Paris ist so, wie es in der neueren Zeit immer war. Aber der Reisende, der jetzt wegen des olympischen Spektakels in die Stadt kommt, hält Ausschau nach Veränderungen – und findet sie.
Paris, die Königin der Welt (Paris … Reine du Monde, trällerte Maurice Chevalier), hat unendlich viele Facetten. Die Stadt ist nach wie vor durchzogen von grossen Boulevards und besprenkelt von Nachtlokalen, Cafés und Bäumen.
Manchmal ist es ein künstliches, manchmal ein fieberhaftes, manchmal ein melancholisches Paris. Immer noch ein wenig so, wie es einst der Poet Jean-Baptiste Louis Gresset auf den Punkt gebracht hat: «Man lebt nur in Paris … andernorts vegetiert man.»
Da kann sich jeder Chronist heraussuchen, was er will und seine Story drechseln. Schon der grosse Ernest Hemingway gab vor 100 Jahren als Korrespondent einer kanadischen Zeitung in Paris während der Spiele von 1924 den Kulturpessimisten. «Die französische Höflichkeit hat den gleichen Weg genommen wie der Absinth und andere legendäre Dinge. Es ist so schlimm geworden, dass in den französischen Zeitungen spaltenweise darüber diskutiert wird, wie die Franzosen ihren Ruf als höflichstes Volk der Welt wieder erlangen können.»
Der gute Hemingway hatte halt ein wenig den Hang, die Dinge auch in Paris dramatischer, pessimistischer und melancholischer zu sehen, als sie tatsächlich waren. Hätte er es nicht getan, wäre er nicht berühmt geworden.
Nein, nein, so schlimm ist es am Vorabend der Olympischen Spiele 2024 bei Weitem nicht. Der charmante Hang zur Bürokratie ist nicht ein Produkt der Spiele. Sondern einem zentralistisch strukturierten Staate eigen. Vieles wird übertrieben. Es stimmt offenbar nicht, dass die Obdachlosen aus der Stadt vertrieben worden sind. Gleich neben dem Eingang zu meiner kleinen Wohnung hat sich jedenfalls ein älterer Mann in Karton und Decken eingerichtet.
Aber ein wenig anders als zu gewöhnlichen Zeiten ist Paris in diesen Tagen eben doch.
Auf einigen Verkehrs-Achsen dreht kein Rad mehr. Stau. Der Chronist möchte sein Gepäck nicht vom Gare de Lyon eine Viertelstunde zu seiner Unterkunft oben im dritten Stock am Boulevard Diderot schleppen. Taxi. Der Chauffeur lacht: «Sie sehen doch, dass gar nichts geht und alles stillsteht.»
Aber der Chronist muss das Gepäck nicht schleppen. Töff-Taxi. «Ich bringe sie hin», sagt der freundliche junge Mann, Besitzer eines grossen Motorrollers, der ein wenig an ein schaukelndes Schlachtschiff mahnt. Er hat auch für den Chronisten einen passenden Helm. Die Fahrt, an Autokolonnen und hart an Strassen-Cafés vorbei, über Trottoirs und angereichert mit ein paar Umwegen, dauert eine gefühlte Viertelstunde. Und kostet 80 Euro. Da hatte Hemingway allerdings recht, als er notierte: «In einer Stadt, in der Zehntausende von Taxis herumkurven, müssen sie nicht damit rechnen, ihre Fahrgäste noch einmal wiederzusehen. Sie verfolgen nur ein Ziel: möglichst viel aus jeder Fahrt herauszuschlagen.»
Aber es sind nicht einige verstopften Strassen, die Paris in diesen Tagen ein wenig verändern. Es sind auch nicht Plakate oder Flaggen mit den olympischen Ringen. Die fallen gar nicht auf. Die werden, wie schon 2012 in London, in einer so vitalen Stadt «geschluckt».
Was anders ist als vor zwölf Jahren in London, als die Sommerspiele zum bisher letzten Mal in einer europäischen Metropole zelebriert worden sind, ist die Polizei-Präsenz. Diskret, beinahe leise und doch unübersehbar. Eigentlich so wie noch nie in einer olympischen Stadt.
Es sind keine «Flics» wie aus einem Film von Louis de Funès. Es sind die schwer bewaffneten Ordnungskräfte in den schwarzen Kleidern, die in Schnürstiefeln stehen. Sie tauchen auch dort auf, wo das Leben unter Bäumen und in Cafés ruhig seinen Gang nimmt und die Spiele weit weg scheinen. Manchmal zu zweien, oft in Dreiergruppen.
Hin und wieder fragen sie freundlich, scheinbar wahllos einen Passanten, wohin der Monsieur gehen wolle. Der Chronist, zum Glück der Sprache Voltaires mächtig, weiss schon, in welchem Restaurant er speisen wird und kann Sinn und Zweck seines scheinbar ziellosen abendlichen Spazierganges durchs Quartier nennen.
Nein, Paris ist keineswegs eine «Polizei-Festung». Die Polizeipräsenz ist für den sensibilisierten Reisenden zwar unübersehbar. Aber weder bedrohlich oder gar martialisch. Auf eine gewisse Weise beruhigend. Aber andererseits ein wenig unheimlich.
Wie eine leise Mahnung, dass die Welt inzwischen noch einmal eine andere geworden ist als noch 2012 in London.