Obwohl Sie es wahrscheinlich nicht mehr hören können: Wie geht es Ihnen?
Marco Büchel: Besser! Mittlerweile kenne ich das Energielevel, das ich nicht überschreiten darf. Es gibt zwar immer noch Tage, an denen ich merke, dass ich über das Limit gegangen bin. Aber ich habe kaum noch Crashs.
Als Profisportler lernt man schnell, mit Verletzungen umzugehen. Wo liegt bei Long Covid für Sie der Unterschied?
Wenn ich mir das Kreuzband reisse, weiss ich, dass ich in einem Jahr wieder voll fit bin. Im Normalfall. Wie lange einen Long Covid begleiten wird, kann niemand sagen.
Nicht einmal Ihr Arzt?
Nein. Wir haben zwar eine Therapie gefunden, die mir gut hilft. Aber im Moment muss ich mit der Krankheit leben. Essenziell ist für mich, dass ich mindestens neun Stunden pro Nacht schlafe. Sonst treten Symptome auf. Im Vergleich zu anderen geht es mir wirklich gut, mühsam ist es trotzdem.
Längere sportliche Aktivitäten sind so nicht mehr denkbar.
Das stimmt. Ich kann mich momentan maximal zwei Stunden körperlich betätigen, ohne einen Crash zu riskieren. Früher wäre ich den Berg hochgejoggt, heute muss ich die Bahn nehmen. Mein Fokus liegt nun darauf, meine Form wieder aufzubauen.
Sie sprechen viel von «Crashs». Wie äussern sich diese?
Bei einem Crash merke ich, dass der Stecker gezogen ist. Da ist dann nur noch Leere. Ich muss mich hinlegen, am besten in einem dunklen Raum, und zwar ganz schnell. Mein Schädel dröhnt, als hätte ich Migräne, und beim Lesen von Texten kann ich Zusammenhänge nicht mehr erkennen. Teilweise greift das Ganze auch mein Sprachzentrum an. Dann finde ich die Worte nicht und kann mich nicht richtig artikulieren.
Das klingt, als würde Sie ein Crash bei Ihrer Tätigkeit als Kommentator einschränken. Ist Ihnen das live schon einmal passiert?
Nur einmal, dafür massiv. Da habe ich Panik bekommen. Ich war Studiogast beim Schweizer Fernsehen und es ging um schwierige Themen wie Nachhaltigkeit und Sportpolitik. Dann hatte ich plötzlich einen Crash, und mir sind die Worte nicht mehr eingefallen.
Wie war die Reaktion im Studio?
Niemand hat etwas gemerkt. Weil es schwierige Themen waren, haben alle angenommen, dass ich gerne mehr sagen würde, aber mich nicht dazu äussern darf. Das ist mir zugute gekommen.
Es macht die Situation aber nicht besser.
Überhaupt nicht. Ich erinnere mich, wie ich panisch nach Worten gesucht habe.
Was macht das mit Ihnen?
Kurz gesagt: Es war unglaublich frustrierend, und ich hatte die Schnauze voll. Ich war dieser Krankheit ausgeliefert. Eigentlich wollte ich nur mein altes Leben zurück. Mein Business ist das Reden. Teilweise hatte ich wirklich Angst, dass Long Covid meinen Beruf tangiert. Umso dankbarer bin ich heute, dass diese schwierige Zeit nun überstanden ist.
Einen Beruf, den Sie doch schon seit vielen Jahren ausüben.
Genau. Diese Skisaison ist meine 14. beim ZDF als Ski-Experte und Kommentator.
Der Skiweltcup ist Ende Oktober in Sölden losgegangen. Für viele zu früh. Wie stehen Sie dazu?
Schon als ich noch Rennen gefahren bin, war meine Meinung, dass der Saisonstart Anfang November reichen würde. Es ist schwierig, im Flachland den Skirennsport zu verkaufen, während man mit kurzer Hose Velofahren gehen kann. Manche plädieren dafür, die Saison zu starten, sobald es Schnee gibt, und dafür bis April zu fahren.
Wieso ist das nicht umsetzbar?
Ab Mitte Februar gehen die Einschaltquoten massiv zurück. Der Skirennsport ist jedoch auf Sponsoren angewiesen. Sobald die Einschaltquoten zurückgehen, fallen Sponsoren weg, und dann ist dieser Sport nicht mehr zu finanzieren. Nach den Skiferien im Februar ist das Thema für viele erledigt.
