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American Football in der Schweiz: Die Helvetic Guards haben grosse Ziele

Norm Chow
Er wird die Helvetic Guards als Cheftrainer anführen und kann dabei auf NFL-Erfahrung zurückgreifen: Norm Chow.Bild: Rico Doninelli

Sie wollen Football in der Schweiz gross machen – die Helvetic Guards haben hohe Ziele

Die Zeit zwischen Superbowl und dem Beginn der neuen NFL-Saison ist für American-Football-Fans oft lang und qualvoll. Das muss aber nicht so sein. Denn die European League of Football, deren Saison im Juni startet, schafft Abhilfe. Neu spielt sogar ein Schweizer Team mit – eines mit grossen Ambitionen.
09.02.2023, 19:11
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Wenn Sonntagnacht in den USA der Superbowl ansteht und sich die Kansas City Chiefs und die Philadelphia Eagles in Arizona um den NFL-Titel duellieren, wird Toni Zöller gemeinsam mit den weiteren Verantwortlichen, Spielern sowie Fans in Zürich gebannt vor den Leinwänden sitzen und sich schon einmal ausmalen, wie es dann in einigen Monaten sein könnte.

Zöller ist der General Manager der Helvetic Guards, die ab der nächsten Saison in der European League of Football (ELF) spielen werden. Es ist das erste Schweizer Team in der Liga – dem «kleinen Bruder der NFL», wie sie Zöller nennt. Das Team startet also sozusagen direkt in der Champions League. Die Verantwortlichen der Guards denken gross, sie wollen American Football in der Schweiz populärer machen. Das sieht man schon an der Superbowl-Party, welche sie im Zürcher «Urban» veranstalten.

Toni Zöller GM Helvetic Guards ELF
Guards-GM Toni Zöller.Bild: Nic Zöller

Allgemein haben Zöller und das ganze Team grosse Ambitionen. Im Juni startet die Saison mit einem Spiel in Barcelona, am 11. desselben Monats steht das erste Heimspiel gegen die Raiders Tirol an. Ein «Event für alle», der schon einige Stunden vor Spielbeginn startet, ist geplant. Eltern sollen ihre Kinder mitbringen können und für alle soll gesorgt sein. «Wir bauen die ganzen Spieltage auf dem Motto ‹One-Day-Vacation in America› auf», sagt Zöller im Gespräch mit watson. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen für sieben, acht Stunden in eine neue Welt eintauchen.

«Wir wollen etwas Besonderes bieten, was es in dieser Kombination von Entertainment und Sport sonst nicht gibt.»
General Manager Toni Zöller

Dazu gehören viele verschiedene Essensangebote, Unterhaltung mit Musik oder anderen Shows, für die Jugendlichen und Kinder soll es eine Action-Zone haben, wo die Eltern ihre Sprösslinge auch einmal aus den Augen lassen, und sich in der Lounge-Area etwas entspannen können. So sagt Zöller: «American Football ist unser Sport, aber unser eigentliches Kernprodukt ist der Event rundherum. Wir wollen etwas Besonderes und ganz Neues bieten, was es in dieser Kombination von Entertainment und Sport sonst nicht gibt.» Durch diese Erlebnisse sollen mehr Menschen zum Football gebracht und die Begeisterung für den Sport dauerhaft vergrössert werden.

Von 0 auf 100 in 20 Monaten

Der Wunsch, den Sport in der Schweiz vorantreiben zu wollen, erweckt sich aus der grossen Leidenschaft für American Football, welche die Verantwortlichen alle verspüren. Anders wäre es kaum möglich, so schnell ein Team aufzubauen. Keine zwei Jahre liegen zwischen Idee und dem ersten Spiel in der ELF. Der konkrete Vorschlag, ein Schweizer Team in dieser Liga zu gründen, kam im Oktober 2021 von Mukka Erdönmez. Wie die anderen Verantwortlichen der Guards war er Teil der Konstanz Pirates, die Zöller mitgegründet hatte. Schnell entstand eine erste Vision, wie das Team und das Drumherum aussehen könnte. Doch zu Beginn stand natürlich auch die Frage im Raum: «Ist das alles überhaupt umsetzbar? Oder ist es nur eine Spinnerei?»

