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Zürich

Zeugen Jehovas im Letzigrund: So wild war der Auftakt

Zeugen Jehovas im Letzigrund Stadion
Über Leinwände sprachen die höchsten Zeugen Jehovas zu ihren Gläubigen.Bild: watson

Auf dem Kongress der Zeugen Jehovas im Letzigrund gibt's einen sexy Adam zu sehen

Drei Tage dauert der Sonderkongress der Zeugen Jehovas im Stadion Letzigrund. watson hat den Auftakt des Gläubigen-Fests miterlebt. Eine Reportage über «geistliches Wellness», sexy Bibelprotagonisten und das Finden eines gläubigen Partners.
19.07.2024, 20:0719.07.2024, 22:37
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Eigentlich erkennt man die Zeuginnen und Zeugen Jehovas an ihrer Kleidung. Sie tragen zwar keine Uniform, befolgen aber gewisse Regeln. Nicht zu aufreizend, nicht zu viel Haut darf es sein. Trotzdem müssen sich «Frauen wie Frauen und Männer wie Männer» anziehen, wie die Zeugen Jehovas selbst auf ihrer Website schreiben.

In Zürich gelten ein bisschen andere Regeln. Der dreitägige Sonderkongress im Stadion Letzigrund, an dem zurzeit 15'000 Gläubige teilnehmen, gilt inoffiziell auch als «Partnerbörse». Ein Zeuge Jehovas darf schliesslich nur eine ebenfalls getaufte Zeugin Jehovas heiraten.

Die Zeuginnen Jehovas haben sich deshalb herausgeputzt. Pilgern am Freitagmorgen in hohen Schuhen ins Stadion. Tragen Lippenstift, Eyeliner, elegante Kleider, die nicht nur Fussknöchel und nackte Schultern zeigen, sondern auch Waden. In seltenen Fällen gar ein wenig Oberschenkel.

Auch die Männer zeigen sich von ihrer besten Seite. Sie tragen lange Hosen, nicht selten Anzugshosen, dazu säuberlich gebügelte Hemden, Krawatten, Fliegen, Hüte, manchmal auch ein Jackett. Trotz 30 Grad im Schatten.

Indirekte Aufforderungen für «freiwillige» Spenden

An ihren Kleidern haben alle Zeuginnen und Zeugen Jehovas ein Schild geheftet. In grossen Buchstaben ist darauf das Motto des diesjährigen Kongresses abgedruckt: «Macht die gute Botschaft bekannt.» Darunter haben die Besucherinnen und Besucher mit Kugelschreiber ihren Namen sowie ihre Herkunft aufgeschrieben. Aarau, Biel, Zürich, Genf steht darauf. Aber auch: Deutschland, Österreich, Italien, England, Indien, Australien, USA, Kanada.

Es ist ein internationaler Kongress, der hier stattfindet. Der nur alle paar Jahre stattfindet. Und den die Zeugen Jehovas auf ihrer Website wie folgt beschreiben: «Ein grosser Gottesdienst von Jehovas Zeugen, bei dem man Gott anbetet und auf die Bibel gestützte Anleitung erhält.» Der Besuch sei kostenfrei. Und: «Es werden keine Geldsammlungen durchgeführt.»

Trotzdem ist etwas vom Ersten, das die Zeuginnen und Zeugen Jehovas beim Betreten des Stadions begrüsst, ein blaues Schild. «Donations», steht darauf. Spenden. Freiwillige Spenden, selbstverständlich.

Die Zeugen Jehovas grenzen sich bewusst von der grossen Kirche ab, indem sie darauf pochen, dass jede Spende freiwillig zu ihnen gelangt. Aussteigerinnen und Aussteiger haben aber bereits mehrfach berichtet, dass innerhalb der Glaubensgemeinschaft Druck aufgebaut wird, damit die Mitglieder häufig und viel spenden.

Perfektionierter Applaus

Um 9.20 Uhr eröffnet der Kongress mit einem Lied zu Ehren Jehovas. Das ganze Stadion steht auf, verschränkt Finger vor dem Bauch, singt Zeilen, die über die Leinwände ziehen, voller Inbrunst. Dann setzen sich alle wieder.

