Als Simone Biles ihre Übung am Schwebebalken beendet hatte, schien die Welt der 1,42 m grossen Ausnahmeathletin zumindest für einen Moment wieder in Ordnung zu sein. Sie strahlte, legte ihre Hand aufs Herz, stieg vom Podium und fiel ihrer Betreuerin in die Arme. Auch die Führende und spätere Zweite Tang Xijing aus China jubelte über den gelungenen Auftritt von Biles und stellte sich in die Reihe der Gratulantinnen.
Zum Abschluss der Wettkämpfe im Ariake Gymnastics Centre präsentierte sich die grösste Kunstturnerin aller Zeiten doch noch einmal der Sportwelt. Bereits beim Einmarsch in die Halle wurde sie mit einer Standing Ovation empfangen, danach brandete immer wieder Jubel auf, als die Hallensprecherin den Namen von Biles nannte. Obwohl offiziell keine Zuschauer zugelassen waren, befanden sich dank Delegationsmitgliedern, Funktionären und Journalisten mehrere Hundert Menschen in der Halle.
«Ich habe es für mich gemacht», sagte Biles danach. «Und ich bin stolz, dass ich es geschafft habe, noch einmal zu turnen.» Im Teamfinal hatte sie sich nach einem völlig verpatzten Sprung aus dem Wettkampf zurückgezogen. Danach passte sie aufgrund mentaler Probleme für alle weiteren Finals, inklusive jenem im Mehrkampf, am Sprung und am Boden, wo sie 2016 in Rio de Janeiro Olympiasiegerin geworden war.
Sie seien alles Menschen und nicht einfach nur Attraktionen, so Biles. Es gebe Dinge, die hinter den Kulissen geschehen würden, von den die Leute keine Ahnung hätten. In ihrem Fall war von einer Blockade die Rede, im Englischen «Twisties» genannt. Ein in Turn-Kreisen bekanntes Phänomen, das sehr gefährlich sein kann, da sich die Athleten während ihren komplexen Rotationen in der Luft verlieren können. Nur aufgrund ihrer Klasse hatte Biles bei ihrem Amanar-Sprung im Team-Final einen Sturz vermieden.
Die 24-Jährige aus Texas war im Vorfeld von Tokio als designierter Superstar der Spiele gehandelt worden. Ausser am Stufenbarren war die 19-fache Weltmeisterin an jedem Gerät die Favoritin auf den Olympiasieg. Fünf Mal Gold schien für Biles bereit zu liegen und damit die Egalisierung der neun Olympiasiege der Russin Larissa Latynina, der erfolgreichsten Olympionikin aller Zeiten.
Ähnlich grosser Applaus wie bei Biles brandete nach der Reckübung von Daiki Hashimoto auf. Der Japaner holte sich vier Tage vor seinem 20. Geburtstag nach Gold im Mehrkampf und Silber mit dem Team auch den Olympiasieg am Königsgerät. Silber ging an Tin Srbic aus Kroatien, Bronze an Nikita Nagorni aus Russland. Alle anderen Final-Teilnehmer stürzten oder liessen sich einen groben Fehler zu Schulden kommen.
Ebenfalls einen chinesischen Sieg gab es am Barren, an dem Zou Jingyuan seiner Favoritenrolle gerecht wurde. Der Weltmeister von 2017 und 2018 turnte wiederum eine Übung nahe der Perfektion und wurde dafür mit einer Note von 16.233 belohnt. Der Deutsche Lukas Dauser gewann Silber, Bronze holte der Türke Ferhat Arican. (abu/sda)