Vielleicht fällt die Geburtstags-Feier für Raphael Wicky diesmal etwas feuchtfröhlicher aus als auch schon. Am Mittwoch wird Wicky 46 Jahre alt. So unüblich es auch ist, bereits vor Mitternacht mit den Feierlichkeiten zu beginnen, die Chancen stehen ziemlich gut, dass sich Wicky tatsächlich schon am Dienstag um kurz vor 22:30 Uhr in einer wilden Meute von Feierwütigen befinden wird. Dann nämlich, wenn YB heute Abend mit einem Sieg auswärts bei GC Schweizer Meister wird.
Der vorzeitige Meistertitel wäre das schönste Geburtstagsgeschenk für Wicky. Es wäre sein erster Titel bei den Profis. Ein lang ersehnter. Und einer, der viel Genugtuung mitbringt. Gleichwohl bleibt eine Frage vorerst unbeantwortet: Wird dieser Meistertitel das Ansehen von Wicky nachhaltig zum Positiven verändern? Noch immer hallt nach, dass er beim FCB ohne Titel entlassen wurde.
Die Eigenheiten dieser Super-League-Saison bringen es nun mit sich, dass die Leistungen von YB nicht durchwegs als berauschend empfunden werden. Ganz nach dem Motto: 19 Punkte Vorsprung nach 29 Runden? Ist doch easy, weil sonst ja niemand wirklich durchgehend überzeugt.
Wicky erfährt gerade, was früher in den grossen Basler Zeiten (achtmal Meister in Serie zwischen 2010 und 2017) viele FCB-Trainer durchmachen mussten. Gewinnen alleine genügt nicht, überzeugend muss es sein, gerne auch noch mit etwas Spektakel gewürzt. Zwei Unentschieden in Serie reichen schon zur gefühlten Krise. Christian Fassnacht sagt: «Das hat mich teilweise genervt. Wir dominieren die Liga, überzeugen im Cup und doch wurde begonnen, nach Problemen zu suchen. Da fragte ich mich manchmal: Ist das euer Ernst?»
Man sollte die Rolle des YB-Trainers gerade in einer Saison wie dieser nicht unterschätzen. Weil YB im Playoff um die Teilnahme an der Conference League gegen Anderlecht (im Penaltyschiessen) scheiterte, blieben die budgetierten europäischen Spiele aus. Darum musste Wicky plötzlich schauen, wie er all die hoch veranlagten Spieler bei Laune hielt.
Wie ist ihm das gelungen? Liga-Topskorer Cedric Itten sagt: «Wicky hat es menschlich sehr, sehr gut hingekriegt. Es ist nicht einfach, so viele Spieler zu haben, die alle gerne mehr Einsatzzeit hätten. Er nahm jeden auf seine Art und es gelang ihm, ein echtes Team zu kreieren.» Dazu sei es ihm gelungen, einen Mix zwischen Ernsthaftigkeit und Lockerheit zu pflegen.
Christian Fassnacht ergänzt: «Wicky ist ein Fussball-Fanatiker im positivsten Sinn des Wortes. Er ist nicht besessen, aber will alles verstehen. Die geringe Anzahl Gegentore zeigt, wie gut er uns auf die Gegner eingestellt hat. Zudem will er stets auch unsere Meinung hören und sich selbst verbessern. Er ist interessiert am Menschen hinter dem Spieler, will wissen, wie wir empfinden und denken.»
Wer das hört, wäre nicht überrascht, wenn Wickys Vertrag (läuft bis Sommer 2024) bald vorzeitig verlängert wird. (aargauerzeitung.ch)