McLaren-CEO Zak Brown hatte es ja angekündigt. Nicht ob, sondern «wann es einen Crash gibt», sei die Frage, sagte der 53-jährige US-Amerikaner schon vor Wochen. Am gestrigen Sonntagabend ist es in Kanada nun dazu gekommen – wobei der Zusammenstoss zwischen den beiden Piloten des britischen Rennstalls zumindest für Oscar Piastri glimpflich ausgegangen ist. Der australische WM-Leader blieb auf Platz 4.
Lando Norris hingegen ging nach seinem Fehler leer aus. Es war das Worst-Case-Szenario für den 25-Jährigen, der in der WM-Wertung nun 22 Punkte hinter seinem ein Jahr jüngerem Teamkollegen liegt. «Ich dachte, er würde etwas mehr nach rechts fahren. Nicht um eine Lücke zu lassen, natürlich, ich habe nicht erwartet, dass er es mir leicht machen würde. Ich habe es schlicht falsch eingeschätzt», erklärte Norris seinen Gedankengang nach dem Rennen.
— pitstop (@pitstop13213) June 15, 2025
Norris, der schon zuvor mit seinem Teamkollegen um den Platz gekämpft hatte, hatte einen deutlichen Geschwindigkeitsüberschuss, suchte aber eine Lücke, wo keine war – und so geschah das Unvermeidliche. Ex-Formel-1-Fahrer Timo Glock urteilte bei Sky: «Für mich ist in der Situation schwierig nachzuvollziehen, wieso er das macht und wieso er nicht zurücksteckt oder sich vorher klarer positioniert.» Piastri habe schon früh klargemacht, dass er nach links will, «und dann fährt Norris ihm einfach stumpf hinten auf das Auto drauf».
Vielleicht spielte bei Norris in der 67. von 70 Runden auch etwas Verzweiflung mit. Nur selten konnte der Brite Piastri in dieser Saison ernsthaft Paroli bieten. Den zwei Siegen von Norris stehen fünf des Australiers gegenüber. In der WM-Wertung drohte Piastri seine Führung selbst ohne Crash auszubauen. Und auch sonst wirkt der WM-Leader souveräner und abgebrühter. Dies wurde im Qualifying von Montreal gerade wieder ersichtlich. Dort patzte Norris nämlich doppelt, womit er auf Platz 7 landete, Piastri holte sich Startplatz 3.
Ob er das noch im Hinterkopf hatte, als er seinen Teamkollegen angriff? Womöglich hoffte Norris auf die Macht der Verzweiflung – bei ihm wurde es aber vielmehr zur Ohnmacht der Verzweiflung. Teamchef Andrea Stella grübelte: «Ich bin mir nicht sicher, ob das etwas mit seiner Leistung im gestrigen Qualifying zu tun hatte.» Die beiden Ereignisse in direkte Verbindung zu setzen, wollte er dann aber doch nicht. «Sicherlich war ein gewisses Mass an Frustration im Spiel. Aber aktuell würde ich nicht sagen, dass das der Grund war», so Stella.
Dennoch ist klar, dass dieser Zusammenstoss zwischen den McLaren-Piloten in dieser Situation nie hätte passieren dürfen. Der Rennstall trägt mit seiner Gleichbehandlung der Fahrer eine Mitverantwortung, doch war Norris der Hauptschuldige, wie er sofort eingestand. Noch am Funk sagte er: «Es tut mir leid. Das war alles meine Schuld, mein Fehler. Das war dumm von mir.» Später fügte er an: «McLaren ist wie eine Familie für mich. Wenn ich sie dann so enttäusche, indem ich mich zum Narren mache, dann schmerzt das. Ich fühle mich schlecht und habe das Gefühl, mein Team im Stich gelassen zu haben.»
Norris habe die «oberste Regel» McLarens missachtet: «Kein Kontakt mit dem Teamkollegen.» Es wirkte, als wäre der Fanliebling, dem nachgesagt wird, zu nett für einen Weltmeister zu sein, kurz aus seinem Charakter gefahren. Als hätte er für einmal der Bösewicht, der für den Sieg auf niemanden Rücksicht nimmt, sein wollen. Doch gelang ihm das nicht. «Ich hätte es wohl nie versuchen sollen, das ist im Nachhinein mein Fazit», erklärte er danach.
Dass Norris die volle Schuld auf sich nahm und sich direkt nach dem Rennen vor laufender Kamera beim Teamkollegen entschuldigte, sorgte aber dafür, dass bei McLaren keine schlechte Stimmung herrscht. Piastri, der zur Kollision erst nicht viel sagen konnte, befand: «Lando ist ein echt guter Kerl und es liegt in seinem Charakter, dass er offen sagt, was er denkt. Selbst wenn er dabei nicht gut dasteht oder es um seinen eigenen Fehler geht. Das ist eine grossartige Eigenschaft von Lando.»
Piastri glaubt trotz des Zwischenfalls in Kanada nicht daran, dass sich im Titelkampf nun etwas ändern wird. Die beiden McLaren-Fahrer werden weiterhin um den Weltmeistertitel kämpfen, glaubt der 24-Jährige und fügte an: «So sollte es auch sein.»
McLaren-CEO und Prophet Zak Brown war in Montreal übrigens nicht dabei. Brown besuchte das 24-Stunden-Rennen in Le Mans, wo der Rennstall sein Comeback feierte, meldete sich aber in den sozialen Medien: «So, es ist passiert. Ich schätze die Offenheit, Lando. Solides Rennen, Oscar. Wir lernen daraus und machen gemeinsam weiter.»
Wenn McLaren das richtig anstellt, werden sie (und die Zuschauer) an diesen beiden Talenten noch sehr viel Freude haben.
Gibt genügend andere Beispiele.