Warum treten Sie als Präsident zurück?
Philipp Bonorand: In den letzten Wochen ist sehr viel auf mich und den FC Aarau eingeprasselt. Klar, ich übe diese Aufgabe sehr gerne aus. Aber ich kann für mich nicht nachvollziehbare Angriffe auf mich und den Klub nicht so leicht verkraften. Eigentlich war es mein Plan, mich an der nächsten Generalversammlung für zwei weitere Jahre wählen zu lassen und 2025 zurückzutreten. Aber ich spürte in den letzten Tagen, dass ich die Energie für zwei weitere Jahre nicht mehr habe. Weil ich ehrlich zu mir selber bin, komme ich zum Schluss, dass ich nicht mehr FCA-Präsident sein und parallel dazu eine Firma mit 100 Mitarbeitenden führen kann.
Haben die Vorfälle vom letzten Samstag, als ein kleiner Teil der Fans Radau gemacht hat, ihren Entscheid zum Rücktritt beschleunigt?
Am Samstag vor dem Spiel hätte ich Ihnen gesagt, dass ich noch zwei Jahre weitermachen werde. Trotzdem ist der Radau einiger Fans nicht der Grund für meinen Rücktritt, sondern vielleicht der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Wie bitte?
Natürlich, die Situation ist für alle frustrierend, die sich dem FCA verbunden fühlen. Und dieser Match mit zwei Gegentreffern in der Nachspielzeit war speziell frustrierend. Trotzdem kann ich diese Wut einzelner Fans nicht verstehen. Ja, wir sind nur auf Platz 6, niemand ist happy, aber wir stehen nicht vor dem Untergang. Wenn es dann zu einer solchen Eruption der Emotionen kommt, stimmen für mich die Relationen nicht mehr.
Aber hat nicht auch die brenzlige Situation am Samstag gezeigt, dass der FC Aarau einen Captain wie Sie an Bord braucht?
Ich weiss nicht. Was ich aber weiss, ist, dass ich aus dem Bauch heraus eine gute Entscheidung getroffen habe, in dem ich zu den Fans gegangen bin und später auch den Capo ins Stadioninnere gelassen habe. Schliesslich haben wir diese heikle Situation ohne Verletzte, ohne Demütigung für die Spieler und ohne Sachbeschädigung überstanden. Trotzdem werde ich danach in Mails übel kritisiert. Es sind solche Dinge, die mir nahe gehen, mich stark beschäftigen, mir Kraft rauben und Kopfschmerzen bereiten. Ich mag jetzt schlicht nicht mehr. Ich bin keiner, der sich gegen äussere Einflüsse abschotten kann. Erst recht nicht, wenn ich das Gefühl habe, ungerecht behandelt zu werden. Und da hat sich über die Jahre ziemlich viel angestaut.
Hat Ihr Job als Unternehmer gelitten?
Intensiv war es vor allem in meiner Anfangszeit als Präsident. Da war die Pandemie und mein Entscheid, zwei Firmen zu fusionieren. Seit einem Jahr ist das alles durch und es läuft sehr gut. Ich bin in der Firma also nicht in einer Stressphase. Aber die Mitarbeiter hätten mich gerne häufiger in der Firma. In den letzten 25 Tagen hatte ich keinen einzigen Halbtag frei, stand aber bis auf zirka zwei Tage fast ausschliesslich für den FC Aarau im Einsatz, weil ich nach der Trennung von Geschäftsführer Roland Baumgartner zusätzliche Aufgaben übernehmen musste.
Mit Verlaub: Aber berücksichtigt man Ihr Herzblut und Ihre Leidenschaft für den Klub, wirkt Ihr Rücktritt wie eine Kurzschlusshandlung.
Nein, das ist es definitiv nicht. Sicher, wenn rund um den FC Aarau eitel Sonnenschein herrschen würde und ich nicht ständig irgendwelche Brandherde löschen müsste, hätte ich nicht den Rücktritt bekannt gegeben. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mache den Job sehr gerne. Und wenn ich keine Firma hätte und man mich beim FC Aarau zu 100 Prozent als Präsident einstellen könnte, hätte ich auch in der jetzigen Situation die Kraft aufbringen können, um weiterzumachen. Aber es ist definitiv keine Kurzschlussreaktion. Es ist eine Entscheidung zu meinem Wohl und jenem meiner Firma.
Wann war für Sie klar, dass spätestens 2025 Schluss sein würde?
In den letzten paar Wochen bin ich zu dieser Erkenntnis gekommen. Ich habe mich gefragt: Willst du wirklich bis zum Einzug ins neue Stadion bleiben? Ich schwankte, weil ich diesen Klub und dieses Amt sehr cool finde. Anderseits musste ich mir später eingestehen, dass selbst die zwei Jahre bis 2025 zu viel sind für mich in meiner jetzigen Verfassung. Vielleicht bin ich einfach zu emotional für dieses Amt, lasse zu viele Dinge zu nahe an mich ran.
