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Milan und Inter Mailand spielen wieder im Konzert der Grossen von Europa

Inter Milan's Marco Materazzi, left, and AC Milan's Rui Costa look on as the match was stopped to clean up flares thrown by fans during their Champions League quarterfinal second leg match a ...
18 Jahre nach dem letzten Euroderby: Das Feuer brennt wieder in Mailands Fussball. (Mailand, 12. 4. 2005)Bild: AP

Milan und Inter Mailand spielen wieder im Konzert der Grossen von Europa mit

Dominanz und Champions-League-Titel in den Nullerjahren, versunken in der Bedeutungslosigkeit im letzten Jahrzehnt und nun wieder ganz weit oben – im Halbfinal der Champions League. Milan und Inter Mailand gehen fast im Gleichschritt durch Höhen und Tiefen. Eine Reise vor dem Euroderby von heute durch die bewegten, letzten 20 Jahre der beiden Traditionsklubs.
10.05.2023, 14:5410.05.2023, 14:54
Stefan Wyss / ch media
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Natürlich spielte der Zufall auch ein Rolle. Oder das Glück. So nannte es Fabio Capello, der mit Milan in den Neunzigerjahren viermal Meister und einmal Champions-League-Sieger wurde. «Der andere Halbfinal (Real Madrid - Manchester City) ist der wahre Final. Die Italiener brauchten Losglück, um so weit zu kommen.» Ganz falsch liegt Capello mit seiner Aussage nicht. Milan setzte sich in den K.-o.-Runden gegen Tottenham Hotspur und Napoli durch, Inter gegen Porto und Benfica Lissabon. Der Weg hätte steiniger sein können.

Doch einem geschenkten Gaul schaut man auch in Mailand nicht ins Maul. Die Sportzeitung «Gazzetta dello Sport» füllte schon letzte Woche täglich fünf bis acht Seiten zum Euroderby – oder zum «Derbissimo», wie sie nach Feststehen der Affiche titelte. Am Montag waren es bereits elf Seiten. Tendenz für heute, für den Spieltag: stark steigend.

Grosse Rivalität, aber keine Feindschaft

AC Milan fans celebrate in Piazza Duomo square after a Serie A soccer match between Sassuolo and AC Milan, being played in Reggio Emilia, in Milan, Italy, Sunday, May 22, 2022. AC Milan secured its fi ...
Vor einem Jahr feierten die Milan-Fans den ersten Meistertitel seit elf Jahren.Bild: keystone

Auf der Piazza del Duomo, in den Trattorien des Brera-Quartiers oder am Ufer der Navigli diskutieren die Tifosi in diesen Tagen, was wohl schwerer wiegen wird. Dass Milan den Ausfall Rafael Leãos, seines besten Spielers, zu verkraften hat. Oder dass Inter mit Francesco Acerbi, Matteo Darmian und Alessandro Bastoni eine Abwehr aufs Feld schickt, der internationales Top-Format abgeht.

Das Bild ist übrigens durchaus bewusst gewählt. «Milanisti» und «Interisti» diskutieren am gleichen Tisch, laut ja, aber nie gehässig oder handgreiflich. In Mailand gehen sie auch nicht getrennt zum Stadion. Rot-Schwarz und Schwarz-Blau sitzen im Derby Schulter an Schulter auf den engen Schalensitzen des Giuseppe-Meazza-Stadions.

«Das ist Zivilisation, der Stil der Mailänder», pflegte Milans früherer Geschäftsführer Adriano Galliani jeweils zu sagen. Das wurde immer auch als Seitenhieb an die ungeliebten Römer verstanden. In Rom wurde in den Tagen nach Derbys zwischen der AS Roma und Lazio nicht selten mehr über die (Kampf-)Taktik der Polizei und der Ultras debattiert als über 4-4-2 und Gegenpressing, wenn mal wieder Wasserwerfer und Tränengas zum Einsatz gekommen waren.

Inter Milan fans celebrate in Piazza Duomo square in front of the gothic cathedral after Inter Milan won its first Serie A title in more than a decade after second-placed Atalanta drew 1-1 at Sassuolo ...
Ein Jahr vorher waren die Interisti am Zug.Bild: keystone

In Mailand ist die Rivalität zwischen Milan und Inter weniger radikal und rein sportlicher Natur, weil sich abseits des Fussballs keine tieferen Gräben auftun zwischen den Klubs. Keine gesellschaftlichen wie in Madrid, keine religiösen wie in Glasgow und keine geografischen wie in Istanbul.