Zeugen Jehovas im Letzigrund Stadion
Zu Liedern und Gebeten stehen die Zeuginnen und Zeugen Jehovas jeweils auf.Bild: watson

Der erste Redner tritt vor die Menge. Der Applaus der Zeuginnen und Zeugen Jehovas beginnt sicher und synchron und endet ebenso synchron. Fast schon abrupt. Das Klatschen wirkt wie sorgfältig einstudiert. Auswendig gelernt. Gehorsam.

Kongress soll «Wellness für den Geist» sein

«Habt ihr heute schon eine Zeitung gelesen?», fragt der erste Redner ins Publikum, ohne eine Antwort zu erwarten. Für die Antworten ist schliesslich nicht das Publikum zuständig, sondern er: «Ich kann es euch nicht empfehlen.»

Er liest allerlei schlechte Nachrichten aus einer gedruckten Zeitung vor: Unfälle, Krankheiten, Mord, Totschlag. Darum brauche es die gute Botschaft Jehovas:

«Jesus hat versprochen: Wenn die gute Botschaft auf der ganzen Welt verteilt wird, ist das Leid auf Erden vorbei. Dann können wir alle Zeitungen zerreissen.»

In diesen drei Tagen würde es nur gute Botschaften geben. Das sei wie «Wellness für den Geist», sagt der Redner und gibt das erste praktische Beispiel, wie die Mitglieder nach dem Kongress das Motto der Veranstaltung in die Realität umsetzen können:

«Wenn euch am Montag zurück auf der Arbeit ein Arbeitskollege fragt, was ihr drei Tage lang gemacht habt, könnt ihr sagen: ‹Wellness.› Dann wird er fragen: ‹Wo denn?› Dann könnt ihr sagen: ‹In Zürich, im Letzigrund Stadion.› Er wird sagen: ‹Ach, echt? Bei einem Fussballspiel? Oder warst du auf einem Konzert?› Und ihr könnt sagen: ‹Nein, viel besser als das.› Und dann könnt ihr beginnen, ihm im Alltag langsam, Stück für Stück, von der guten Botschaft zu erzählen.»

Blick ins Publikum. Viele haben ein Notizbuch, ein Tablet oder gar den Laptop auf dem Schoss und machen sich Notizen. Oder sind damit beschäftigt, ihre unruhigen, gelangweilten Kinder zu besänftigen.

Hollywood-Feeling mit Jehova

Es folgt «das Highlight des ganzen Kongresses», kündigt der Redner an. Was er meint: Die Premiere der ersten Folge der mehrteiligen Verfilmung des Lebens Jesus’. Produziert von den Zeugen Jehovas. 1000 Minuten soll die gesamte Serie dauern.

Sie beginnt – natürlich – mit Adam und Eva. Einem sexy Adam. Er sieht aus, als wäre er direkt einer «Head & Shoulders»-Werbung entsprungen. Volles, braunes Haar, markantes Kinn, ein gut gestutzter Bart, ein geheimnisvoller, dunkler Blick.

Fast schon anzüglich beisst er in den Apfel, den ihm die – ebenfalls konventionell schöne – Eva übergibt. Dramatische Musik. Dunkelheit. Dann erscheint wie in einem Hollywood-Streifen in goldener Schrift der Titel der Serie: «Die gute Botschaft von Jesus»

Eines wird beim Schauen klar: Hier wurde ordentlich Geld reingesteckt. Technisch ist die Serie auf demselben Niveau wie grosse Netflix-Produktionen. Inhaltlich … nicht.

Die Charaktere sprechen langsam und nur in kurzen, klaren Sätzen. Maria etwa sagt: «Hier bin ich. Jehovas’ Sklavin.» Oder: «Glücklich ist die Frau, die geglaubt hat. Denn es wird sich ausnahmslos alles erfüllen, was Jehova gesagt hat.»