Hat der Verwaltungsrat versucht, Sie umzustimmen?
Ich habe dem VR schon vor einigen Tagen angekündigt, dass ich nur noch zwei Jahre bleiben werde. Schon da versuchten mich die Kollegen zu motivieren, längerfristig Präsident zu bleiben. Natürlich war der VR nicht erfreut, als ich am Dienstag kommuniziert habe, schon im Sommer zurückzutreten. Und die Kollegen haben gefragt: Ist das der richtige Moment? Aber sie zeigten auch Verständnis, weil sie einerseits mitbekommen haben, dass es mir nicht gut geht und andererseits wissen sie auch, dass es nicht allein ein Bauchentscheid ist.
Ist Ihr Entscheid unumstösslich?
Ja, weil ich merke, dass ich so nicht weitermachen kann, ohne meine Gesundheit zu gefährden. Vielleicht entpuppt sich der Rücktritt als Befreiung und die Energie kehrt wieder zurück. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, werde ich meinen Entscheid nicht umstossen. Zu deutlich waren die Warnsignale.
Sie sind 2019 erst als Vizepräsident und ein Jahr später als Präsident mit dem Ziel angetreten, den FC Aarau wieder in die Super League zu führen. Sind Sie nun der Unvollendete?
Ich habe zu Beginn drei Ziele für meine Zeit als Präsident formuliert. Erstens: Den Einzug ins neue Stadion. Vielleicht schafft das nicht mal mein Nachfolger. Zweitens: Die Teilnahme am Cupfinal. Leider kamen wir nicht über den Halbfinal hinaus. Drittens: Der Aufstieg. Auch das haben wir nicht geschafft, wenn letzte Saison auch nur sehr knapp. Trotzdem bin ich stolz auf meine Zeit als Präsident, weil wir sehr viele Dinge richtig gemacht, uns für eine nachhaltige Strategie entschieden haben. Man kann es also so sehen, dass ich der unvollendete Präsident bin.
Welche Rolle spielte bei Ihrem Entscheid die ernüchternde Saison?
Ich bin enttäuscht, weil wir viel gemacht und investiert haben, um das Ziel Aufstieg zu realisieren. Und wir haben eine Mannschaft, mit der das auch möglich ist. Aber die ernüchternden Resultate sind nicht der Grund für meinen Rücktritt. Sicher, stünden wir oben in der Tabelle und würde es mir besser gehen, bliebe ich bis 2025. Aber die Erwartungshaltung rund um den Klub und die negativen, teils bösartigen Reaktionen auf die Resultate setzen mir zu.
Also stossen quasi die eigenen Leute Sie aus dem Amt?
Ich habe mich vielleicht ein bisschen übernommen. Aber es ist halt auch so, dass ich mich nicht so einfach abgrenzen kann. Da hilft auch die Erkenntnis nichts, dass 80 bis 90 Prozent hinter unserem Weg stehen und viele uns fast bedingungslos unterstützen. Aber da gibt es diesen kleinen, lauten Prozentsatz, der mich zwar nicht dazu bringt, aufzugeben. Aber dieser kleine, laute Prozentsatz erschwert es mir enorm, weiter die nötige Energie aufzubringen.
Wer soll Ihren Job als Präsident des FC Aarau übernehmen?
Eine gute Frage, die nicht ich klären muss. Wir werden uns im Verwaltungsrat Gedanken machen. Es gibt verschiedene Modelle. Man kann einen Mann mit einem ähnlichen Profil wie mich suchen. Das wäre super. Aber es stellt sich schon die Frage, ob für einen Klub wie den FC Aarau ein ehrenamtlicher Präsident noch zeitgemäss ist. Es wäre vielleicht besser, einen Vollzeit-Präsidenten einzustellen, der auch noch operative Aufgaben übernehmen kann.
Als was werden Sie dem FC Aarau erhalten bleiben?
Ganz sicher als Fan. Und dann wird man mich auch wieder mal auf der Stehrampe mit einem Bier in der Hand sehen. Auch werde ich als Sponsor dabei bleiben. Und wenn es gefragt ist, werde ich mit meinem Wissen in beratender Funktion zur Verfügung stehen. Ich werde mich ganz sicher nicht vom FC Aarau abwenden.
Und es wurde auch viel richtig gemacht, klar das sportliche läuft mau, aber hinter den Kulissen ist der Verein gut aufgestellt.
Aber ich denke der energiefressende Punkt ist nicht die Eskalation letzten Samstag, sondern die feigen und anonymen Angriffe unter der Gürtellinie, die es wohl während der ganzen Amtszeit gab.