«Wir hoffen, dass die Fans verstehen, dass City darin enthalten ist, so wie ein Intel-Chip in ihrem Computer.» Diesen Satz sagte Ferran Soriano, der spanische CEO von Manchester City. Er sagte ihn über den FC Girona.
Spaniens Fussball wird von Real Madrid und vom FC Barcelona regiert. Das ist schon fast Gesetz. Dann und wann muckt einer aus der zweiten Reihe auf, zuletzt vornehmlich Atlético Madrid. Bloss ein einziger Underdog schaffte es in den letzten vier Jahrzehnten, den grossen Teams den Meisterpokal wegzuschnappen: Deportivo La Coruña in der Saison 1999/2000.
Natürlich ist es verfrüht, Ende September bereits eine Revolution auszurufen. Aber verwunderlich ist es schon, den Namen des Leaders nach sieben Runden zu lesen: Girona. Noch ungeschlagen, ein Punkt vor Real, zwei Punkte vor Barcelona. Dank einem 1:0-Sieg gegen Sevilla im ersten Spiel der 8. Runde am Freitagabend zog Barça zumindest für eine Nacht vorbei.
Es ist eine Höhe, die der Klub nicht kannte. Denn der FC Girona war die längste Zeit seines 93-jährigen Bestehens so weit vom Thron der höchsten Liga entfernt wie der Ballermann auf Mallorca vom Ruf, im Sommer eine Oase der Ruhe zu sein. Diese Saison ist überhaupt erst Gironas vierte in der Primera Division, mehr als Rang 10 schaute bislang nicht heraus.
Wann Girona begann, ein ambitionierterer Klub zu werden, lässt sich leicht bestimmen. Am 23. August 2017, kurz vor dem Start in die erste Saison in der höchsten Liga, stieg die City Football Group ein. Die Scheichs aus Abu Dhabi haben mit ihren Milliarden aus Manchester City einen Champions-League-Sieger und Serienmeister gemacht. Viele weitere Fussballklubs gehören der Gruppe an, etwa der New York City FC, Melbourne City oder die Yokohama F. Marinos in Japan.
Ein 2:1-Heimsieg gegen Real Madrid war in jener Premierensaison das Highlight, Girona hielt souverän die Klasse. Doch ein Jahr später ging es wieder eine Liga tiefer. Die City-Macher blieben am Ball, Girona schaffte es stets in die Aufstiegs-Playoffs und 2022 im dritten Anlauf gelang die Rückkehr ins Oberhaus.
Cristhian Stuani schoss damals gegen Real ein Tor und der Stürmer ist immer noch im Team. Mit weit über 100 Toren ist der 36-jährige Stuani längst der Rekordtorschütze des Klubs. Der Nationalspieler Uruguays ist eines der Aushängeschilder. Verteidiger Daley Blind ist ein anderes, Torhüter Paulo Gazzaniga ein dritter bekannter Name. Sie alle eint, dass sie den 30. Geburtstag hinter sich haben.
Doch zu glauben, hier würde eine «Rentner-Truppe» mit Fussball im Stil von Otto Rehhagels Griechen beim EM-Triumph 2004 rumpeln, ist falsch. Girona spielt – ähnlich wie ManCity – einen von Pressing und kurzen Pässen geprägten Offensivfussball und gewann schon 3:0, 4:2 und 5:3. Und es hat nicht bloss routinierte Spieler, sondern auch junge Talente. Etwa den 19-jährigen Sávio, der als Linksaussen gesetzt ist.
Der junge Brasilianer ist ein gutes Beispiel, um die Verbindungen aufzuzeigen, die der FC Girona dank seiner Besitzer hat. Denn er ist vom französischen Klub Troyes ausgeliehen – einem Verein aus dem Portfolio der City Football Group. Der Kolumbianer Yangel Herrera kam ebenso von Manchester City wie der Brasilianer Yan Couto. Die meisten wurden in diesem Sommer engagiert. Und es kamen zwei weitere Spieler, bei der die Gruppe wohl ihre persönlichen Kontakte nutzte. Ob die Barça-Spieler Eric Garcia und Pablo Torre auch sonst in der katalanischen Stadt rund 100 Kilometer nordöstlich von Barcelona unterschrieben hätten?
Denn ein Teil des Klubs gehört einer Gruppe, hinter der Pere Guardiola steckt, Spielerberater – und Bruder von Pep Guardiola, Trainer von Manchester City, dem Flaggschiff der City Football Group. Die Brüder machen länderübergreifend gemeinsame Sache, denn Pere Guardiola amtet in Girona als Vorstandsvorsitzender.
Wie das abläuft, zeigen Aussagen von Artem Dowbyk. Der Angreifer aus der Ukraine sagte, primär habe ihn nicht Girona gewollt, sondern die City-Gruppe. Nach der EM 2021 hätte sie ihn nach Troyes holen wollen, nun wurde es stattdessen Girona. Wenn sich Dowbyk in Spanien beweist, kann er zum Thema für ManCity werden – grosse Transferverhandlungen dürfte es dann eher nicht geben.
Erweist sich dieser Sprung als zu gross, kann er wenigstens gewinnbringend verkauft werden. So wie Taty Castellanos, der 2019 für ein paar hunderttausend Euro aus Uruguay für den New York City FC verpflichtet wurde, vor einem Jahr an Girona ausgeliehen und in diesem Sommer für 15 Millionen Euro an Lazio Rom verkauft wurde.
Gironas Aufschwung ist also nicht wirklich das Märchen eines Kleinklubs, der plötzlich auf wundersame Weise die Spitze erklimmt. Zur Einordnung der überraschenden Tabellenführung gehört ausserdem der Hinweis, dass die Gegner bislang zumeist Teams waren, die Ende Saison eher in der unteren Tabellenhälfte erwartet werden. Das Ziel bleibe der Klassenerhalt, betonte Pere Guardiola und sagte mit Blick auf die bislang geholten 19 Punkte: «Die Hälfte der Arbeit ist getan.»
Das nächste Spiel wird deshalb nun zu einem Prüfstein. Denn in seinem kleinen, rund 14'000 Plätze fassenden Estadi Montilivi empfängt der FC Girona niemand anders als Real Madrid. Erster gegen Zweiter, das Überraschungsteam gegen die berühmteste Fussballmannschaft der Welt. Für Girona wird es das Spiel aller Spiele – und Cristhian Stuani hofft, dass er noch einmal gegen die «Königlichen» trifft. So wie im Herbst 2017, als in Girona die Fussball-Neuzeit begann.
Mit "ambitioniert" hat das gar nix zu tun, wenn man sich so ausnutzen lässt.