Zum ersten Mal überhaupt in der Super-League-Geschichte hat der amtierende Meister die ersten drei Spiele verloren. Seither ging's mit zwei Unentschieden in Folge nicht wirklich bergauf mit den Berner Young Boys.
Die Titelverteidigung ist weiterhin wahrscheinlich, die Krise eine Momentaufnahme. Doch wie konnte es so weit kommen? Das sind die vier YB-Sünden:
Zwölf Punkte Vorsprung auf Vizemeister Lugano riechen nach Übermacht. Wirklich? Nein! Die Endabrechnung der vergangenen Saison ist Etikettenschwindel. YB tütete den Meistertitel erst am zweitletzten Spieltag ein, so spät wie keinen der insgesamt sechs seit 2017. Und mit sieben Saisonniederlagen war YB der schwächste Meister seit 2007 der FCZ (ebenfalls sieben).
Die YB-Bosse, oftmals gerühmt für ihre Weitsichtigkeit, entschieden sich trotzdem nur für Kosmetik statt Renovation. Weil sie meinten, im Kader schlummere das Potenzial, erneut wieder die Super League niederzuwalzen. Falsch! Anel Husic, Ebrima Colley, Darian Males, Lukasz Lakomy, Cheikh Niasse, Cedric Itten – als Schlüsselkräfte eingeplante Spieler verkörpern bislang biederes Mittelmass. Anders formuliert: Für welchen YB-Spieler lohnt sich der Eintrittspreis? Uns fällt keiner ein …
Hinterfragen müssen sich auch die Spieler. So gut, wie sie meinen, sind sie wohl doch nicht. Von den sechs Super-League-Profis an der EM 2024 war keiner von YB, dafür mit Amir Abrashi einer von Fast-Absteiger GC.
Und: Für vermeintliche Starspieler wie Meschack Eliga, Joel Monteiro oder David von Ballmoos, die von einer Topliga träumen, gibt's keine für alle Seiten zufriedenstellenden Angebote – kein Zeichen dafür, dass sie auf dem Markt hoch gehandelt werden.
Wenn man wie YB von den letzten sieben Meisterschaften sechs gewinnt, ist die Gefahr gross, dass man etwas genügsam wird, denkt, es komme schon irgendwie gut. Lange Phasen des Erfolgs vermitteln zwar Sicherheit. Aber sie sättigen auch. Gier und Galligkeit jederzeit hochzuhalten, ist enorm schwierig, wenn man nicht permanent neues Personal einstellt und es für die Teamleader wie Sandro Lauper und David von Ballmoos zur Gewohnheit geworden ist, Titel zu gewinnen.
Häufig steht YB im Verdacht, eine Wohlfühloase zu sein. Ob gerechtfertigt oder nicht, lassen wir mal dahingestellt. Fakt ist: Es menschelt bei YB. Das hat seine positiven wie auch negativen Seiten. Der Klub steht nicht im Ruf, ein herzloses Hire-And-Fire-Unternehmen zu sein. Andererseits täte etwas mehr Pragmatismus, Härte und Kälte gut, um der Genügsamkeit entgegenzuwirken.
Ein Beispiel: Als Trainer wurde auf diese Saison hin Patrick Rahmen verpflichtet. Ein guter, ein angenehmer Mann. Und einer, der ein Team aus einer fundamentalen Krise führen kann: Trotz sechs Niederlagen zum Start führte er den FC Aarau 2019 in die Barrage.
Aber Rahmen ist kein Hardliner. Keiner, der auf seine Aussenwirkung pfeift. Keiner, der alles und vor allem alles besser weiss. Keiner, dessen Ego grösser ist als die Garderobe. Rahmen mag es gerne harmonisch. Und die YB-Teppichetage, angeführt von Christoph Spycher, mag es halt auch, wenn da ein Trainer ist, der nie quer schlägt, jederzeit zum konstruktiven Dialog bereit ist.
Vielleicht wäre René Weiler die bessere, sicher aber die unbequemere Lösung gewesen, mit seiner Beharrlichkeit und seinem konsequenten Leistungsdenken.
Kastriot Imeri ist das eine Synonym für eine unglückliche Transferpolitik. Jean-Pierre Nsame das andere. Dass die Berner vor etwas mehr als zwei Jahren Imeri verpflichten, erscheint auf den ersten Blick schlüssig – auch wenn 3 Millionen Franken die zweithöchste Ablöse der YB-Geschichte bedeuten.
