Die Mannschaft von Luciano Spalletti empfängt im Endspurt der EM-Qualifikation am Freitag in Rom Nordmazedonien und tritt drei Tage später zum Abschluss in Leverkusen gegen die Ukraine an. Der erste Gegner ist ein Angstgegner, der letzte ist der direkte Konkurrent um den benötigten 2. Platz hinter England. Italien geht mit drei Punkten Rückstand auf die Ukraine in die entscheidende Phase, hat aber ein Spiel weniger absolviert und das erste Duell mit dem vom Krieg gebeutelten Kontrahenten mit 2:1 für sich entschieden.
Noch haben die Italiener also alles in den eigenen Händen, zudem gibt es auch noch die Möglichkeit zur Qualifikation über die Playoffs der Nations League. Jedoch haben sich dunkle Wolken aufgetürmt über der Squadra Azzurra, die an der letzten EM mit ihrem untypisch spektakulären, nach vorne gerichteten Spielstil noch die Fussballfans weltweit verzückt hat: Roberto Mancini, der Europameistermacher, trainiert «aus persönlichen Gründen» plötzlich lieber Saudi-Arabien als sein Heimatland. Die beiden Nationalspieler Sandro Tonali und Nicolo Fagioli wurden wegen illegaler Wetten gesperrt. Der noch nicht sanktionierte Nicolo Zaniolo, der dritte Internationale im Bunde, soll gar aktiver Teil eines Glückspielrings sein.
Just in diesem Moment steht bei den Italienern die Teilnahme am nächsten Grossanlass auf dem Spiel. Und just in diesem Moment bekommen sie es mit Nordmazedonien zu tun – jenem Gegner, der in ihren Köpfen böse Erinnerungen weckt.
Das kleine Balkanland steht in der FIFA-Weltrangliste zwar nur auf Platz 66, hat Italien aber schon mehrmals geärgert. In bislang vier Duellen setzte sich der viermalige Weltmeister nur einmal durch. Besonders schmerzhaft war die 0:1-Heimniederlage in der letzten WM-Qualifikation, die Italien um die Teilnahme an der WM in Katar brachte.
«Angst? Die treibt uns nur an», sagt Luciano Spalletti betont gelassen. Dabei bekam auch der Nachfolger von Roberto Mancini, der letzte Saison die SSC Napoli zum ersten Meistertitel in der Serie A seit mehr als 30 Jahren geführt hat, die unangenehme Galligkeit der Nordmazedonier bereits zu spüren: Das 1:1 in Skopje im ersten Duell im September war sein Einstand als Commissario Tecnico bei der Squadra.
Angesichts der Nebengeräusche und der heiklen sportlichen Situation steht es gerade nicht gut um das Nationalteam, das unter Roberto Mancini zum Europameister aufgeblüht ist. Dabei gehören Skandale im italienischen Calcio fast schon zum Programm; sie kommen und gehen. Mal sind es illegale Wettgeschäfte, werden Geschäftszahlen mit krummen Finanztricks frisiert, fliegt ein Betrugsnetz aus Bestechung und Spielmanipulation auf, nährt eine Häufung von Todesfällen den Verdacht von systematischem Doping in der Vergangenheit oder eskaliert der in den Zuschauerrängen grassierende Rassismus.
Der bislang grösste Skandal wurde kurz vor der WM 2006 bekannt, als die «Gazzetta dello Sport» aufdeckte, wie Juventus Turins Generaldirektor Luciano Moggi mit einem mafiösen Geflecht den nationalen Fussball über Jahre kontrollierte und manipulierte, wie dieser unter anderem 29 von 38 Partien seines Klubs in der Saison 2004/05 mit Schiedsrichter-Bestechung systematisch zu Juves Gunsten beeinflusste.
Im Vergleich dazu mutet die aktuelle Situation mit dem abtrünnigen Mancini, dem «Trainer der Scheichs mit den 30 Millionen strikt persönlichen Gründen», und dem der illegalen Zockerei zugeneigten Nationalmannschafts-Trio harmlos an. Und dass die Azzurri den Gegenwind in positive Energie umwandeln können, haben sie insbesondere am letzten grossen Turnier beim kommenden EM-Gastgeber Deutschland bewiesen.
Als Aussenseiter und begleitet vom Skandal um Juventus Turin und Luciano Moggi in die Weltmeisterschaft 2006 gestartet, holte die Squadra das Land mit seinem bislang letzten WM-Titel entgegen allen Prognosen aus der Depression. Es gibt also durchaus Hoffnung, dass sich das Nationalteam auch aus der jetzigen Situation zu befreien weiss und in Deutschland ein neues italienisches Sommermärchen schreiben wird. Tutto è possibile. (kat/sda)
Was das wohl für persönliche Gründe sein werden?