Valentin Stocker, Glückwunsch zum bevorstehenden Elternglück. Sie werden erstmals Vater, womit sich 2022 in Ihrem Leben eine Menge verändern wird.
Valentin Stocker: Danke, wir freuen uns riesig auf unser Kind und auf alles, was dann kommt. Das bringt grosse Verantwortung mit sich, und dazu sind wir bereit.
Ihre Hochzeit im November und dieses freudige Ereignis haben Sie mit einem Post auf Social Media bekannt gemacht. Ansonsten haben Sie es als öffentliche Person, als Fussballstar, ziemlich gut geschafft, ihr Privatleben auch privat zu halten.
Ich bin seit über zehn Jahren mit meiner Frau zusammen und es war mir immer wichtig, dass ich sie schützen kann. Fussballprofi zu sein, hat nicht nur schöne Seiten. Man wird erkannt, im Restaurant schauen Leute, was man isst, und in einer anderen Stadt gibt es auch mal Leute, die einen nicht so toll finden. Deshalb war mir wichtig, dass meine Frau, die der starke Part an meiner Seite ist, inkognito ihr Leben leben kann und nicht medial im Fokus steht. Aus unserer Heirat und der Schwangerschaft wollten wir kein Geheimnis machen, sind aber froh, wenn wir wieder unsere Privatsphäre haben.
Schon das vergangene Jahr des FC Basel war kaum zu überbieten und immer wieder mittendrin waren Sie. Die Suspension, die Aufregung um ein Video mit Karl Odermatts Anwürfen in Ihre Richtung, die Fans, die für Sie auf die Strasse gegangen sind. Dann der Besitzerwechsel und schliesslich ein Versöhnungsinterview mit dem «Blick». Warum haben Sie mit dem Blatt lange Zeit nicht mehr geredet?
Weil meiner Reputation geschadet wurde. Und dann muss man auch mal konsequent sein. Aber ich war auch offen für eine Entschuldigung, und die habe ich angenommen.
Karl Odermatt hat sich mit einem Anruf auf die Combox bei Ihnen entschuldigt. Gibt es noch mehr Leichen im Keller?
Es war vor ein paar Jahren eine gute Entscheidung, die Medienberichte nicht mehr zu konsumieren. Und alles, was vergangenes Jahr passiert ist, möchte ich eigentlich nicht noch einmal aufkochen. Nachtreten ist nicht meine Art. Ich schaue seit vergangenem Frühling nach vorne. Mein Ziel war es, Patrick Rahmen einen guten Einstieg mit seinem jungen Trainerteam zu ermöglichen und mit dem FCB wieder in die Spur zu finden.
Ist der Eindruck richtig, dass Sie sich erschöpft haben in jener Phase, als die Mannschaft beinahe in Abstiegsgefahr geraten war, und dann zu Saisonbeginn bis hin zur Qualifikation für die Conference League – und dass Sie dann in ein Tief geraten sind?
Der Druck im Frühjahr war enorm. Und ich habe gespürt, dass ganz viel auf meinen Schultern lastet. Nach der Sommerpause ist mir dann in fast jedem Spiel ein Tor oder Assist gelungen, da hatte ich eine richtige Sahneform. Zu den mentalen Strapazen kam im Heimspiel gegen Hammarby ein Schlag aufs Knie, woran ich bis heute herumdoktere.
Wie viel Jahre Profifussball spüren Sie noch in sich drin?
Ich fühle mich sehr gut, sehr fit und mit meinen Ausdauerwerten darf ich mit meinen bald 33 Jahren auch sehr zufrieden sein. Ich glaube, dass ich das noch über längere Zeit beibehalten kann und möchte dem Verein etwas zurückgeben. Aber es ist doch auch ganz klar, dass der FCB sich entwickeln muss, dass sich auf den Offensivpositionen junge Spieler beweisen müssen, um dann irgendwann die Verantwortung zu übernehmen, wie ich es in vielen Momenten getan habe.
Es kratzt also nicht an Ihrer Ehre, wenn Sie bis zum Vertragsende 2023 immer wieder mal nur die Reservistenrolle einnehmen?
Das ist eine Gratwanderung. Natürlich habe ich meinen Ehrgeiz, ich bin immer noch einer der besten Scorer und ich will der Mannschaft helfen. Ich fühle mich an meine Situation damals mit Scott Chipperfield erinnert. Ich profitierte davon, dass er immer wieder verletzt war, und dennoch habe ich immer den Support von ihm genossen. Und manchmal standen wir ja auch zusammen auf dem Platz, wie an der Finalissima 2010. Es muss bei einem Generationenwechsel eine Synergie geben, aus der mehr Kraft entsteht.
Schon erstaunlich: Jetzt trainieren Sie mit Liam, dem 17-jährigen Sohn von Scott Chipperfield.
Unglaublich, oder? Es macht mich stolz, denn das bedeutet ja auch, dass man mit seinen Leistungen über so eine lange Zeit einen festen Ort gefunden hat.
Sie haben ja eine wunderbare Bezeichnung für den FCB gefunden und die Mannschaft ein zartes Pflänzchen genannt. Hat dem die Aufregung am Ende der Hinrunde um das Interview im «Blick» von David Degen geschadet?
Ich habe das alles nicht gelesen, aber schon mitbekommen, dass sich David Degen über gewisse Bereiche kritisch geäussert hat. Wer ihn kennt, der weiss, dass er sehr ehrgeizig ist und manchmal alles auf einmal will. Aber grundsätzlich ist mir jemand lieber, der Gas gibt, der pusht und Veränderung vorantreibt. Vielleicht war er in der einen oder anderen Aussage zu forsch, was ihm hinterher auch wieder leidtut. Er ist ein Mann der Tat, er erwartet viel und sagt, dass er den FCB wieder ganz oben an die Spitze bringen will.
