Es ist bereits die vierte Medaille für die Schweiz am Samstagabend in Rom. Dominic Lobalu, der erst Mitte Mai überhaupt erfuhr, dass er an der Leichtathletik-EM für die Schweiz an den Start gehen darf, wurde über 5000 m Dritter. Der 25-Jährige aus dem Südsudan musste sich nur Jakob Ingebrigtsen aus Norwegen und dem Briten George Mills geschlagen geben.
Lobalu schrieb eine sehr schöne Geschichte. Als er neun Jahre alt ist, werden seine Eltern bei einem Überfall erschossen. Er muss nach Kenia fliehen, wo er aufwächst. Ab 2016 darf er für das «Athlet Refugee Team» starten. Jedoch setzt er sich 2019 nach einem Wettkampf in Genf ab und beantragt Asyl in der Schweiz.
Beim LC Brühl St. Gallen entwickelt er sich unter Trainer Markus Hagmann zu einem Topläufer. Swiss Athletics setzt sich für ihn ein, damit er nicht erst nach einer dreijährigen Wartfrist ab 2026 für die Schweiz starten kann. Mitte Mai kommt die Erlösung und nun schafft er in Rom den Sprung aufs EM-Podest.
Lobalu startet am Mittwoch noch über 10'000 m. Es würde nicht erstaunen, wenn er auch dann eine Medaille gewinnt.
Die 22-jährige Ditaji Kambundji gewinnt über 100 m Hürden Silber hinter der Französin Cyréna Samba-Mayeli, die mit 12,31 Sekunden einen neuen EM-Rekord aufstellte. Kambundji war neun Hundertstelsekunden langsamer und stellte damit einen neuen Schweizer Rekord auf. Vor zwei Jahren in München hatte die jüngere Schwester von Mujinga Kambundji bereits Bronze in derselben Disziplin gewonnen.
Es war eine Medaille mit Ansage. Anfang Mai lief die Bernerin beim Sieg über 100 m Hürden am Diamond-League-Meeting in Doha 12,49 Sekunden. Mit dieser Zeit so früh in der Saison deutete sie an, dass ihr der nächste Schritt gelungen ist. Vor der EM war keine Europäerin schneller.
Auch bei den Männern kann sich die Schweiz im Hürdensprint über eine Medaille freuen. Der 25-jährige Jason Joseph setzte sich mit einer Zeit von 13,43 Sekunden in einem Fotofinish gegen zwei Konkurrenten durch und holte über 110 m Hürden Bronze. Gold holt der Italiener Lorenzo Ndele Simonelli in überragenden 13,05 Sekunden.
Lange sah es danach aus, als würde der 24-jährige Basler wie schon vor zwei Jahren leer ausgehen. Auf den letzten Metern schaffte er jedoch noch den Sprung aufs Podest. Er verwies den Franzosen Raphaël Mohamed um zwei Hundertstel auf den 4. Platz.
Joseph absolvierte vor der EM bloss ein Rennen auf seiner Paradestrecke, weil ihm muskuläre Probleme zu schaffen machten. Von daher ist Bronze ein Erfolg, auch wenn er deutlich schneller laufen kann – sein Schweizer Rekord beträgt 13,07 Sekunden.
Simon Ehammer gewinnt an der EM in Rom im Weitsprung die Bronzemedaille. Trotz starken 8,31 m liegt nicht mehr drin. Ehammer war nach einem ersten Sprung auf 7,96 m stark unter Druck geraten. Denn der Grieche Miltiadis Tendoglou, der schon alles gewonnen hat, was man gewinnen kann, eröffnete gleich mit der Jahres-Weltbestleistung von 8,42 m. Und Italiens 19-jähriger Junior Mattia Furlani meldete die Ambitionen mit 8,38 m an. Der Grieche erhöhte später noch auf 8,65 m – er schaffte diese Weite zweimal.
Ehammer zeigte im dritten Umgang mit 8,31 m den viertbesten Sprung seiner Karriere. Der 24-Jährige fügte so seinem Palmarès eine weitere Medaille hinzu: Das Jahr 2024 hatte er mit Siebenkampf-Gold an der Hallen-WM in Glasgow eröffnet. Im Jahr 2022 hatte Ehammer mit Hallen-WM-Silber im Siebenkampf, WM-Bronze im Weitsprung und EM-Silber im Zehnkampf den Durchbruch geschafft.
Ehammer hatte in Rom für den Final einen Schweizer Rekord angekündigt. Die 8,45 m aus dem Jahr 2022, erzielt im Rahmen des Zehnkampfes in Götzis, fielen aber nicht. Technisch sprang der Ostschweizer nicht immer perfekt.
Im abschliessenden 800-m-Lauf hätte Annik Kälin sich noch eine Medaille sichern können. Das Problem: Konkurrentin Noor Vidts ist eine überragende Läuferin und gewann den letzten Wettkampf im Siebenkampf. Damit verteidigte die Belgierin die Bronzemedaille deutlich. Ihre Landsfrau Nafissatou Thiam holte sich derweil mit einem neuen EM-Rekord von 6848 Punkten Gold vor der Französin Auriana Lazraq-Klass (6635 Punkte). Kälin fehlten als Vierte am Ende 106 Zähler auf die 6596 Punkte von Vidts.
Damit verpasste Kälin den vor zwei Jahren beim Gewinn von EM-Bronze aufgestellten Schweizer Rekord um 25 Punkte. Im Hürdensprint (13,14 Sekunden) und im Weitsprung war Annik Kälin jeweils die Beste des Feldes. Für die nationale Bestmarke hätte sie über 800 m 2:14,45 Minuten laufen müssen, jedoch stoppte die Uhr bei ihr nach 2:16,17 Minuten.
Der Final über 100 m wird bei den Männern ohne Schweizer Beteiligung stattfinden. William Reais schied im Halbfinal trotz einer persönlichen Saisonbestleistung aus. Elf Hundertstel fehlten ihm mit seiner Zeit von 10,32 Sekunden für einen Platz unter den besten 8. Reais wurde unter den 24 Halbfinalisten 13. Für den 25-Jährigen war der 100-m-Sprint aber eher eine «Aufwärmrunde» für den 200 m, wie Reais gegenüber dem SRF sagte. (nih/sda)
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