Patrick Foletti ist im Verband seit 2011 als Goalietrainer und Ausbildner angestellt. Seit 2012 verantwortet er dazu die Arbeit mit den Torhütern der A-Nati. Diego Benaglio war seine erste Nummer 1, danach folgte Yann Sommer und künftig nimmt Gregor Kobel diese Position ein. Der 50-jährige Patrick Foletti, früher selbst bei GC oder Luzern zwischen den Pfosten stehend, nimmt Stellung zur Rochade.
Weshalb ist Gregor Kobel die neue Nummer 1 der Nati?
Patrick Foletti: Es ist ganz einfach. Er ist im Moment der beste Goalie der Schweiz. Schön für ihn, ist es so weit gekommen.
Was zeichnet Kobel aus, was macht ihn stark?
Er spielt seit Jahren in Deutschland. Dort hat mir ein Trainerkollege das Wort «Brutalität» mitgegeben. Ich kannte das in Zusammenhang mit einem Goalie nicht. «Gregi» bringt diese Brutalität mit auf den Platz. Er ist unheimlich effizient, mental stark, in der Torverteidigung wahrscheinlich einer der Besten der Welt. Das Gesamtpaket macht «Gregi» aus.
Seit wann ist er der beste Goalie der Schweiz?
Er war schon immer ein guter Goalie. Aber um Nationalgoalie zu werden, muss man auf verschiedenen Ebenen Wirkung haben. Eine grosse hatte «Gregi» schon immer auf die eigene Mannschaft. Wie früher auf dem Schulplatz: Wenn du einen guten Goalie im Team hast, hast du ein gutes Gefühl. Er hat mit der Zeit auch eine Wirkung auf den Gegner bekommen, im Sinn von: «Scheisse, Kobel steht im Tor, heute wird es schwierig.» Dann hat er in Dortmund bewiesen, dass er eine Wirkung auf das ganze Stadion hat. Ich erinnere mich gut, als er das erste Spiel machte gegen die Bayern. Nach 20 Minuten hatte er die Arena im Sack, ohne auch nur einen einzigen «Save» zu machen. Die Leute bekamen ein gutes Gefühl. Als Nationalgoalie musst du auch die vierte Wirkung haben, jene auf das ganze Land. Gregor hat alle Voraussetzungen dafür, auch diese vierte Ebene zu beherrschen.
Kobel ist mit dem Fuss nicht gleich gut wie Sommer. Verändert sich das Schweizer Spiel?
«Gregi» hat sich in diesem Punkt verbessert. In Dortmund spielen sie ähnlich wie wir mit der Nati. Mit ihm haben wir auch den guten langen Ball, können von Zeit zu Zeit den Rhythmus wechseln mit Direktspiel oder konstruktivem Aufbau. Es wird sich also für unsere Mannschaft nicht so viel verändern.
Kobel hat lange gescharrt hinter Sommer. Wie war die Kommunikation mit ihm, hat man ihm die Nummer 1 für nach der EM in Aussicht gestellt?
«In Aussicht gestellt» ist eine Quatsch-Formulierung. Als Trainer darfst du nie etwas versprechen. Sonst machst du einen Fehler. Es sind Tatsachen, die zu Veränderungen führen. Mit «Gregi» habe ich ein Leben lang, seit er 11 Jahre alt ist, eine ehrliche und direkte Kommunikation. Wir führten schon Tausende intime Gespräche, bei ihm zu Hause, bei mir zu Hause, während der Zusammenzüge. Es ist ein Prozess zur Nummer 1 und er hat immer gewusst, wo er steht in diesem Prozess.
Kobels Berater Philipp Degen hat Sie mehrmals öffentlich kritisiert.
Das gehört im Fussball dazu. Jeder kann sich äussern, wie er mag. Mein Ansprechpartner ist Gregor. Die Kommunikation mit ihm war immer ehrlich und offen. Entscheidend ist, dass «Gregi» weiss, was ich denke, und dass ich weiss, was er denkt. Alles andere ist Beilage.
Hat Kobel gelitten, dass er so lange auf die Nummer 1 warten musste?
Vielleicht schon, aber das muss man ihn fragen. Klar, er hatte eine Vision und ein Ziel, das er unbedingt erreichen wollte. Vielleicht sollte es in seiner Wahrnehmung einfach schneller eintreffen. Mir war wichtig, dass er diesen Prozess mitgemacht und verstanden hat, dass der richtige Moment eben jetzt ist.
Formulieren wir es anders. Sie und Sommer sind sehr eng, hat Kobel darunter gelitten?
Ich denke nicht. Es ist unbestritten, dass Yann und ich uns nahestehen, wir arbeiteten 14 Jahre eng zusammen, deshalb ist das normal. Aber jede Beziehung zu meinen Torhütern ist sehr nah. Letztlich entscheidet der Goalie ja auch selbst, wie nahe man ihm kommt. Auch mit «Gregi» ist die Beziehung verdammt eng. Man kann sich nicht vorstellen, wie eng das ist zwischen uns, und zwar schon lange. Aber das ist auch die Voraussetzung, um ehrlich und direkt miteinander reden zu können.
Wie haben Sie reagiert auf Sommers Rücktrittsankündigung?
Es war ein Mix zwischen happy, weil ich glaube, dass er den richtigen Moment erwischt hat. Das ist verdammt schwierig, es gibt Tausende Sportler, die diesen Moment verpasst haben und so vieles kaputtmachten. Ich bin glücklich und froh für ihn, dass er selber auf diese Idee gekommen ist, dass er selber für sich das entschieden hat. Auf der anderen Seite gibt es nach all den Jahren ein bisschen Wehmut.