In mehreren Meetings wurde dann erörtert, dass es tatsächlich klappen kann – und so gingen Erdönmez, Zöller und Co. auf die ELF zu. Die Pläne der Helvetic Guards kamen bei der Liga gut an, weshalb sie dann im Mai gemeinsam mit den Milano Seamen und den Hungarian Enthroners als neues Team vorgestellt wurden. 17 Klubs sind nun insgesamt Teil der ELF, welcher ran-Fernsehexperte Patrick Esume vorsteht.

Dabei herrschte zu dem Zeitpunkt noch grosse Ungewissheit. Anders als die beiden anderen Neulinge werden die Guards von null auf aufgebaut. Sie haben kein bestehendes Team, das bereits vor Eintritt in die ELF in einer nationalen Liga aktiv war, wie es beim Grossteil der Teams der Fall ist, die in der 2021 gegründeten Liga spielen. «Wir haben schon auch an der Infrastruktur gearbeitet, aber de facto hatten wir im Mai nichts», sagt Zöller. Es sei ambitioniert, direkt auf dieses Niveau durchstarten zu wollen. Doch, wie bereits erwähnt: An Ambitionen fehlt es in der Führungsetage der Helvetic Guards nicht.

«Wir haben das beste Coaching der Liga.»
Toni Zöller

In einem ersten Schritt sollten Trainingsgelände und Spielstätte gefunden werden. Die Heimspiele werden in der Arena in Wil ausgetragen, 6000 Zuschauerinnen und Zuschauer haben dort Platz. Erst als die Infrastruktur geklärt war, begann die sportliche Planung richtig. Auch das Kader musste von null auf zusammengestellt werden. Am wichtigsten war den Guards aber, erst einmal einen guten Trainerstab zu engagieren.

Dank der Hilfe von Don Clemons, der früh als Berater zum Team stiess und den Guards ein riesiges Netzwerk eröffnete, konnte Norm Chow als Cheftrainer gewonnen werden. Clemons arbeitete 27 Jahre lang bei den Detroit Lions und war anschliessend auch einige Jahre in der Schweiz tätig. Chow ist bereits seit über 50 Jahren als Trainer tätig. Dabei war er unter anderem zwischen 2005 und 2007 Offensivkoordinator der Tennessee Titans. Die weiteren Coaches verfügen ebenfalls über lange Erfahrung aus der NFL oder von US-Colleges. Zöller zeigt sich selbstbewusst: «Wir haben das beste Coaching der Liga.»

Nicht für eine Stadt, sondern für ein ganzes Land

Doch wie konnten Trainer von diesem Kaliber verpflichtet werden, wenn man noch keinen einzigen Spieler unter Vertrag hat und noch nie ein Spiel absolviert hat? «Zum einen hat unsere Vision sicher überzeugt, aber der viel wichtigere Faktor war der Charakter der Coaches und ihre Offenheit für das Abenteuer», sagt Zöller und ergänzt: «Keiner dieser Trainer müsste noch arbeiten. Die machen das aus einer tiefen Freude am Sport und am Coachen.» Fragt man Chow, weshalb er sich trotz Ungewissheit für diese Aufgabe entschieden hat, spricht er von der «Faszination, nicht nur eine Stadt, sondern ein ganzes Land zu repräsentieren». Je mehr er dann mit Management und Clemons gesprochen habe, «desto sicherer war ich, dass das Projekt erfolgreich sein wird», so der 76-Jährige.

Nicht zuletzt sei viel Vertrauen seitens der Coaches nötig gewesen, sagt Zöller, «dass wir das hier aufbauen, wie wir ihnen das erzählen». Dies sei nur aufgrund ihrer Bereitschaft, etwas an die Football-Community zurückzugeben, möglich. «Don Clemons kommt bereits seit einigen Jahren in die Schweiz, weil er den Sport vergrössern und sein Wissen verbreiten will.»

5-06-2021 - American Football - WARRIORS vs TIGERS U19 - former NFL, American Football Herren, USA Detroit Lions LB coach Don Clemons on the Tigers bench during the U19 game in Winterthur against Warr ...
Don Clemons war zuletzt bei der U19 der Thun Tigers tätig.Bild: www.imago-images.de

Dass sowohl Chow als auch Clemons und die restlichen Trainer voll dabei sind und mitanpacken wollen, haben die Verantwortlichen bei den Helvetic Guards schnell gemerkt. Die vier US-Spieler haben Chow und Co. gleich selbst rekrutiert, dazu gehört unter anderem Quarterback Collin Hill. Auch bei den europäischen Spielern hatten sie klare Vorstellungen, welche Spielertypen sie haben wollen. Aufgrund dieser wurden Listen von den potenziellen Kandidaten angefertigt, woraus sich die Trainer dann ihre Wunschspieler herauspicken konnten. «Dadurch haben sie uns viel Arbeit abgenommen, und wenn die einen Spieler besser finden als einen anderen, hinterfragen wir das nicht. Da kümmern wir uns nur noch um den Kontakt und die Verträge», erklärt Zöller.

