Die «60-Prozent-Formel» könnte vielleicht noch die Rettung bringen. Aber die Aussichten, dass die Behörden erlauben, 60 Prozent der Stadionkapazitäten zu nützen, sind gering. Bei Lichte besehen sind eigentlich alle Versuche zum Scheitern verurteilt, die Meisterschaften der beiden höchsten Ligen im Fussball und im Hockey durch Sicherheitskonzepte zu retten. Der Profisport ist mit dem Geschäftsmodell «Massenveranstaltung» nicht mehr finanzierbar.
Wenn eine Firma ihr Produkt nicht mehr verkaufen kann, dann bleibt nur der Konkurs. Die Fussball- und Hockeyklubs der Schweiz können in den höchsten Ligen ihr Produkt nicht mehr verkaufen. Weil sie die Verkaufsläden (die Stadien) nicht mehr oder nur stark eingeschränkt benützen dürfen. Auch die «Herstellung» des Produkts (der Trainings- und Spielbetrieb) ist stark erschwert. Als Folge davon fallen nicht nur die Verkaufserlöse (der Verkauf von Tickets) weg. Auch die Einnahmen aus Werbe- und TV-Geldern gehen stark zurück.
Alle Firmen der Branche (die Profiklubs im Hockey und Fussball) sind gleichermassen betroffen, alle sind als Aktiengesellschaften konstituiert. Allen Firmen ist die wirtschaftliche Grundlage weitgehend entzogen worden. Die einfachste Lösung: Alle gehen Konkurs. Das Gesetz sagt, dass der Konkurs auf eigenes Begehren (Insolvenzerklärung) eröffnet werden kann.
Der Konkurs ist eine «Rechtswohltat». Durch dieses Verfahren werden sämtliche Verträge nichtig. Die Klubs können sich also mit einem Schlag von allen Verpflichtungen befreien. Von den teuren Spielerverträgen genauso wie aus ungünstigen Mietverhältnissen mit den Stadionbesitzern. Im Gegenzug werden auch alle Sponsoren-, Werbe- und TV-Verträge aufgelöst. Der SC Bern besteht nur noch aus der eigenständigen Gastro-AG mit gut 15 Millionen Umsatz und Marc Lüthi wird vorübergehend Gastwirt. Da die Juniorenabteilungen in der Regel eigenständige Aktiengesellschaften sind, sind sie von den Konkursen der Klubs nicht betroffen. Die Nachwuchsmeisterschaften können weitergeführt werden.
Wenn sich die Klubs zusammensetzen und alle gemeinsam Insolvenz erklären und in Konkurs gehen, wenn Ambri, Langnau, die ZSC Lions, YB, der FCZ oder der FC Basel «aufgelöst» werden, wird eine gewaltige Welle der Enttäuschung, Verwunderung, Empörung, Entrüstung, Erbitterung, Erregung und auch der Wut durch Stadt und Land rollen. Und nach ein paar Tagen der Einsicht weichen: Es ist die einzig richtige Lösung. Es geht ja gar nicht anders.
Das Büropersonal, die Trainer, Sportchefs, Spieler und Betreuer gehen aufs Arbeitsamt. Die Löhne bis 150'000 Franken werden von der Arbeitslosenkasse übernommen. Bewerbungen müssen zumindest die Spieler, Sportchefs und Trainer keine schreiben. Ihre Branche gibt es vorübergehend nicht mehr. Der Profisport geht sozusagen in den Winterschlaf. Die Spieler ersetzen den Maserati durch das Fahrrad, schliessen sich zu Trainingsgruppen zusammen oder halten sich im Amateurspielbetrieb fit. Der ist unter Ausschluss der Zuschauer mach- und finanzierbar. Es ist die vorübergehende Re-Amateurisierung des Fussballs und des Eishockeys.
Erst wenn die Virus-Krise vorbei ist, wenn das Modell «Massenveranstaltung» wieder uneingeschränkt funktioniert, werden die Hockeyfirmen als Aktiengesellschaften neu gegründet. Die gleichen wie vorher. Nun kann auf der grünen Wiese unser Profisport im Fussball und Hockey neu aufgebaut werden. Mit besseren Strukturen, vernünftigeren Salären und weniger üppigen Verbandsbüros. Mindestens 80 Prozent der Manager, Spieler, Sportchefs und Trainer sind immer noch da. Sie können sich nun den Klub aussuchen bzw. die Klubs können die Spieler, Trainer, Sportchefs und Manager auswählen, die sie wollen. 80 Prozent werden wieder dort den Beruf aufnehmen, wo sie ihr soziales Umfeld haben. Also beim alten Klub.
Völlig verrückt? Nein. Es ist Zeit, diese Radikallösung, das Undenkbare zu denken. Alle anderen Lösungsansätze scheitern unter den aktuellen und mittelfristig absehbaren Umständen. Alle bisherigen Lösungsansätze sind Flickwerk. Der Ruf nach staatlichen Geldern ist stossend: Der Staat hat in Zeiten der Krise ganz andere und wichtigere Aufgaben als den Profi-Mannschaftssport mit seinen überrissenen Salären und üppigen Verbandsstrukturen zu finanzieren. Aber braucht es denn nicht «Brot und Spiele» fürs Volk? Nein. Die Menschen haben, solange diese Krise andauert, andere Sorgen. Die Sorgen um Gesundheit und Sicherheit, um Arbeit und Brot.
Und was ist, wenn wir auf Dauer mit dem Virus leben müssen? Wenn Mannschaftsport als Massenveranstaltungen nicht mehr möglich ist? Dann ist es Zeit für die nächste Revolution. Dann werden die Fussball- und Hockeyspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit so produziert wie TV-Serien und Filme im Hollywood-Studio. Die Klubs verkaufen die Spiele auf klubeigenen Kanälen direkt an ihre Fans, die dann eben pro Partie im Fernsehen, im Internet oder auf dem Smartphone ähnlich viel bezahlen wie für den Matchbesuch.
Mit diesem System können die Sponsoren noch besser präsentiert werden. Und mit ungläubigem Staunen werden wir alte TV-Aufzeichnungen von Spielen in vollen Stadien sehen, Fangesängen lauschen, so verwundert von Hooligans hören wie von den Saubannerzügen im Geschichtsunterricht. Der Profisport wird definitiv und mit aller Konsequenz ein Teil der Unterhaltungsindustrie.
Völlig verrückt? Nein. Wir leben in einer Welt, die gerade ein wenig aus den Fugen gerät. In solchen Zeiten müssen wir das Undenkbare denken. Weil es grosse Lösungen braucht. Und nicht kleinliches Flickwerk. Ende der Polemik.