Bis heute ist offen, ob russische und weissrussische Sportler trotz des Aggressionskrieges gegen die Ukraine an den Spielen mitmachen dürfen. Das IOK empfiehlt zwar eine «neutrale» Beteiligung ohne Hinweis auf die Nationalität; zudem dürfen sie sich nicht für den Krieg ausgesprochen haben. Der deutsche und als prorussisch geltende IOK-Vorsitzende Thomas Bach warnt für den Fall eines Ausschlusses vor einer Spaltung der olympischen Organisation, was zu getrennten Spielen einzelner Machtblöcke führen könnte.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj fordert seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron dagegen auf, (weiss-)russischen Athleten keine Einreisebewilligung zu erteilen. Sein Land, wie auch Polen und die Balten, drohen mit einem Olympiaboykott, falls das IOK Russen in Paris zulässt. Einzelverbände handeln bisher unterschiedlich: Russische Fechter können an den Qualifikationsturnieren teilnehmen, Leichtathleten hingegen nicht.
Massive Kritik gibt es über Frankreich hinaus an den hohen Eintritts- und Wohnungspreisen. Tickets für Leichtathletikanlässe kosten bis zu 995 Euro pro Sitzplatz. Für die Abschlussfeier muss man zwischen 50 und 1600 Euro hinblättern, für die grandiose Eröffnungszeremonie mit Schiffen in der Seine zwischen 90 und 2600 Euro. In den sozialen Medien hagelt es Proteste.
Die belgische Siebenkämpferin Nafissatou Thiam teilte über Twitter mit, zu diesen Bedingungen könne ihre Familien nicht an die Spiele fahren. Die französische Judoka Amandine Buchard erklärte, ihre Familie werde einen Bankkredit aufnehmen müssen. Olympiasportler erhalten für Angehörige jeweils zwei Gratistickets. Insgesamt sind 6,8 Millionen der insgesamt zehn Millionen Tickets verkauft. Nach den Losentscheiden der zweiten Verkaufsphase beginnt die dritte Verkaufsphase im Sommer.
Astronomische Ausmasse erreichen auch die Logierpreise in Paris und Umgebung. Einzelne Wohnungsbesitzer vermieten ihre Bleibe für bis zu 2000 Euro pro Nacht. Preise von 800 bis 1000 Euro pro Nacht für eine vierköpfige Familie sind nichts Aussergewöhnliches. Nach heftiger Kritik verlangt das französische Olympiakomitee von den Pariser Wohneigentümern eine «Mässigung». Dessen Präsidentin Brigitte Henriques gab vor wenigen Tagen überraschend ihren Rücktritt bekannt.
Humanitäre Verbände und Linkspolitiker werfen der Regierung zudem vor, sie versuche Obdachlose, «Sans-Papiers» und Migranten aus dem Strassenbild der Lichterstadt zu verbannen. Im April hatte die Polizei schon eine verlassene Zementfabrik geräumt, die sich neben einem Teil des olympischen Dorfes im Norden von Paris befindet. 400 Zuwanderer vorwiegend aus Nordafrika wurden abtransportiert und auf Auffanglager im ganzen Land verteilt.
Vor einigen Tagen teilte der Bürgermeister des kleinen Dorfes Bruz in der Bretagne, Philippe Salmon, in Fernsehinterviews mit, er sei vom Innenministerium informiert worden, dass Pariser Obdachlose auf einem Brachland der Eisenbahn in seiner Gemeinde angesiedelt würden. Wohnbauminister Oliver Klein bestreitet diese Darstellung, doch Salmon bekräftigt, ihm sei gesagt worden, die Auslagerung geschehe «wegen der olympischen Spiele».
Die Anwerbung von 30'000 Sicherheitsleuten für die Spiele weist massiven Rückstand auf. In Paris, wo generell Mangel an Wachleuten herrscht, alarmierte der Branchenverband GES die Regierung, 20'000 Stellen könnten unbesetzt bleiben. Sorgen macht den Olympiaorganisatoren vor allem die Eröffnungsfeier. Sie findet erstmals an olympischen Spielen nicht in einem Stadion statt, sondern entlang der Seine mit schätzungsweise 800'000 Besuchern.
Das wirft gewaltige Sicherheitsprobleme auf. Innenminister Gérald Darmanin schliesst – wie bei den olympischen Spielen von London 2012 – Armeeeinsätze nicht aus. Die Überwachung der Massen soll mit neuartigen Kamera-Algorithmen die Vorbeugung von Anschlägen verhindern. Beide Massnahmen sorgen für Kritik.
Radikale Gewerkschaften wie die CGT drohen damit, die olympischen Spiele als Plattform für ihre Anliegen zu missbrauchen. Die CGT verlangt weiterhin den Rückzug von Emmanuel Macrons Rentenreform mit der Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahren. Die Gewerkschaft bedroht das Sportevent mit der Parole: «Kein Rückzug – keine Spiele.»
In den letzten Wochen wurden schon diverse Baustellen wie etwa die des Olympia-Schwimmbeckens bestreikt. Beim französischen Fussball-Pokalendspiel von April verteilte die CGT Trillerpfeifen und rote Karten. Die Protestaktion gegen die Rentenreform und Macron wurde allerdings wenig befolgt – was als Zeichen gewertet wird, dass die Franzosen durchaus zwischen Politik und Sport unterscheiden. (aargauerzeitung.ch)