Man richtet sich also nach dem Publikum?
Genau. Der Weltcup ist eine Werbeveranstaltung und soll auch Geld generieren. In Zeiten des Klimawandels wird es sowieso immer schwieriger, den Skirennsport zu verkaufen.
Klimawandel, Sie haben ihn angesprochen: Skirennfahrer fliegen um die Welt, um ihren Beruf auszuüben. Wie passt das in die heutige Zeit?
Der Skirennsport ist nicht nachhaltig. Letztlich befördern all diese Athletinnen und Athleten den Klimawandel: Reiserei ohne Ende, nur schon im Sommer, um zu trainieren. Und während der Rennen dann erst recht. Wenn man sich konsequent für das Klima einsetzen möchte, darf man kein Skirennfahrer sein. Doch es ist eine schwierige Gratwanderung. Die Reiserei während des Weltcups lässt sich nicht gross einschränken. Wie der Name schon sagt, müssen die Rennen weltweit stattfinden. Aber: Die Planung lässt sich optimieren. Gut wäre beispielsweise, wenn man nicht mehrmals in die USA fliegt, sondern alle Rennen dort unmittelbar nacheinander abhält.
Denken Sie trotzdem, dass es den Skirennsport in 100 Jahren in dieser Form noch geben wird?
Absolut, aber ich bin ja auch nicht objektiv.
Es ist also mehr ein Wunsch.
Natürlich wünsche ich es mir. Den Skisport wird es immer geben. Beim Skirennsport kommt es darauf an, wie sich die FIS in den nächsten Jahren wandelt und wie sich der Markt entwickelt. Wenn das Interesse am Weltcup verloren geht, sind wir wieder beim vorhin angesprochenen Problem: Keine Einschaltquoten heisst keine Sponsoren, dann wird es den Sport in diesem Umfang nicht mehr geben. Grosse Klassiker wird es meiner Meinung nach aber immer geben.
Zermatt ist zwar kein Klassiker, steht jedoch unmittelbar bevor und hat im Vorfeld für Furore gesorgt. Die Bilder der Bagger auf dem Gletscher sind vielen ein Dorn im Auge. Dass auf diese Weise die Gletscherspalten geschlossen werden, ist jedoch nichts Neues. Wie empfinden Sie die Thematik als ehemaliger Skirennfahrer?
Wenn man immer vom Gletschersterben liest und dort dann auf einmal Bagger sieht, passt das nicht ins Bild. Der entscheidende Faktor ist die Annahme vieler, dass diese ganzen Arbeiten nur für den Weltcup stattfinden. Sprich: Die Natur wird geopfert, um damit an zwei Wochenenden Geld mit dem Skirennsport zu verdienen. Das lösen diese Bilder aus. Diese sind allerdings aus dem Kontext gerissen. Während der letzten 30 Jahren war ich immer wieder auf dem Gletscher in Zermatt, und ja, ich habe den Gletscherschwund miterlebt. Die Bagger hat es dort oben aber immer schon gegeben. Sie sind nicht dort, um den Gletscher kaputt zu machen, sondern um mit der obersten Schneeschicht die offenen Spalten zu schliessen. Fakt ist zudem: Dort, wo die Spalten regelmässig gefüllt werden, ist der Gletscherschwund weniger stark, weil er weniger schnell schmilzt.
So wie Sie es erzählen, bekommt man den Eindruck, die Arbeiten sind fast schon nachhaltig.
Fast, ja. Ich muss für die Organisatoren in Zermatt eine Lanze brechen. Sie machen die ganzen Arbeiten wirklich umsichtig und sind zu Unrecht in Kritik geraten. Vor einigen Wochen war ich selber vor Ort und habe mir die Arbeiten angeschaut: Nirgends sieht man Bagger, die den Gletscher zerstören oder neben den Pisten arbeiten. Ich betone noch einmal: Die Bilder sind unglaublich emotionsgeladen. Das vermeintlich Gesehene schmerzt aber nur deshalb so sehr, weil es aus dem Kontext gerissen ist. Und ich sage das, obwohl ich selber nie ein Fan der Abfahrt in Zermatt war. Allerdings aus anderen Gründen.
