Langnau rauscht mit Vollgas Richtung NLA.Bild: Sandro Stutz/freshfocus
Eismeister Zaugg
Die SCL Tigers stehen als erster NLB-Finalist fest.
Kommt es zu einer Liga-Qualifikation zwischen den
SCL Tigers und den Lakers, dann steigen die
Lakers ab.
09.03.2015, 11:1709.03.2015, 15:06
Es gibt ein paar grosse Rätsel der Menschheit:
- Wer baute Stonehenge?
- Wer zeichnete die Nazca-Linien in der peruanischen Wüste?
- Wo endete der Flug MH370?
- Was explodierte 1908 im sibirischen Tunguska?
- Gibt es Leben auf dem Mars?
- War der Ball im Wembley-Final 1966 hinter der Linie?
Drin? Der Basler Schiedsrichter Gottfried Dienst gibt das «Wembley-Tor», Geoff Hurst schiesst England in der Verlängerung des WM-Finals gegen Deutschland 1966 zur 3:2-Führung.Bild: AP/BIPPA
Auf all diese Fragen werden wir wohl nie eine
Antwort erhalten.
Nun kommt noch so ein Rätsel dazu: Sind die SCL
Tigers gut genug für den Aufstieg in die National League A?
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Fragen
werden wir darauf eine Antwort erhalten. Aber
jetzt gibt es noch keine definitive Antwort. Die SCL
Tigers sind nämlich ein schwer einzustufender, ja
rätselhafter Aufstiegskandidat.
56 Spiele, 43 Siege – der Fall ist klar. Eigentlich.
Die SCL Tigers haben die Qualifikation gewonnen
und sind nun mit acht Siegen in acht Spielen
durch die Viertel- und Halbfinals durchmarschiert. Sie werden am Dienstag in
einer Woche zu Hause das NLB-Finale gegen Olten
oder Martigny eröffnen. Sie haben 43 von 56
Partien in dieser Saison gewonnen. Wahrlich, ein
Titan der NLB.
Aber sind die SCL Tigers auch ein
Aufstiegskandidat? Niemand sagt auf diese Frage:
«Ja, natürlich.» Höchstens: «Ja, aber.»
Was ist los? Warum gilt die Mannschaft nicht als
Aufstiegs-Favorit, die in der NLB alles in Grund und
Boden spielt? Die soeben im Halbfinale den
Lokalrivalen Langenthal nach allen Regeln der
Kunst in allen Situationen dominiert hat, ganz egal, ob
geprügelt wurde wie zu Gotthelfs Zeiten oder bloss
auf leisen Sohlen gespielt, als sei es Unihockey?
Dichterfürst Jeremias Gotthelf würde wohl begeistert klatschen, sähe er die Langnauer rumpeln.Bild: Wikipedia
Dominanz mit vier Linien
Es liegt an der ganz speziellen und so noch nie
gesehenen Spielweise eines NLB-Spitzenteams. Die
Langnauer sind Sowjets ohne Tretjak. Will heissen:
Sie dominieren spielerisch mit vier Linien ihre
Gegner so wie zuletzt die sowjetische
Nationalmannschaft in den 1970er und 1980er
Jahren. Die einzige Differenz: Sie haben keinen
Torhüter wie Wladislaw Tretjak.
Die totale aber nicht eben fassbare und nicht
einzuordnende Überlegenheit hat sich soeben am
frühen Sonntagabend im vierten Halbfinalspiel
auswärts in Langenthal erneut gezeigt. Die SCL
Tigers gewannen zwar nur 5:4, mussten
zwischenzeitlich das 4:4 hinnehmen und verloren
erstmals überhaupt in diesem Halbfinal ein
Drittel.
