn die Betroffenen zurück in ihr Heimatland gehen, helfe man ihnen bei der Rückkehr. Umgekehrt unterstütze man sie bei der Integration, wenn sie sich dazu entscheiden, in der Schweiz zu bleiben.
Es gilt die Unschuldsvermutung.