Der Charakter steht über allem

Zehn der insgesamt 65 Plätze im Kader der Guards werden von ausländischen Spielern besetzt sein, sie sollen vorangehen und das Team führen. «Es ist extrem wichtig, dass die ‹Imports› gut spielen, aber ohne gute ‹Locals› funktioniert nichts», sagt der General Manager. Die «Locals» sind die Schweizer Spieler, und so lag der Fokus erst einmal auf ihnen. Viele konnten aus der German Football League oder wie Stuttgarts Mike Kimpiabi von anderen ELF-Teams zurück in die Schweiz gelotst werden. Dazu kamen eine Menge Akteure aus der Schweizer Liga, beispielsweise von den Zürich Renegades oder den Calanda Broncos. Viele Spieler hätten sich auch bei dem neu gegründeten Team gemeldet. «Bei den besten Spielern brauchte es kein grosses Scouting, da war uns ohnehin klar, dass wir Interesse haben. Einzig das Charakterliche galt es zu klären», erzählt Zöller.

Das Wort «Charakter» fällt im Gespräch mit Zöller häufig, es wird klar, dass nicht nur die Leistung wichtig ist. Die Spieler sollen für das Team brennen und allen zeigen wollen, dass auch Schweizer American Football spielen können. «Diese Underdog-Mentalität ist deutlich spürbar und wird uns noch voranbringen.» Und das wird auch nötig sein, wollen die Guards den Rückstand zu den bestehenden Teams der ELF, die zum Teil schon zuvor seit Jahrzehnten existieren, aufholen.

«Ab der dritten oder vierten Saison wollen wir dauerhaft zur Spitze gehören.»
Toni Zöller

Wie gut es in der ersten Saison laufen werde, kann Zöller nur schwer vorhersagen, ihm ist primär wichtig, dass jeder kämpft und die Fans stolz auf das Team sein können. «Wir wollen keine blutleere Truppe», stellt er klar. Dennoch setzt sich der Klub auch sportlich hohe Ziele. «Unser Plan ist, ab der dritten oder vierten Saison dauerhaft zur Spitze zu gehören.» Um das zu erreichen, sollen die bestmöglichen Bedingungen geschaffen werden, die Helvetic Guards sollen eine sogenannte «First-Class-Franchise» werden. Ein Klub, bei dem die Spieler wissen, «dass man dort super betreut wird, der über sehr gutes Coaching verfügt, eine gute Fanbase hat und es auch charakterlich passt».

Der Kader dafür steht bereits. Noch sind nicht alle 65 Spieler vorgestellt, aber hinter den Kulissen ist alles geklärt. Die US-Trainer werden bei der Superbowl-Party dabei sein und in der Woche danach ein erstes Trainingslager veranstalten. Im April ist dann der richtige Trainingsstart, bevor im Juni die Saison losgeht. Für Zöller und seine Kollegen auch eine Erleichterung, da nun ein Teil der Vorbereitung wegfällt, und sie sich stärker darauf konzentrieren können, das Drumherum zu perfektionieren. Dort gibt es bis im Juni noch viel zu tun. Ein Event, den es in dieser Art sonst nirgends in der Schweiz gibt, stellt sich eben nicht von alleine auf die Beine.

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pana
09.02.2023 19:45registriert Juni 2015
Milano Seamen? What a name :D
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Nonchalant
09.02.2023 19:47registriert September 2018
Hut ab vor all diesen Jungs, die da was auf die Beine stellen! Wahrscheinlich werden da unzählige Stunden mit Herzblut ehrenamtlich gearbeitet. Ich hoffe und wünsche allen Beteiligten, dass alles so kommt, wie sie es sich vorstellen.
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Heinz666
09.02.2023 19:39registriert Dezember 2020
Geil, das sind tolle News. Mal gucken, dass ich es an ein Heimspiel schaffe😎
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