Rivalen ja, Feinde nein. Gegenüber Juventus Turin empfinden die Fans mehr Abneigung als gegenüber dem Stadtrivalen. Vielleicht auch deshalb bewegen sich Milan und Inter in erstaunlichem Gleichschritt durch die Jahrzehnte. Die Parallelen sind frappant – im Erfolg, im Misserfolg, in der Wirtschaftskraft und in den Besitzverhältnissen.

2003 und 2005 standen sich Milan und Inter bereits in K.-o.-Spielen der Champions League gegenüber. Damals waren die beiden Klubs dominant in Italien und in Europa. Alimentiert durch den Mailänder Geldadel, der Medien-Mogul und Rechtspolitiker Silvio Berlusconi bei Milan und der Erdöl-Industrielle Massimo Moratti bei Inter.

AC Milan's Silvio Berlusconi raises the trophy aloft as he stands with his team after they beat Liverpool 2-1 to win the Champions League Final soccer match between AC Milan and Liverpool at the  ...
2007 gewann Milan letztmals die Champions League – mit Silvio Berlusconi als Präsident.Bild: AP

Es war die Zeit, als Milan und Inter finanziell noch mithalten konnten mit der Konkurrenz aus Madrid, Barcelona oder England. 2005 setzte Milan 234 Millionen Euro um und lag damit auf Platz drei Europas. Inter folgte nur unwesentlich dahinter. Noch ein paar Jahre ging das in ähnlichem Stil weiter. Dann, nach dem Champions-League-Triumph von Inter, im 2010, stürzten die Mailänder nach und nach ab. Berlusconi und Moratti drehten erst den Geldhahn zu und verkauften später ihre Vereine.

Ihr Mäzenatentum war längst nicht mehr zeitgemäss. Familiäre und verkrustete Strukturen, sowie veraltete Infrastruktur: 2015, zehn Jahre nach dem letzten Euroderby, setzten Milan und Inter keine 200 Millionen Euro mehr um, während die Topklubs aus England oder auch Bayern München ihre Umsätze innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelten oder sogar verdreifachten.

In dieser Phase darbten Milan und Inter auch national. Zwischen 2013/14 und 2016/17 schaffte es vier Saisons am Stück keiner der beiden, sich für die Champions League zu qualifizieren. Als 2015 in der Serie A die Ränge acht und zehn herausschauten, war dies das schlechteste Ergebnis der Mailänder seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Ausländisches Geld, italienische Kompetenz

Die Basis für einen zögerlichen Aufwärtstrend wurde gelegt, als ausländische Investoren die Klubs übernahmen. Auch dies geschah fast im Gleichschritt. Moratti verkaufte Inter 2013 an den Indonesier Erick Thohir, seit 2016 gehört der Klub dem chinesischen Einzelhandel-Grosskonzern Suning. Berlusconi leitete 2015 den Prozess des Verkaufs von Milan ein, ebenfalls an einen Chinesen, mittlerweile ist der Verein im Besitz der amerikanischen Investmentfirma Redbird Capitals.

Das ausländische Geld brachte nach und nach Ruhe in die operative Führung. Und Schritt für Schritt kam der Erfolg zurück. Bei Inter baute der langjährige Juventus-Manager Beppe Marotta in drei Jahren ein Team auf, das 2021 den Titel gewann. Bei Milan tat es ihm Sport-Direktor Paolo Maldini gleich. Seit der frühere Linksverteidiger das alleinige Sagen hat, steigerte sich Milan von Platz sechs (2020) über Platz zwei (2021) zum Scudetto im letzten Jahr.

Den Meistertitel verloren Milan und Inter zwar eben an Napoli. Doch das internationale Interesse richtet sich dieser Tage auf Mailand, auf die einzige Stadt mit zwei Klubs, die schon die Champions League gewannen. Das «San Siro», wie das Stadion am westlichen Stadtrand vom Volk genannt wird, wurde für den Champions-League-Final 2016 sanft modernisiert. Gespielt wurde in diesem Final dann das Madrider Derby zwischen Real und Atlético. Sieben Jahre später sind auch die Mailänder Rivalen zurück im europäischen Scheinwerferlicht. (aargauerzeitung.ch)

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