Die Saison geht noch weiter
Ab sofort stehen Langenthals Spieler mit B-Lizenz
ihren NLA-Klubs zur Verfügung: Marc Eichmann,
Brent Kelly (beide Biel), Jeff Campbell, Jeffrey Füglister,
Franco Collenberg (alle Zug), Stefan Tschannen
(Lausanne) und Joël Fröhlicher (Rapperswil-Jona Lakers).
Aber was es so bei einem NLB-Team
wahrscheinlich noch nie gegeben hat: Die
Langnauer dominieren das Spiel mit vier Linien und
gerieten nie in Gefahr, dieses vierte Halbfinalspiel
zu verlieren. In der Regel sind NLB-Mannschaften
kopflastig. Will heissen: Nur die erste Linie mit den
beiden Ausländern kann ein Spiel reissen. Wer
diesen ersten Sturm neutralisiert, hat gewonnen.
Diese Berechenbarkeit gibt es bei Langnau nicht.
Jeder skort, nicht nur die Ausländer
Anton Gustafsson, der in 7 Playoffpartien 12
Treffer erzielt hat, spielte gestern in
Langenthal wegen einer Grippe nicht. Niemand
merkte es. Zehn Langnauer haben in den acht
Playoffpartien mehr als fünf Skorerpunkte gebucht.
Bei Olten, dem mutmasslichen Finalgegner, sind es
zwei. Fünf Langnauer haben zehn und mehr
Punkte produziert. Bei Olten ist es gerade mal
einer.
Diese Dominanz macht die SCL Tigers, wenn sie
denn den Final gewinnen und in die Liga-Qualifikation einziehen, für den Playout-Verlierer
aus der NLA zu einem gefährlichen Gegner. Der
NLA-Vertreter darf ja nur noch zwei Ausländer
einsetzen.
Vor einem Jahr: Enttäuschte Langnauer nach dem verlorenen Playoff-Final gegen Visp.Bild: Sandro Stutz/freshfocus
Kloten zu stark für Langnau – Ambri hätte Mühe
Für die Playouts (und damit letztlich für die Liga-Qualifikation) kommen noch drei Teams in Frage:
Die Kloten Flyers, Ambri und die Lakers.
Die Kloten Flyers hätten in der Liga-Qualifikation
kein Problem. Sie werden nämlich besser, wenn sie
nur noch zwei Ausländer einsetzen dürfen. Denn
ihre Ausländer sind so miserabel, dass die
Mannschaft besser wird, wenn zwei Ausländer
durch zwei durchschnittliche Schweizer ersetzt
werden. Die Kloten Flyers sind der einzige Liga-Qualifikations-Kandidat, der über vier Linien
besser besetzt ist als die Langnauer. Sie würden
nicht in Abstiegsgefahr geraten.
Ambri hätte hingegen erhebliche Schwierigkeiten.
Die beiden Liga-Qualifikations-Abenteuer aus der
jüngsten Vergangenheit (2011 gegen Visp und
2012 gegen Langenthal) waren im Vergleich zu
dem, was gegen Langnau zu erwarten wäre, bloss
Kindergeburtstags-Feiern. Ambri hätte zwar dank
Adam Hall und Alexandre Giroux sowie Inti Pestoni
und Daniel Steiner eine klar bessere erste und
zweite Linie – aber die Langnauer haben den
besseren dritten und vierten Block.
Ambri-Jubel mit Pestoni und Giroux.Bild: Sandro Stutz/freshfocus
Schillerfalter DiDomenico, der kleine Ilfis-Gretzky
Die Lakers müssten wir im Falle einer Liga-Qualifikation gegen Langnau sogar als
Aussenseiter einstufen. Auch das Nachrüsten
während der Saison hat nichts daran geändert: Die
Lakers sind ein NLB-Team, verstärkt durch
erstklassige Ausländer. Mit nur noch zwei
Ausländern hätten die Lakers Gleichstand im
ersten Sturm und wären mit dem zweiten, dritten
und vierten Block klar unterlegen. Gerade wegen
ihrer Ausgeglichenheit haben die SCL Tigers auch
das bessere Powerplay als die Lakers.