Auf den zweiten Blick fällt aber auf: Imeri ist nicht mehr der torgefährliche Kreativkopf wie in Genf. Aus dem Spieler, dem man zutraute, Xherdan Shaqiri in der Nati nicht nur als Spieler mit den kräftigsten Waden zu beerben, ist ein Super-League-Hinterbänkler geworden. Warum? Weil YB die Sache völlig falsch eingeschätzt hat. Imeri konnte in Bern gar nicht reüssieren, weil die Position als Zehner im System nicht vorgesehen ist. Imeri und YB, das ist, als würde man Autoreifen für einen Traktor kaufen – es passt nicht.
Obwohl Jean-Pierre Nsame in seinem letzten halben Jahr in jedem zweiten Spiel ein Tor erzielte, wollte YB den Vertrag mit ihm nicht verlängern. So landete der Kameruner im letzten Winter auf dem Transferwühltisch. Klar, YB wurde auch ohne Nsames Tore Meister. Trotzdem fehlt er.
Denn Nsame war mehr als nur Torjäger. Wie zuvor Guillaume Hoarau war er Vaterfigur und Leader der frankophonen Gruppe bei YB. Ein wichtiges Bindeglied zwischen Trainer/Klubleitung und jenen Spielern, die in eine fremde Umgebung kommen und Bern für viel Geld wieder verlassen sollen. Heute fehlt diese Figur. Und deshalb erstaunt es nicht, dass Meschack Elia nicht mehr die Leistungen zeigt, mit denen er sich für einen Wechsel in eine Topliga empfehlen kann.
Shkelzen Gashi, Gilles Yapi, Serey Dié, Raul Bobadilla, Renato Steffen, Michael Lang: Eine Zutat im Erfolgsrezept des FC Basel während der Ära Heusler (2009-2017) war es, die besten und aufregendsten Spieler der Liga einzusammeln. Das hat gekostet, aber sich in jedem Fall gelohnt. Weniger in Form von Transfererträgen, umso mehr in Form von stabilen Leistungsträgern ohne Anpassungszeit und später als Identifikationsfiguren.
Am Willen, der Konkurrenz die Juwelen abzuluchsen, scheitert es auch in Bern nicht: Nikola Katic, Kevin Carlos, Timothee Cognat – sie alle würde YB gerne holen. Es scheitert an der Ablöseforderung. 5 Millionen Franken für einen nicht mehr blutjungen, dafür gestandenen Super-League-Profi? Kommt für Christoph Spycher und Co. nicht infrage. Auch wenn der Klub auf über 50 Millionen Eigenkapital sitzt.
Gleiches gilt bei Auslandtranfers: Fixgehälter in Millionenhöhe, wie sie als Letzte bei YB Hoarau und Miralem Sulejmani erhalten haben dürften, sind nicht mehr Teil der Strategie. Als Folge sehen Ausnahmespieler dieses Formats einen Grund weniger, in die fussballerisch schwächelnde Super League zu wechseln.
Das alles ist auf der einen Seite vernünftig – und verständlich. Aber eben: Auch mutlos. So, wie es mutlos von Neo-Trainer Patrick Rahmen war, mit Enrico Schirinzi einen gewissenhaften, aber halt (noch) form- und farblosen Assistenten zu wählen. Was ein starker und bei den Spielern angesehener Co-Trainer bewirken kann, hat im Schweizer Nationalteam der Wechsel von Vincent Cavin zu Giorgio Contini eindrücklich bewiesen.
Auch mutlos: Im Tor dem grundsoliden David von Ballmoos statt dem jungen, hochtalentierten Marvin Keller im Tor den Vorzug zu geben. Das ist Perlen vor die Säue geworfen – sportlich wie finanziell.
"Historisch" war die Krise ab 1997. Es fehlte nicht einmal viel, da wäre man noch in der 1. Liga gelandet.
Ich bin kein YB-Fan. Jetzt gabs halt einen Fehlstaet, meine Güte. Aber die Ausführungen klingen weit dramatischer, als dass sich der Sachverhalt darstellt.
Ich würde da eher das Wort „möglich“ verwenden. Sehe zurzeit die Argumente nicht, die ein „wahrscheinlich“ rechtfertigen.