In Zug wurde gestern ein Stück Eishockey-Geschichte geschrieben. Es war nicht nur das erste Mal im Schweizer Eishockey, dass eine Mannschaft eine Finalserie nach einem 0:3-Rückstand noch gewann. Nein, es war auch im internationalen Profi-Eishockey das erste Mal, dass dies geschah, seit 1942 die Toronto Maple Leafs dieses Wunder im Stanley-Cup-Final vollbrachten.
Swiss EV Zug becomes the first team since the 1942 Leafs to overcome a 3-0 final deficit to win a national league championship. Zug defeats Zürich 3-1 in Game-7 for 2nd consecutive title, while allowing only three goals in last four games. @official_EVZ 🏆 https://t.co/4hrl1g8YPn
— EuropeanHockeyClubs (@EHCAlliance) May 1, 2022
Doch wie war das möglich? Hat der EVZ nach dem dritten Spiel etwas verändert, um die Wende zu schaffen? Eine Analyse.
Dan Tangnes war einer der wichtigsten Faktoren in dieser Serie. Auch nachdem seine Mannschaft mit 0:3 in Rückstand geriet und erstmals überhaupt in diesen Playoffs Spiele verlor, blieb der Norweger ruhig. Das beeindruckende war, dass man dem EVZ-Trainer in jedem Moment abkaufte, dass er keinerlei Zweifel an seiner Mannschaft hatte. Dass er daran glaubt, dass diese Wende noch möglich ist. Wenn wir ihm das als Aussenstehende glaubten, dann konnte er das auch seiner Mannschaft glaubwürdig vermitteln.
So hat sich Tangnes auch nach der dritten Niederlage nicht zu Kurzschlussreaktionen hinreissen lassen. Er stellte einzig die Sturmformationen leicht um, schenkte aber weiterhin den gleichen Leuten das Vertrauen. Er neigte auch nicht dazu, einzelne Spieler zu stark zu forcieren, sondern verteilte weiterhin die Eiszeit auf alle vier Linien. Tangnes wusste, dass Zug fast immer in dieser Serie die bessere Mannschaft war, vertraute dem System und wurde dafür belohnt
Die ganze Finalserie war auf einem extrem hohen Niveau, aber insbesondere die Torhüter waren unfassbar gut. Während ZSC-Goalie Jakub Kovar vordergründig die ersten vier Spiele dominierte, war danach Leonardo Genoni die prägende Figur zwischen den Pfosten.
Es erinnert ein wenig an den Viertelfinal, als Davos gegen die Rapperswil-Jona Lakers ebenfalls eine Wende nach 0:3-Rückstand gelang. Damals lieferten sich der Davoser Sandro Aeschlimann und Rapperswils Melvin Nyffeler ein Duell auf Augenhöhe, mit dem besseren Ende für Aeschlimann. Nun hat Genoni das letzte und entscheidende Duell für sich entscheiden können. Mit seinem siebten Titel im siebten Final verewigt sich der 34-Jährige einmal mehr in den Geschichtsbüchern.
Zu Beginn der Finalserie sprach alles über Denis Malgin und seine kongenialen ZSC-Linienpartner Sven Andrighetto und Denis Hollenstein. Doch je länger die Serie dauerte, desto mehr spielte sich der Zuger Dario Simion in den Vordergrund mit soliden Argumenten für den Titel des MVPs der Finalserie.
After this last game, Malgin is still 1st, but Simion was the best in the final.
— NL Ice Data (@NLIceData) May 1, 2022
But goalies were maybe even better. https://t.co/KR3La1Rl5X pic.twitter.com/AxrOZ4KtPJ
Gemäss dem Tracking von nlicedata.com war der Zuger Flügelstürmer der Feldspieler, der in dieser Serie den grössten Einfluss hatte. Über die sieben Spiele gegen die ZSC Lions häufte Simion einen Game-Score-Wert von 3,12 an – der nächstbeste Spieler ist Denis Malgin mit 2,75. Game Score ist eine Statistik, die den Einfluss eines Spielers misst, in dem es seine Beiträge (Tore, Assists, Schüsse, Blocks, Strafen etc.) mit einem Wert versieht und kumuliert.
Aber auch wenn man die reinen Expected Goals und Expected Assists anschaut, dann wird klar, dass vielleicht schon zu Beginn der Serie über Simion und nicht nur über Malgin hätte gesprochen werden sollen. In den ersten beiden Partien waren die beiden Spieler etwa gleich gut, in den Spielen 4 bis 7 war der Tessiner besser. Einzig in Spiel 3 hatte der Zürcher Malgin die Nase vorn. Simion hatte bei den drei Niederlagen etwas Abschlusspech zu beklagen. Er belohnte sich aber im Laufe der Serie für seine guten Leistungen mit Toren – und mit dem Gewinn des Pokals.
Und das ist dann auch gleich der letzte wichtige Punkt in der Zuger Wende. «Irgendeinisch fingt ds Glück eim», lautet eine bekannte Songzeile der Berner Band Züri West. Und das war auch irgendwie das inoffizielle Motto der Zuger in dieser Serie. Wie bereits erwähnt, war der EVZ über weite Strecken des Finals die bessere Mannschaft. Doch in den ersten drei Spielen hatten die ZSC Lions auch das Glück für sie gepachtet. Zug scheiterte an Kovar oder am Gehäuse und die Zürcher Schüsse kullerten noch irgendwie rein.
Doch ab Spiel 4 drehte das. Zug hat sich das Glück erarbeitet. Und plötzlich waren es die Schüsse der ZSC Lions, die an den Pfosten sprangen oder – wie im Fall von Justin Sigrist – selbst vor dem Tor noch abgelenkt wurden.
In Spiel 6 war es so, dass für einmal die ZSC Lions dominierten, sie die Scheibe aber nicht an Genoni vorbeibrachten. Zug seinerseits profitierte beim Hallenstadion-Abschied beim 1:0 von einem glücklichen Flipperkasten-Treffer.
Am Ende gab es genau das, was im Vorfeld erwartet wurde: Eine extrem ausgeglichene Serie auf hohem Niveau. Zu Beginn der Serie sprangen die Pucks für den ZSC, doch Zug glaubte, angeführt von Dan Tangnes, immer an die Wende. Die Zuger wussten, dass sie eigentlich nichts ändern mussten. Eine Steigerung von Leonardo Genoni, ein bärenstarker Dario Simion und das nötige Glück sorgten dafür, dass die Wende Realität wurde.
Grönborg hat seine erste Linie zu sehr strapaziert. Das wäre richtig gewesen, wenn nach dem 4. oder 5. Spiel Schluss gewesen wäre. Aber so war es ein Fehler.
Die Mannschaft ist schon lange zusammen und jeder kann mit jedem spielen. Das eröffnet dann dem Trainer neue Optionen.