Bruno Wüthrich
Doch die neue Saison beginnt auch in Bern im September. Dann wollen die Zuschauer Siege sehen. Sonst gibts Ärger. Gratulation aus dem Tigerland!
Welch eine bittere Ironie für den HC Lugano. Das SCB-Meistermärchen beginnt nämlich am 17. November 2015 mit einer 3:6-Niederlage in …Lugano. Diese Pleite kostet Guy Boucher den Trainerjob und beschert Lars Leuenberger die Beförderung vom Assistenten zum Cheftrainer. Und nun hatte dieses Märchen ausgerechnet in Lugano ein Happy-End: der SCB gewinnt 3:2 und wird Meister.
Der Chronist stellt sich die Frage: warum kann es in der Resega nicht immer so gesittet zu und hergehen? Nach den wilden Szenen im dritten Finalspiel waren die Bedenken gross. Würde es zu Ausschreitungen kommen, wenn der SCB den Titel in Lugano holt? Die Sorgen waren unbegründet. Die Saison ist mit einer rauschenden Hockey-Party zu Ende gegangen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer in der Resega haben dem neuen Meister Respekt bezeugt. Ein würdiger Rahmen einer meisterlichen Krönung. Anstand und Respekt prägen auch die Stimmung in den Kabinengängen. Lugano ist ein grosser, sportlicher und fairer Verlierer.
Dieses Spiel ist auf und neben dem Eis ein spektakulärer Schlusspunkt einer grandiosen Saison. Ist je ein so wichtiges Spiel in unserer Playoffgeschichte (seit 1986) auf eine so dumme, so dramatische, so unfassbare Art und Weise verloren worden? Nein.
Was ist passiert? Bis weit ins Schlussdrittel hinein deutet noch nichts auf einen dramatischen Untergang des HC Lugano. Vielmehr bahnt sich die Wende an.
Die Leidenschaft der Tessiner ist erwacht. Lugano rockt. Lugano dominiert. Lugano stürmt. Lugano mobilisiert noch einmal alles. Lugano erdrückt den SCB ab Mitte des Spiels. SCB-Coach Lars Leuenberger muss ein «Verschnauf-Timeout» nehmen. Lugano spielt die beste Partie in diesem Finale. Der SCB wankt. Der SCB taumelt. Der SCB wird gleich fallen. Der Ausgleich zum 2:2 ist schon geschafft. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Luganos Siegestreffer zum 3:2 fällt.
Jetzt wird, jetzt kann, jetzt muss es geschehen. Und es geschieht. Aber nicht so wie es alle erwarten. Wie es der Logik entsprochen hätte. Nichts in diesen Playoffs ist logisch und so endet auch diese Partie nicht logisch.
Luganos Verteidiger Stefan Ulmer trifft im Powerplay den Pfosten. Das Spiel geht weiter und kurz darauf verliert er, immer noch im Powerplay, als hinterster Mann die Scheibe an Derek Roy. Der SCB-Kanadier zieht alleine los und überwindet Elvis Merzlikins mit einem völlig unhaltbaren Schuss in die hohe Ecke. Welch ein Fehler Ulmers! Welch eine Kaltblütigkeit Roys!
Es ist, als ob jemand den Stecker gezogen hätte. Die Zuschauerinnen und Zuschauer spüren: das ist das Ende. Und tatsächlich: der SCB siegt 3:2, gewinnt das Finale 4:1 und holt den Titel.
Der SCB ist ein grosser Meister. Aber gross im Sinne der Einstellung, der Taktik, der Leidenschaft, der Wasserverdrängung und der Härte. Nicht gross dank purem Talent. Der SCB ist, wie auch diese letzte Partie in Lugano gezeigt hat, ein extremes und smart gecoachtes Playoffteam.
Der SCB kann nächste Saison vom September bis im Februar unmöglich mit der gleichen Intensität rocken wie in den Playoffs. Ein «SCB netto», also ein SCB ohne die Leidenschaft der Playoffs, ist ein ziemlich gewöhnliches Team. Lugano, die ZSC Lions, Davos und Zug haben mehr Talent. Erneut drohen Niederlagen gegen die SCL Tigers.
Der SCB hat zu wenig Talent, um die Qualifikation zu dominieren. Es wäre keine Überraschung, wenn die Berner zeitweise sogar in der zweiten Tabellenhälfte klassiert wären. Doch dies wird, anders als in der abgelaufenen Saison, kein Problem sein. Polemik wird es kaum geben – denn jeder weiss: der SCB kann von jeder Position aus Meister werden. Die Fans werden geduldig sein wie nie seit Einführung der Playoffs (1986).
Lars Leuenbergers Nachfolger Kari Jalonen steht in grossen Schuhen. Gut ist er ein Trainer, dem in Finnland die Titelverteidigung schon geglückt ist. Diese Erfahrung wird ihm helfen. Entscheidend ist, dass es dem neuen SCB-Trainer gelingt, die meisterliche Chemie im Team zu bewahren. Den «Geist» dieses Frühjahres. Dann kann der SCB den Titel verteidigen.
Nach dem Titelgewinn von 2013 ist es nicht gelungen, die meisterliche Chemie zu bewahren und ein ganz ähnlich strukturiertes SCB-Meisterteam wie das von 2016 hat die Playoffs verpasst.
Die Erinnerungen an die Saison 2013/14 werden helfen, dass so etwas nicht mehr passieren wird.