Es ist kurz vor 20 Uhr, als Patrick Fischer die Eishockey-Arena in Bern betritt. «Guten Abend, wo findet sich dieser Platz?», fragt Fischer einen Security. Dieser erkennt in Fischer den Nationaltrainer, grinst und sagt: «Da ist heute geschlossen!»
Ein paar Sekunden später hat Fischer Platz genommen, direkt neben uns. Einen Abend lang begleiten wir ihn an diesem Playoff-Spiel zwischen SCB und EHC Biel. Weil wir herausfinden wollen: Wie verfolgt der Eishockey-Nationaltrainer die Meisterschafts-Entscheidungen? «Ich trage natürlich auch die taktische Brille. Bei beiden Teams habe ich drei, vier Spieler, die ich genauer betrachte. Dabei fokussiere ich mich vor allem auf ihre Stärken», sagt Fischer. Er geht gerne in die Stadien. Aber nicht immer. «Zu Hause vor dem TV kann ich mich fast besser auf die einzelnen Situationen konzentrieren. Zudem kann ich mehrere Spiele gleichzeitig auf verschiedenen Geräten verfolgen.»
U20-Nationaltrainer Marcel Jenni begleitet Fischer an diesem Abend. Das Spiel läuft mittlerweile. Während der Unterbrüche tauschen sich die beiden über gelungene Aktionen aus, loben den betreffenden Spieler. Gibt es für das Schweizer Spiel ein Vorbild aus der Liga? «So konkret würde ich es nicht gerade benennen. Aber es ist klar, dass ich gewisse Aspekte auch in der Nati sehen will. Die Geradlinigkeit, wie der HCD nach dem Umschalten Gegenstösse einleitet, oder die Art und Weise, wie sich der EVZ in der Offensive verhält, gefallen mir.» Dann ist Pause.
Am 13. Mai beginnt für die Schweiz die WM. Bis dorthin ist es noch ein langer Weg. So richtig los geht es für Fischer am 11. April. Dann startet die Vorbereitung. Bis das definitive Team steht, kann es noch dauern. Gut möglich, dass auch während des Turniers noch NHL-Spieler dazustossen. Die Frage, wie weit der Weg der Schweiz an der WM führt, ist massgeblich davon abhängig, wie viele Akteure aus Übersee dabei sind. Darum führt Fischers Blick in diesen Tagen immer auch in die NHL. Mittels eines Programms kann er von jedem Spieler jeden einzelnen Einsatz verfolgen. «Aber nicht, dass Sie nun das Gefühl haben, ich müsse jeden Tag jeden Spieler . Ich kenne meine Jungs und ihre Stärken bestens.»
Besonders in Fischers Fokus stehen seit dem Transfer von Timo Meier die New Jersey Devils. Mit Meier, Nico Hischier, Jonas Siegenthaler und dem aufstrebenden Torhüter Akira Schmid sind gleich vier Nati-Spieler bei den Devils unter Vertrag. Ein Klumpenrisiko? «Natürlich kann man das so sehen. Für mich ist primär toll, dass Timo diese neue Herausforderung erhalten hat. Nun können sich er und Nico schon aneinander gewöhnen.» Die beiden durften in den letzten Tagen tatsächlich gemeinsam in einer Linie spielen.
Wer in den NHL-Playoffs spätestens nach zwei Runden ausgeschieden ist, könnte noch an die WM reisen. Neben den Devils sind auch Colorado (Denis Malgin) und Los Angeles (Kevin Fiala) gut im Rennen. Bei Nashville (Roman Josi) und Winnipeg (Nino Niederreiter) sind die Aussichten auf eine lange Playoff-Reise gering. Würden denn auch alle an die WM kommen? Die Antwort von Fischer kommt ohne zu zögern. «Jeder will dabei sein, wenn es einmal klappt.»
Wenn es einmal klappt? Damit ist der WM-Titel gemeint. «Und dieses Jahr gibt es auch keine Schwangerschaften», ergänzt Fischer. 2022 fehlte Josi, weil er zum Zeitpunkt der WM Vater wurde. Einzig bei Meier gibt es Fragezeichen. Wenn er zum Zeitpunkt der WM noch keinen neuen Vertrag unterschrieben hat, wird er passen. Im Raum steht ein neuer Kontrakt über sieben bis acht Jahre, mit bis zu 10 Millionen Dollar Lohn pro Saison.
Nun läuft das zweite Drittel. «Viele Spiele kippen im zweiten Drittel auf die eine oder andere Seite. Ich würde sagen, das Mitteldrittel ist so etwas wie unsere Geheimwaffe. Es geht hin und her, die Wechsel sind kompliziert, weil der Weg zur Bank lang ist. Wir stellen meist auch unser System um», sagt Fischer.
Als wollten die Spieler auf dem Eis Fischers Worte untermauern, ist die Partie nun viel intensiver und unterhaltsamer. Zwei Tore innert 22 Sekunden. Viel Hektik und Chaos. Eine Chance um die andere. «Sehen Sie? Typisch zweites Drittel!», sagt Fischer.
Um eine Frage kommt man rund um die Eishockey-Nati natürlich nicht herum: Wie sehr liegt die bittere 0:3-Niederlage im WM-Viertelfinal gegen die USA aus dem letzten Jahr Fischer noch auf dem Magen? Zumal die Schweiz nach sieben Siegen in sieben Vorrundenspielen als klarer Favorit scheiterte. «Natürlich mussten wir alle dieses Erlebnis erst verdauen», sagt Fischer, «auch weil es sich zu den bitteren Viertelfinal-Niederlagen in den vorherigen Jahren gesellte». Zur Erinnerung: 2019 glich Kanada die Partie in der letzten Sekunde aus, gewann danach in Overtime. Und 2021 verlor die Schweiz im Penaltyschiessen gegen Deutschland. «Aber so ist der Sport. Entscheidend ist, ob wir nun die Vergangenheit als Challenge akzeptieren - oder den Kopf in den Sand stecken», sagt Fischer. Letzteres ist für ihn keine Option.
Als der Abend in Bern vorbei ist, resümiert Fischer: «Ein tolles Spiel. Diese Intensität in den Playoffs ist grandios.» Ein Spieler hat ihm besonders gefallen: SCB-Youngster Josh Fahrni. Gut möglich, dass dieser zum Ende der Saison ein Aufgebot für die Nati erhalten wird.
Ein letzter Satz bevor Fischer ins Auto eilt, um den Stau noch zuvorzukommen? «Es dauert zwar noch ein wenig, aber die Vorfreude auf die WM ist jetzt schon riesig!» (aargauerzeitung.ch)