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Das Ziel von Fussball-Netzwerken – und wie sie Probleme bereiten können

13.03.2023, Berlin: Fußball: Bundesliga, Pressekonferenz von Hertha BSC zum Einstieg des neuen Investors 777 Partners. Kay Bernstein, Präsident des Hertha BSC e. V., Josh Wander, CEO 777 Partners Thom ...
Rückennummer 777: Josh Wander, CEO von 777 Partners, posiert mit Trikot seines neuesten Investments, Hertha Berlin.Bild: DPA

254 Klubs gehören zu einem Fussball-Netzwerk – auch die Schweiz gerät zunehmend ins Visier

Fussball-Netzwerke boomen, immer mehr Fussballklubs gehören zu einem. Warum das dem Spiel gefährlich werden kann. Und warum Schweizer Klubs zunehmend ins Visier von Investoren rücken dürften.
18.04.2023, 17:44
Dominic Wirth / ch media
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Was hat Hertha Berlin mit Standard Lüttich zu tun, mit dem FC Genoa und dem FC Sevilla, mit Red Star Paris, Vasco da Gama mit Melbourne Victory – und was haben sie alle gemeinsam? Fussball, denkst du jetzt. Stimmt. Aber da ist noch mehr, da ist noch: 777 Partners. Dem Unternehmen gehören sämtliche erwähnten Klubs – oder zumindest ein Teil von ihnen.

777 Partners ist eine Firma aus den USA, sie hat sich im Private-Equity-Sektor einen Namen gemacht – und in den letzten Jahren viel Geld in Fussballklubs investiert. Allein das Hertha-Investment ist laut deutscher Medien 220 Millionen Euro schwer.

Herzlich willkommen in der schönen neuen Welt des Fussballs, wo plötzlich zusammen gehört, was nichts miteinander zu tun hat, eben: Sevilla und Melbourne, Genoa und Lüttich. Und so weiter. So geht das gerade auf der ganzen Welt. Klubs werden gehandelt wie Ware. Gehören plötzlich zu Netzwerken, die es vor ein paar Jahren noch gar nicht gab.

Fernando Roitman sagt, der Boom der Klub-Netzwerke – in der Branche bekannt unter dem Begriff Multi-Club Ownership (MCO) – sei einer der grössten und wichtigsten Trends in der Branche. Roitman arbeitet für CIES, das internationale Zentrum für Sportstudien mit Sitz in Neuenburg. Und er hat ein paar Zahlen im Köcher, die es in sich haben. Zum Beispiel die: Im Jahr 2016 gehörten weltweit 83 Klubs zu einem Fussball-Netzwerk. 2022 waren es bereits 242, im März dieses Jahres 254.

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Eine Verdreifachung also, in nur sechs Jahren. Doch es geht noch weiter. Die EUFA vermisst alljährlich die europäische Klublandschaft. Im jüngsten Bericht steht zum Beispiel, dass mittlerweile 82 Erstliga-Klubs in Europa Teil eines MCO sind. Allein in der englischen Premier League trifft das auf die Hälfte aller Klubs zu, in Belgien, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal auf mindestens einen Drittel.

Befeuert wird der Trend von amerikanischen Investoren, eben Unternehmen wie 777 Partners. 27 Fussball-Netzwerke haben laut UEFA dort ihren Sitz. Insgesamt gibt es derzeit rund 100 solcher Netzwerke, sie spannen sich um den Globus, beinhalten Mehr- und Minderheitsbeteiligungen. Die meisten umfassen zwei Klubs, ein Fünftel aber mehr als vier. Manchester City gehört zu einem, Red Bull Leipzig, Milan, Lyon; in der Schweiz GC, Lausanne, Lugano und Thun. Wobei es dabei nicht bleiben dürfte. Doch dazu später.

Vorher noch eine andere, letzte Zahl: 6500. So viele Fussballer sollen laut der UEFA mittlerweile in Klub-Netzwerken spielen. Andere Schätzungen kommen gar auf bis zu 9000 Spieler.

Es spricht wenig dafür, dass dieser Boom ein Ende nimmt. Und es spricht viel dafür, dass die Fussballwelt gerade eine Revolution erlebt, die sie noch lange in Atem halten wird. Und die grundsätzliche Fragen aufwirft.