Und? Schafft er das mit seinen Ansagen?
Ich bin überzeugt, dass uns das gemeinsam gelingen wird, und als Mitbesitzer des Klubs hat er die Berechtigung, Kritik anzubringen und anzusprechen, wo er Verbesserungspotenzial sieht. Ich glaube nicht, dass jemand Groll hegt gegen ihn; ich zuallerletzt. Wenn ich was zu klären habe, dann sage ich es ihm ins Gesicht, und umgekehrt ist das genauso. So soll es sein.
Man wird seit der Übernahme der neuen Klubführung das Gefühl nicht los, dass die Talente wie mit der Giesskanne über die Mannschaftsteile verteilt werden. Stimmt die Mischung zwischen Alt und Jung?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Grundsätzlich ist es eine Herausforderung...
…für wen?
Für mich als erfahrenen Spieler, für uns als Mannschaft, weil es darum geht, innert kürzester Zeit, viele talentierte Junge zu integrieren und einen guten Mix zu finden. Aber diese Aufgabe ist auch schön, weil ich das Potenzial sehe, dass es sich in die richtige Richtung entwickeln kann. Allerdings ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen, und deshalb finde ich das Bild vom zarten Pflänzchen auch richtig: Wenn man hier ein bisschen zu wenig und dort ein bisschen zu viel macht, dann kann es ins Ungleichgewicht geraten. Und das kann Misserfolg bedeuten.
Mit ihren fast 33 Jahren haben Sie viele Trainingslager mitgemacht. Da können Sie es verschmerzen, dass Dubai gestrichen wurde?
Grundsätzlich wäre ich sehr gerne ins Trainingslager gegangen. Aber so wie sich die Coronalage jüngst entwickelt hat, ist es die einzig richtige Entscheidung, nicht nach Dubai zu reisen. Gesellschaftspolitisch gibt es, finde ich, keine zwei Meinungen. Und ich bin froh, dass wir als Team und der Klub eine gute Kommunikation gehabt haben. Jetzt haben wir dank der Leute, die im Hintergrund arbeiten, einen neuen Vorbereitungsplan, um das fehlende Trainingslager zu kompensieren.
Wird es gelingen, die Frische vom Saisonstart wiederzuerlangen?
Das ist der Anspruch, den wir haben. In den ersten Spielen ist es mega gut gelaufen. Vielleicht waren wir da gar nicht so gut, wie es in der Aussenwahrnehmung gewirkt hat. Wichtig ist jetzt, neben körperlicher und mentaler Fitness, dass wir uns spielerisch entwickeln. Es geht um Automatismen, darum, Chancen zu kreieren, mehr Lösungen zu haben gegen tief stehende Gegner, und im Defensivverhalten quasi die gleiche Sprache zu sprechen. Wir hatten oft viel Ballbesitz, aber zu wenig Chancen. Und wenn wir sie hatten, haben wir sie nicht gut genug verwertet. Daran arbeiten wir täglich.
Was sagt Ihnen die Tabelle der Super League?
Dass es so interessant ist, wie lange nicht mehr. Deshalb wird die erste Phase der Rückrunde schon sehr entscheidend sein. Für uns ist es ein ganz schwieriges Startspiel in Luzern, und wenn wir ein Wörtchen mitreden wollen im Meisterkampf, dann müssen wir dort die drei Punkte mitnehmen.
Sind Sie überrascht, dass der FC Zürich so weit voraus ist? Und YB hinter dem FCB noch weiter zurückliegt?
Nein, eigentlich nicht. YB hat extrem viele Körner in der Champions League verbraucht. Das kann man auch an der Verletztenliste erkennen. Sie haben auf der Überholspur performt, und es ist enorm, was das körperlich und mental beansprucht. Es wundert nicht, wenn in der Meisterschaft der eine oder andere Punkt verloren geht. Uns erging es auch so. Wir sind extrem stark gestartet, haben unser europäisches Ziel erreicht und gegen Schluss einfach zu oft unentschieden gespielt. Uns fehlen drei bis sieben Punkte. Der FCZ hat die ruhigere Zeit gehabt, und Trainer André Breitenreiter, den ich aus der Bundesliga kenne, hat es sehr gut gemacht. Darum ist es nicht verwunderlich, wo der FCZ steht.
Kann der FCZ das durchziehen und Meister werden?
Nüchtern betrachtet: selbstverständlich. Wer in einem halben Jahr 40 Punkte holt, der kann am Ende der Saison auch 80 haben – und das reicht meistens.
Kann Basel Meister werden?
Definitiv! So gross ist der Rückstand nicht. Und wenn wir einen guten Start haben, ist nach oben alles möglich. Für YB gilt das übrigens auch.
Und was sagt uns, dass im Frühjahr mal wieder einzig der FCB noch international vertreten ist?
Es ist eigentlich wahnsinnig, dass wir als Schweizer Mannschaft einmal mehr europäisch überwintern. Ich fand es allerdings schade, dass man unsere Gruppe in der Conference League so schwach geredet hat. Es waren sehr weite Reisen und als Gruppensieger verdient die Mannschaft ein dickes Kompliment. Und jetzt hoffen wir, dass wir am 25. Februar einen coolen Gegner zugelost bekommen.
Sie wissen, dass das Achtelfinal-Rückspiel zu einem ganz besonderen Ereignis für Sie werden könnte?
Es wäre mein 100. Europacup-Spiel für den FCB.
Valentin ist über die Jahre sehr gereift, eine richtige Persönlichkeit, auf und wie es auch aussieht neben dem Feld,
nicht klassisch stromlinienförmig.
Chapeau, weiter so!