Warum denn?
Das Wetter ist unberechenbar – vor allem zu dieser Jahreszeit. Auf der Höhe, wo der Start angesetzt ist, windet es zu 90 Prozent, weil die Lage exponiert ist. Mal weniger zwar, und dann kann man durchaus dort starten. Was das für die Fairness bedeutet, weil alle Athleten mit unterschiedlichen Startbedingungen losfahren müssen, ist die andere Frage. Es ist also ein Risiko, dieses Rennen zu machen. Ich lasse mich aber gerne positiv überraschen.
Sie sind immer noch ein grosser Teil des Skizirkus und kennen viele Athletinnen und Athleten sehr gut. Marco Odermatt und Mikaela Shiffrin haben in den vergangenen Jahren für viel Begeisterung gesorgt. Können sie das Niveau so hoch halten und an ihren Leistungen anknüpfen?
Beide können mit grossen Drucksituationen umgehen, obwohl Marco fast noch abgeklärter ist. Es ist unglaublich faszinierend, wie spielerisch seine Läufe aussehen – obwohl sehr viel Arbeit und Risiko dahinterstecken. Die Frage ist: Wie haben die anderen Athleten gearbeitet? Odermatt hat drei Disziplinen, die er gewinnen kann. Marco Schwarz fährt mittlerweile alle Disziplinen und kann in dreien vorne mitfahren. Er wird sicher eine grosse Konkurrenz, ich sehe Odermatt aber in der Poleposition. Bei den Frauen ist Shiffrin die einzige, die alle vier Disziplinen so überragend fährt. Wer soll ihr dort gefährlich werden? Petra Vlohva versucht es zwar, kann aber in den Speeddisziplinen noch nicht mithalten.
Immer, wenn man denkt, bei den Leistungen sei ein Limit erreicht, setzen solche Athleten nochmals einen drauf. Wo sehen Sie die Grenzen im Skisport?
Das ist eine interessante Frage. Schon als ich noch gefahren bin, dachte ich, dass wir das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Ein Mensch kommt irgendwann an seine Grenzen, wir erreichen jetzt aber einen Punkt, an dem das Material den Menschen überholt. Und das ist gefährlich. Früher hat das Material mehr verziehen, heute können bereits kleine Fehler grosse Auswirkungen haben. Über dieses Thema könnten wir eine weitere Stunde reden. Abschliessend sage ich dazu: Die Athletinnen und Athleten werden schneller, und das ist vom Material vorbestimmt.
Haben Sie irgendwelche Newcomer auf dem Schirm?
Generell muss ich sagen, dass gerade das Schweizer Team grandiose Leistungen erbringt: Sowohl bei den Männern als auch den Frauen gibt es praktisch keine Disziplin mehr, die sie nicht gewinnen können. Das ist historisch. Was Newcomer angeht, schaue ich gerne in das norwegische Team. Sie haben ein einzigartiges Teamgefüge und einen starken Zusammenhalt. Wenn ich eine Person nennen müsste, sage ich Alexander Steen Olsen. Er hat unglaublich viel Potenzial.
Sie selbst haben schon viel erreicht. Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Mein Motto ist, dass ich nur Dinge tun möchte, mit denen ich mich identifizieren kann. In den letzten Jahren habe ich mich wieder mehr auf das Fotografieren konzentriert. Ich mache zudem geführte Wanderungen, wie etwa über die Streif in Kitzbühel. Das erfüllt mich, das macht mich glücklich, und das möchte ich noch lange machen. So auch meine Arbeit als Kommentator: Es ist ein grosses Privileg, dass ich nach einer ersten Karriere nochmals einen Beruf gefunden habe, der mich vollends erfüllt. Das grösste Abenteuer unseres Lebens sind die Emotionen, die wir spüren. Die schönen wie die schlechten, solange wir daraus lernen. Wenn ich solche Emotionen noch lange erleben darf, bin ich glücklich und habe mein Ziel erreicht. (aargauerzeitung.ch)
auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen.
Ich wünsche Marco für die Zukunft nur das Beste und das seine Krankheit verschwinden und falls nicht, zumindest soweit zurück geht das es für Ihm erträglich wird und er seinen Frieden damit findet (was mir sein Interview irgendwie das Gefühl gegeben hat) 🙏🏻