Nach drei aufreibenden Sätzen ist es geschafft: Das Schweizer Beachvolleyball-Duo Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré schlägt im Olympia-Viertelfinal die Brasilianerinnen Ana Patricia/Rebecca mit 21:19, 18:21 und 15:12 und spielt damit um die Medaillen.
Wie gross die Freude und die Erleichterung über diesen Erfolg ist, zeigt sich direkt nach dem Matchball. Die Klotenerin Heidrich ringt im Jubel ihre Berner Mitspielerin zu Boden und verpasst ihr einen dicken Kuss auf die Wange. Für Heidrich ist es auch eine Art Revanche. Vor fünf Jahren bei den Olympischen Spielen in Rio stand sie bereits im Viertelfinal (mit Nadine Zumkehr), unterlag damals in einem ähnlich dramatischen Spiel aber einem brasilianischen Duo: Larissa/Talita, den späteren Silbermedaillengewinnerinnen.
Die Emotionen, die die Schweizerinnen beim Jubeln zeigen, treiben sie auch im olympischen Sand an. Gerade in Tokio, wo die Zuschauer fehlen, sind sie ein Mittel, um sich selbst zu pushen: «Wir haben nun unsere eigene Party auf dem Court, das hat den Unterschied gemacht. Wir blenden das aus und sagen uns: Das ist die Situation», sagt Heidrich.
Doch die Gefühle wurden auch schon zum Hindernis. Da beide Spielerinnen hochemotional sind, kam es zwischendurch zu Konflikten. Gerade Heidrich zerbrach in der Vergangenheit oft an den eigenen Emotionen, kam bei negativen Erlebnissen auf dem Platz nicht mehr aus der Abwärtsspirale raus. Daran haben Heidrich und Vergé-Dépré in den letzten Monaten mit einer Mentaltrainerin gearbeitet. «Wir kennen uns nun noch besser und reden noch offener darüber, was uns gerade belastet», sagt Heidrich.
Dies zahlt sich auch in den Spielen aus. Die beiden Schweizerinnen behalten die Nerven, auch wenn es einmal eng ist oder das Spiel nicht für sie läuft. «Es gelingt uns, uns immer an den Plan zu halten, auch wenn es schwierig und extrem heiss ist», sagt Vergé-Dépre. Das war im nervenaufreibenden Achtelfinal gegen ihre Landsfrauen Nina Betschart und Tanja Hüberli der Fall und eben auch im Viertelfinal gegen Brasilien.
Eine Medaille für die Schweizerinnen – es wäre die erste Olympiamedaille im Beachvolleyball der Frauen – wäre keine Sensation, schliesslich ist das Duo Europameister und die Nummer 5 in der Weltrangliste. Doch selbstverständlich ist es auch nicht, denn die beiden machten auch schwierige Zeiten durch. Nach einem guten ersten gemeinsamen Jahr nach den Spielen in Rio blieben die Resultate plötzlich aus.
Joana Heidrich erlitt 2018 zudem einen Bandscheibenvorfall, musste eine Pause einlegen. Vergé-Dépré war fit, verpasste aber Turnier um Turnier, weil sie plötzlich ohne Partnerin dastand. «Es ist etwas vom Härtesten im Spitzensport, wenn du keine Aufgabe hast. In den Jahren 2018 und 2019 hatte unser Team eine Zerreissprobe zu überstehen», sagt Heidrich. Mitte 2019 folgt der Neuanfang: neuer Coach und eben auch die Arbeit mit der Mentaltrainerin. So kam auch der Erfolg zurück. 2020, inmitten der Coronavirus-Pandemie, krönten sich Heidrich/Vergé-Dépré zu Europameisterinnen.
Im olympischen Sand sind es oft Details, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Auch deshalb haben Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré in der Vorbereitung nichts dem Zufall überlassen. Sie bereiteten sich in einer speziellen Hitzekammer in Grenchen auf die brütende Hitze von Tokio vor: mit verschiedenen Trainingseinheiten bei 32 Grad und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit, damit sich der Körper daran gewöhnen konnte.
«Der Körper will bei diesen Temperaturen eigentlich nicht Beachvolleyball spielen, man muss ihn dazu zwingen. Uns hat diese Erfahrung geholfen, um zu sehen, dass der Körper dann doch noch kann», sagen sie nach dem Viertelfinal-Erfolg über Brasilien gegenüber der «Aargauer Zeitung». Während die Schweizerinnen noch ziemlich frisch wirkend zum SRF-Interview antrabten, musste die Brasilianerin Ana Patricia Ramos im Rollstuhl aus dem Stadion transportiert und und ärztlich versorgt werden.
Nun trennen Joana Heidrich und Anouk Vergé-Depré noch ein Spiel vom Finaleinzug und der sicheren Medaille. Im Halbfinal vom Donnerstagmorgen (2 Uhr) wartet das starke US-Duo Alix Klineman/April Ross – auch eine grosse Hürde. Dennoch möchten die Schweizerinnen angreifen: «Bei uns muss man am wenigsten Angst haben, dass wir nicht noch mehr wollen.»