Natürlich können Ambri und die Lakers (anders als
Kloten) zwei gute bis exzellente NLA-Ausländer in
der Liga-Qualifikation einsetzen. Aber mit dem
charismatischen kanadischen Stürmer Chris
DiDomenico und dem französischen
Nationalverteidiger Kevin Hecquefeuille haben die
SCL Tigers eben auch zwei Ausländer mit NLA-Niveau. Trainer Bengt-Ake Gustafsson hat es sogar
geschafft, den egoistischen Schillerfalter Chris
DiDomenico in einen teuflisch gefährlichen
Teamspieler zu verwandeln. In diesen Playoffs hat
er in 8 Spielen 4 Tore und 15 Assists produziert. Die
Art und Weise, wie er für seine Mitspieler
Möglichkeiten eröffnet, mahnt in kurzen, lichten
Momenten an Wayne Gretzky.
DiDomenico jubelt über einen Treffer in der Viertelfinalserie gegen den HC Thurgau.Bild: Sandro Stutz/freshfocus
Haben Gerbers Erben das Zeug zum Helden?
Wenn wir so Bilanz ziehen, dann können wir die
SCL Tigers einschätzen: Sie sind klare
Aufstiegskandidaten! Nein, eben nicht! Denn wir
wissen nicht, was ihre Goalies Damiano Ciaccio
(26) und Jonas Müller (30) taugen. Mit Damiano
Ciaccio sind die Langnauer 2013 in die NLB
abgestiegen. Jonas Müller war in der NLA noch nie
die Nummer 1.
Das ist der grosse Unterschied zur Langnauer
Aufstiegsmannschaft von 1998 und dem letzten
NLA-Aufsteiger Lausanne im Frühjahr 2013. Die
SCL Tigers hatten 1998 mit Martin Gerber in der
Aufstiegsrunde gegen La Chaux-de-Fonds und
Herisau (eines der drei Teams schaffte den
Aufstieg) den mit grossem Abstand besten
Torhüter. Ja, Martin Gerber spielte damals auf
Weltklasse-Niveau und in dieser Form hätte er
diese Saison Kloten in die Playoffs gehext. Und im
Frühjahr 2013 war Lausannes Cristobal Huet
unendlich viel besser als eben Langnaus Daminao
Ciaccio. Auch Ambris Michael Flückiger und Sandro
Zurkirchen sowie Tim Wolf (Lakers) sind besser als
die beiden Goalies der Langnauer.
Hast du keinen Goalie, hast du keinen Goalie
Es ist, wie es ist. Wir können alle noch so klugen
Analysen vergessen, wenn eine Mannschaft keinen
guten Torhüter hat. Langnaus ganze Herrlichkeit
steht und fällt im Finale und allenfalls in der Liga-Qualifikation mit der Leistung seiner Goalies.
Wenn Damiano Ciaccio im Finale so spielt wie im
vierten Spiel gegen Langenthal, dann reicht es
nicht einmal für die Liga-Qualifikation.
Wir sollten nicht vergessen, dass bereits der EHC
Olten, der wahrscheinlichste Finalist, mit Michael
Tobler (29) und Thomas Bäumle (30) die klar
besseren Torhüter hat. Mit den SCL Tigers kann
eine Mannschaft bereits im NLB-Finale scheitern,
die ausser den Goalies alles für den Aufstieg in die
NLA hat. Ja, die eigentlich in die NLA gehört.
Steht und fällt der Erfolg in Langnau mit Goalie Ciaccio?Bild: Sandro Stutz/freshfocus
P.S. Wenn die Langnauer die NLB gewinnen, dann
wird der Vertrag mit Trainer Bengt-Ake Gustafsson
verlängert.
Nicht nur auf Glatteis rutschen sie aus – die schönsten Bilder vom 47. Engadin Skimarathon