Sommer hat Sie vor dem offiziellen Rücktritt getroffen. Wann hat das Gespräch in Mailand stattgefunden und was war die Botschaft?
Da müssen wir ein bisschen zurückspulen. Gespräche finden seit längerem statt, schon 12 Stunden nach dem letzten Penalty von England führten wir ein langes in Stuttgart. Mit dem Thema Zukunft. Dort habe ich mich nicht geäussert, ich sagte ihm, er müsse das selbst entscheiden. «Geh in die Ferien, besprich dich mit der Familie. Sobald du mit Inter in die Vorbereitung startest, komme ich dann nach Mailand.» Tatsächlich bin ich dann am 2. August hingefahren und wir haben uns in einem Hotel einige Stunden unterhalten. Es war sehr offen und ehrlich. Als ich mit dem Zug zurückfuhr, wusste ich, dass Yann aufhört.
Wie hat man Sommer denn gesagt, dass in der Nati die Nummer 1 für ihn nicht mehr garantiert ist?
Das war nicht ganz ohne. Du kannst einem Goalie auf diesem Level nicht einen Bauchentscheid mitteilen, Unsere Entscheidungen passieren ja nicht aus Sympathien. Sondern anhand von Fakten, wir machen unglaublich viele Analysen und Besuche, wir schauen alles von morgens bis abends an. Am Schluss gibt es eine Entwicklung, die ich auch aufzeigen muss. Anhand von Fakten, Leistungen und Projektion in die Zukunft konnten wir ihm die Nummer 1 nicht mehr versichern. Das habe ich ihm in verschiedenen Gesprächen im Vorfeld mitgeteilt. Das entscheidende Gespräch war dann in Mailand.
Ist die Zusammenarbeit mit Kobel nun sehr anders als mit Sommer?
Die Kommunikation hat sich verändert und die Art und Weise, wie ich mich positionieren muss. Yann brauchte definitiv unglaublich viel Nähe. «Gregi »braucht vielleicht weniger Nähe, und ich muss bei ihm spüren, wenn er sie braucht. Ich bin ein Diener und ich muss alles dafür tun, dass «Gregi »so viele Bälle wie möglich hält. Ich muss mir also treu bleiben, mit meinen Werten, Methoden und meiner Philosophie, aber ich muss mich auch ein bisschen wie ein Chamäleon anpassen, damit der Goalie funktioniert. Und am Schluss bin ich es auch, der dem Cheftrainer eine Empfehlung abgibt.
Gab es von Kobel Signale, dass er aufhören würde, wenn er jetzt nicht die Nummer 1 würde?
Klar, «Gregi» war hungrig und hat hart an sich gearbeitet, um so weit zu kommen. Aber ich habe nie so etwas gespürt. Niente. Das ist kein Thema für mich und ich denke auch nicht für «Gregi». Als wir ihm gesagt haben, er sei nun die Nummer 1, hätte ich gerne ein Foto gemacht. Er hat wie ein Maikäfer gestrahlt, war voller Stolz und freut sich nun unheimlich, diese Herausforderung anzunehmen. Und wir uns mit ihm.
Kobel gilt als körperlich anfällig.
Er hat diesbezüglich viel investiert. An der EM verpasste er kein Training. Er hat auch ein paar Sachen angepasst in seiner Routine, in der Vorbereitung der Trainings, in der Erholung ebenfalls. Und die Inputs im athletischen Bereich hat er angenommen, die ihn nun stabiler gemacht haben. Auch das war ein Prozess. Ich mache mir bei ihm keine Sorgen, er kennt seine Schwachstellen und arbeitet täglich daran. Was er vor und nach dem Training macht, ist gewaltig.
Es gab an der EM die Diskussion, dass man Kobel fürs Penaltyschiessen hätte einwechseln können.
Das ist spekulativ. Wir hatten ja auch noch im Gedächtnis, dass Sommer gegen Sergio Ramos, Jorginho oder Mbappé gehalten hat. Wir haben uns während des Viertelfinals ausgetauscht, ob wir wechseln sollen. Bringt es etwas? Wir wissen es nicht. Und es gab Vorgeschichten, die uns gezeigt haben, dass es keinen Sinn ergibt.
Er wurde schon viermal vom «Kicker» zum besten Torhüter der Saison gewählt. Ist Kobel der beste Goalie, den Sie jemals trainiert haben?
Es sind alles Topathleten, Formel-1-Maschinen. Stand heute ist er der Beste, deswegen ist er die Nummer 1 der Nati.
Wieso gibt es nicht wie bei Servette eine 50-zu-50-Lösung?
Weil ich das beschissen finde, man entschuldige die Formulierung. Es ist nicht leistungsfördernd. Ich bin für klare Kommunikation und Positionen. Jeder muss seine Rolle kennen,
Yvon Mvogo ist mit Lorient abgestiegen und hat keinen neuen Verein gefunden. Ein Problem für die Nati?
Wir haben die vergangene Woche oft miteinander gesprochen. Er spielt nun in der Ligue 2. Ich wollte ihn jetzt dabeihaben. Er war ein Topgoalie und ist nun nicht plötzlich ein schlechter Goalie. Er hat viel Erfahrung und kann «Gregi» unterstützen. Im Moment mache ich mir keine Sorgen um Yvon. Es kann immer noch einen Transfer geben. Aber schon klar. Je länger die Situation bei ihm so ist, desto herausfordernder wird es sein für ihn. Noch stimmt das Gesamtpaket. Aber sein Ziel muss es sein, wieder in einer Topliga zu spielen. (bzbasel.ch)