Investoren haben Geld, Klubs Pandemie-Sorgen

Der Fussball lebt von den Emotionen, die er entfacht; längst sind sie Milliarden wert. Darum ist er in den letzten Jahren ins Visier der kühlen Rechner von Investment-Gesellschaften geraten. Die haben nach Jahren der tiefen Zinsen viel Geld, das investiert sein will. Fussballklubs, zumal von der Pandemie gebeutelte, sind da ein gefundenes Fressen. Die Haie sind da.

Und so wächst hier ein Netzwerk und dort eines. Fussballforscher Roitman sagt, dass es dabei vor allem um eines geht: Spielerentwicklung. Und, eng damit verbunden: Geld. Wer mehrere Klubs habe, so Roitman, könne Spieler dort platzieren, wo sie am meisten spielen, sich entwickeln und so ihren Wert erhöhen können.

Bekannte Fussball-Netzwerke
City Group, Vereinigte Arabische Emirate: Manchester City, New York City, Melbourne City, Yokohama Marinos, Montevideo City Torque, Girona, Sichuan, Mumbai City, Lommel, Troyes, Palermo.

777 Partners, USA: Hertha Berlin, Genoa, Sevilla, Standard Lüttich, Vasco da Gama, Red Star Paris, Melbourne Victory.

David Blitzer, USA: ADO Den Haag, Bröndby Kopenhagen, Crystal Palace, Estoril, Augsburg, Beveren, Alcorcon.

Pacific Media Group, USA: Den Bosch, Kaiserslautern, Thun, Nancy, Oostende, Ebsbjerg, Barnsley, Tychy.

Red Bull, Österreich: RB Leipzig, Red Bull Salzburg, New York Red Bulls, Red Bulls Bragantino, Red Bull Brasil.

Fosun, China: Wolverhampton, GC.

Joe Mansueto, USA: Chicago Fire, FC Lugano.

Ineos, England: Nizza, Lausanne-Sport.

Tony Bloom, England: Brighton and Hove, Union Saint-Gilloise

Zuoberst in der Nahrungskette steht der «leading club», meist ein Grossklub. Darunter: ein oder mehrerer kleinere Klubs, die für ihn ausbilden. Eine klare Hierarchie also – auch wenn das gerne anders dargestellt wird, um Fans zu besänftigen. Die reagieren naturgemäss skeptisch bis wütend, wenn ihr Herzensverein plötzlich von einem anderen übernommen wird. Von Kopenhagen bis Lorient kam es zuletzt nach Übernahmen zu Protesten.

Daneben locken Synergieeffekte. Zum Beispiel beim Scouting von Spielern. Auch für Sponsoren sind Klub-Netzwerke interessant, weil sie so auf einen Schlag verschiedene Märkte abdecken können.

Früher, als alles anfing mit dem Fussball, gehörte ein Klub meist den Leuten, die ihn gründeten, und er war eng verwurzelt mit seiner Stadt. Wenn jetzt immer mehr Klubs miteinander verbunden sind, dann rüttelt das an den Grundfesten des Fussballs.

Will UEFA-Präsident Ceferin die Regeln lockern?

Es stellt sich dann zum Beispiel die Frage, was passiert, wenn zwei Vereine aus dem gleichen Netzwerk aufeinander treffen. Eigentlich gibt es dafür Regularien, namentlich Artikel 5.01 der UEFA. Dort heisst es sinngemäss, dass keine Firma oder Privatperson bei mehr als einem im Europacup involvierten Verein Einfluss haben oder gar Kontrolle ausüben darf.

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2018 trafen RB Salzburg und RB Leipzig in der Europa League aufeinander.Bild: AP/AP

Doch es gibt schon länger Zweifel daran, wie griffig diese Regulierung angewendet wird. Als sich 2017 Red Bull Salzburg und RB Leipzig für die Champions League qualifizierten, zwei Vereine, die zum selben Konzern gehören, genügten strukturelle Anpassungen, um die UEFA zu besänftigen. Dass seither weiterhin munter Spieler vom einen Red-Bull-Klub zum anderen wechseln, scheint sie nicht zu kümmern.