Der Bildfokus liegt durchgehend auf den erstaunten, glücklichen und ehrfürchtigen Gesichtern der Protagonistinnen und Protagonisten. Etwa, als diese Jehovas’ Engel begegnen, Gabriel. Auch er ist konventionell attraktiv. In einer weissen Robe, umgeben von goldenem Licht, erscheint auf der Leinwand ein Mann mit schneeweissen, vollem Haar und Bart, eisblauen Augen, gesund gebräunter Haut, sympathischen Fältchen im Gesicht.

Bild von Jehova Film
So sieht der Engel Gabriel im Jehova-Film aus.Bild: pd

Begleitet wird das Ganze durchgehend von dramatischer Musik und einer ruhigen, langsam sprechenden Männerstimme. Sie erklärt alles, was man ohnehin schon auf der Leinwand sieht. Sagt etwa: «Als Maria in den Raum trat, machte das Baby in Elisabeths Bauch vor Freude einen Sprung.» Nur damit wenige Sekunden später die Protagonistin nochmals selbst zu Maria sagen kann: «Als du in den Raum tratst, machte das Baby in meinem Bauch vor Freude einen Sprung.»

Eine geschlagene halbe Stunde dauert die Vorführung. Es ist erst die Hälfte der ersten Folge der Serie. Die zweite Hälfte folgt am Nachmittag.

Mitglieder schlafen bei Reden ein

Nach der Vorstellung wollen verschiedene Redner «Beweise» liefern. Dafür, dass die Botschaft Jehovas stimmt. Dass ihre Evangelien «die Wahrheit» verkünden. Diese Beweise klingen dann so:

«Es gibt Menschen, die sagen, Jehovas Wunder sind nur Legenden. Aber als Matthäus diese Wunder in seinem Evangelium niederschrieb, gab es noch Augenzeugen von diesen Wundern. Das ist der Beweis. Es können keine Legenden gewesen sein. Es war die Wahrheit. Legenden brauchen nämlich länger, um zu entstehen. Manchmal hunderte von Jahren.»

Zum Glück ist es heiss und grell. So können sich einige Mitglieder auf der Tribüne hinter Sonnenbrille und Hut verstecken und einschlafen. Den Rücken behalten sie dabei gestreckt. Als hätten sie bereits Übung.

Die Uhr hat längst zwölf geschlagen. Mittagszeit. Doch die Reden gehen weiter. Ohne Pause. Bis ein Redner mit einem kleinen Holzhammer in der Luft herumfuchtelt und ruft: «Wir können Jehova vertrauen!» Dann haut er mit dem Hammer auf das Rednerpult. «Case closed!»

Als Nicht-Gläubige meint man, das wäre ein Witz gewesen und will lachen. Aber niemand lacht. Stattdessen klatschen die Zeuginnen und Zeugen Jehovas im Publikum ihren gehorsamen Applaus und erheben sie sich zum abschliessenden, gemeinsamen Lied über ihren Gott, Jehova. Dann ist Mittag. Endlich.

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90 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Macca_the_Alpacca
19.07.2024 20:55registriert Oktober 2021
Bei Infosekta immer einer der 3 Topgruppen (ICF, Zeugen, Scientologen) bezüglich der Anfragen. 2023 wieder mal N1r. 1. Es ist schon seltsam, dass unsere Gesellschaft solche schädliche Gruppen toleriert. Wie gross ist der Schaden welchen die Zeugen anrichten? Menschen die ihren ganzen Bekannten und Verwandtenkreis verlieren nach einem Ausstieg. (ich kenn solche Fälle persönlich und nein das sind keine Ausnehmen, sondern die Regel).
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N. Y. P.
19.07.2024 20:27registriert August 2018
Am morgen waren es noch 20'000 Zeugen.

Wurden die anderen 5000 von Raumschiffen abgeholt?
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Krasse Siech
19.07.2024 20:51registriert Dezember 2023
Solche Leute, insbesondere aber die ultraprotestantischen Evangelikalisten in den USA bedrohen inzwischen die Demokratie und den Weltfrieden. Ich verstehe nicht, dass man die noch in die Schweiz einreisen lässt. Macht man mit Islamisten auch nicht so problemlos. Es wäre auch Zeit, dass man in der Schule endlich über die ungeheuren Verbrechen der Protestanten informiert.
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