Endlich ist es so weit. Nach fast zwei Jahren voller Besprechungen, Planungen und Verhandlungen steht heute Nachmittag (16.25 Uhr) das erste Heimspiel der Helvetic Guards an. Das neu gegründete Team trifft in der European Football League (ELF) auf die Raiders Tirol. Die Partie wird im Stadion in Wil ausgetragen, der Klub hat ein Erlebnis für die ganze Familie auf die Beine gestellt.
Mit dabei sein wird auch Philipp Leimgruber, der beim Saisonstart in Barcelona noch nicht mittun konnte. Der 32-jährige frühere Defensivspieler muss nämlich eine völlig neue Position erlernen. War es früher seine Aufgabe, den gegnerischen Quarterbacks Probleme zu bereiten, soll er nun in der Offensive Line den eigenen Spielmacher beschützen. «Am Anfang ist es sehr frustrierend, weil man von null anfängt und nicht gleich alles funktioniert», sagt Leimgruber im Gespräch mit watson.
Doch diese Umstellung ist für den ehemaligen Defensive End nichts Neues. Leimgruber spielte lange Fussball, machte Kampfsport, Leichtathletik und ging immer auch regelmässig ins Gym. Mit 21 Jahren landete er dann beim Schwingen, das ihm stets gefallen hatte. «Ausserdem wollte ich etwas machen, wo die Kraft ein wichtiger Faktor ist.» Im Schweizer Volkssport fasste er schnell Fuss, er musste das Schwingen aus beruflichen und zeitlichen Gründen aber aufgeben. Zu einem Kranz reichte es ihm nie, den Sport verfolgt er jedoch weiterhin mit grossem Interesse.
Das Schwingen half ihm dabei, im American Football schnell zurechtzukommen. «Zuerst kannte ich die Regeln gar nicht, aber ich war mir Körperkontakt gewohnt und es hat gleich super funktioniert und Spass gemacht», erzählt Leimgruber. Ein entscheidender Faktor war dabei auch seine Freundin, die er 2020 kennenlernte. Diese arbeitete beim Schweizerischen Footballverband, zudem war ihr Vater früher Trainer des Nationalteams.
So kam auch Leimgruber zum US-Sport. Als er seine Freundin zu einem Spiel der Emmen Dragons begleitete, wurde der Trainer auf den 1,87 m grossen und kräftig gebauten Leimgruber aufmerksam und lud ihn zum Probetraining ein. Schon nach seinem ersten Spiel habe er gewusst, dass er American Football spielen wolle, erinnert er sich. Von da an ging es schnell, nach nur einer Saison wurden mehrere deutsche Teams auf ihn aufmerksam. Aufgrund der Nähe entschied er sich für Ravensburg. Dennoch musste Leimgruber alleine fürs Training wöchentlich zehn Stunden zwischen der Innerschweiz hin und her fahren. Dazu kamen Auswärtsspiele in ganz Deutschland.
Als er dann von der Gründung eines Schweizer ELF-Teams hörte, war für ihn klar: «Da will ich unbedingt dabei sein.» So meldete er sich für das Probetraining an, wo er besonders mit seiner Athletik überzeugte und sich so einen Platz im Kader sicherte. Neben dem deutlich kürzeren Weg sprachen auch das Niveau in der ELF, das sich deutlich von den nationalen Ligen abhebe, und die Coaches mit NFL-Erfahrung für die Helvetic Guards. So arbeitete Guards-Cheftrainer Norm Chow beispielsweise bei den Tennessee Titans. Ausserdem könne Leimgruber so die Schweiz vertreten: «Wir sind ein bisschen wie die Nationalmannschaft.»
Dafür trainiert das Team während der Saison zweimal in der Woche jeweils von 19.00 bis 21.30 Uhr und ein drittes Mal am Samstagmorgen, dazu kommt bei Leimgruber einmal in der Woche Krafttraining. In der im Football langen Saisonpause – die Spiele finden zwischen Anfang Juni und Ende September statt – trainiert er gar sechsmal wöchentlich. Dennoch arbeitet er weiterhin 100 Prozent als Buchhalter. Obwohl die Helvetic Guards ein kleines Gehalt zahlen, müssen auch sonst viele Spieler weiterhin arbeiten.
Wie das zu vereinbaren ist? «Es ist alles durchgeplant, sogar das Essen», sagt Leimgruber. Es brauche eine Menge Disziplin und das Timing sei extrem wichtig, damit er weiterhin seinem 9-to-5-Job nachgehen und abends dann ins Training gehen kann. Glücklicherweise blieb er bisher gänzlich von Verletzungen verschont, die ihn im Beruf eingeschränkt hätten. Doch dafür arbeitet er auch im privaten Gym viel, auch für die Flexibilität und die Gelenke. Gerade in seiner Disziplin und seinem Willen, stets weiter an sich zu arbeiten und neue Dinge zu erlernen, sieht Leimgruber seine Stärken.
So war es für ihn auch klar, dass er zusagen würde, als sein Coach Ende April auf ihn zukam und ihn bat, in die O-Line zu wechseln. Innert weniger Wochen eine ganz neue Position zu erlernen, ist schwierig und erfordert eine hohe Anpassungsfähigkeit. So sagt Leimgruber: «Ich hatte gerade eine Diät gemacht, um für die Defensive fit zu sein. Jetzt muss ich 10 bis 15 Kilogramm zulegen.»
Dennoch konnte er sich schnell zurechtfinden, was auch an den erfahrenen Trainern liegt. «Die Zusammenarbeit macht sehr viel Spass. Ihnen ist wichtig, dass wir uns wohlfühlen und es uns gesundheitlich gut geht.» Ausserdem wüssten diese alle, wie mit Druck umzugehen ist und könnten dies den Spielern auch gut vermitteln, da sie «alles schon zigtausend Mal erlebt haben».
Heute Nachmittag könnte der Trainerstab dann ein erstes Mal auf den umgeschulten O-Liner setzen. «Wenn es mich braucht, werde ich bereit sein», ist sich Leimgruber sicher. Die Vorfreude ist sehr gross. «Es ist das erste Mal, dass ein Schweizer Team ein solches Spiel austragen wird – und dann gleich gegen einen solchen Gegner.» Die Raiders Tirol gehören zu den Titelanwärtern in der ELF, was der letztjährige Halbfinalist mit einem deutlichen Sieg am letzten Wochenende gleich unter Beweis stellte.
Dementsprechend schwierig werde es gegen die Österreicher, meint Leimgruber. Dennoch ist das Ziel klar: «In der ersten Saison haben wir zwar noch ein bisschen Welpenschutz, aber wir wollen schon jetzt möglichst guten Football zeigen und viele Spiele gewinnen.»
Den “besten“ Namen der Liga hat aber wohl das Team aus Mailand abgegriffen.
Milano Seamen 😂