Unlängst hat UEFA-Präsident Alexander Ceferin den Artikel 5.01 in einem Interview gar zur Debatte gestellt. Er sagte, man müsse die Regeln überdenken, und zwar schnell. Der Slowene legt sich zwar noch auf nichts fest, aber er stellte zumindest eine Deregulierung in den Raum, um auf den Boom der Fussball-Netzwerke zu reagieren.

Natürlich könnte man damit auch ganz anders reagieren. Zum Beispiel mit schärferen Regeln. Doch danach, so sieht das auch Fernando Roitman, sehe es derzeit nicht aus. Er sagt, dass der Netzwerk-Trend auch in den Transfermarkt wirkt. Dort werden wechseln jetzt öfter Spieler zwischen Klubs, die zur gleichen Struktur gehören. Das wirkt sich auf die Transfersummen aus, es fliessen gar keine oder tiefere.

Darunter leiden jene Klubs, die die Spieler einst ausgebildet haben und Anspruch auf Solidaritätszahlungen hätten. Wenn die ausbleiben, bekommen das die Ausbildungsklubs zu spüren. «Ein Effekt könnte sein, dass diese Klubs anfälliger werden für eine Übernahme», sagt Roitman. Ein Teufelskreis.

Lugano profitiert, GC leidet

In der Schweiz gehören mehrere Klubs zu einem Netzwerk, und an ihren Geschichten kann man ablesen, was das für einen hiesigen Klub bedeuten kann. Es kann, wie in Lugano, ziemlich gut kommen, weil die Besitzer Rücksicht nehmen auf die Verhältnisse vor Ort und Leute einsetzen, die sich auskennen in der Schweiz.

Es kann aber auch wie bei GC herauskommen, dem stolzen Traditionsklub, der 2020 eine Zweckehe mit dem chinesischen Fosun-Konzern eingegangen ist, weil ihm nichts anderes übrig blieb. Kürzlich hat Trainer Giorgio Contini seinen Vertrag per Saisonende gekündigt, ein aussergewöhnlicher Vorgang. Contini will die Aktion als Weckruf für den orientierungslosen Klub verstanden haben. Noch ist nach vielen Führungswechseln völlig unklar, wer nächste Saison für GC spielt.

Grasshoppers Trainer Giorgio Contini im Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen dem Grasshopper Club Zuerich und dem FC Lugano im Letzigrund Stadion, am Sonntag, 2. April 2023 in Zueric ...
Einfach mal kündigen: GC-Trainer Contini.Bild: keystone

Claudius Schäfer ist CEO der Swiss Football League, und wenn er über den Multiklub-Boom spricht, tut er das mit zwei Herzen in der Brust. Einerseits gäbe es Klubs wie GC und Lugano ohne die Investoren aus dem Ausland vielleicht gar nicht mehr. Andererseits kennt Schäfer die Realitäten in der Fussballwelt. Der führende Klub ist ein Schweizer Verein in solchen Konstrukten nicht.

Das, sagt Schäfer, bringe die Gefahr mit, dass hiesige Klubs zu Durchlauferhitzern für ihre grossen Partner werden. Und der Weg für Schweizer Nachwuchsspieler in die erste Mannschaft steiniger wird, weil andere die Plätze besetzen. Ist das alles nun gut oder schlecht? «Man muss jeden Klub separat betrachten», sagt Schäfer. Wichtig sei, dass die Identität eine Rolle spiele und es eine klare Strategie gebe.

So oder so: Das Thema wird den Schweizer Fussball weiter beschäftigen. Das sieht Schäfer so, der von Schweizer Klubs berichtet, die viele Übernahmeanfragen bekommen. Und das sieht auch Fussballforscher Roitman so. Der sagt, Märkte wie Belgien oder Portugal seien bald abgegrast. Und dann richte sich der Fokus bald vermehrt auf Schweizer Klubs. (aargauerzeitung.ch)

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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moccabocca
18.04.2023 17:54registriert Juli 2015
Der Profi-Fussball wird ganz zu Grunde gehen, wenn es so weiter läuft.
603
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cabli
18.04.2023 18:31registriert März 2018
Na ja, 220 Millionen in Hertha zu investieren um gegen den Abstieg zu kämpfen ist wahrlich eine gelungene Investition
390
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baBIELon
18.04.2023 18:53registriert August 2016
Back to Football!
Support your local Football Club und nicht irgendwelche Millionäre beim Ausüben ihres Hobbies!
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