Hockeytechnisch gibt es an Patrick Fischers Aufgebot fürs olympische Turnier nichts zu kritisieren. Es ist sein Job, die bestmögliche Mannschaft zusammenzustellen. Nach rein sportlichen Kriterien. Es ist nicht seine Sache, Hockey-Politik zu machen. Oder doch?
Ein Name im Aufgebot fällt auf: Fabrice Herzog (27). Er wird nach 2017 (WM), 2018 (Olympische Spiele) und 2021 (WM) von Patrick Fischer zum vierten Mal zu einem Titelturnier aufgeboten. In 17 Partien hat der Powerstürmer bei diesen Wettbewerben 5 Treffer erzielt und seine Nomination gerechtfertigt.
Nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Tristan Scherwey sind Fabrice Herzogs Wucht und Wasserverdrängung erst recht gefragt. Sein Aufgebot macht sportlich Sinn. Aber er gehört nicht in diese Mannschaft.
Der Verband (als oberste Organisation unseres Hockeys), die Liga und die Klubs haben sich dem Schutz der Spieler verschrieben. Die Gesundheit der Spieler zu schützen ist erst recht in einer Kontakt-Sportart, wie es das Eishockey nun mal ist, von zentraler Bedeutung.
Besonders sanktioniert werden sollen Attacken gegen den Kopf. Es gibt nicht nur die Schiedsrichter, die dafür sorgen, dass die Spieleregeln eingehalten werden. Darüber hinaus können Missetäter durch eine gut funktionierende Hockeyjustiz sanktioniert werden. Darüber hinaus gibt es eine Kampagne inklusive eines griffigen Slogans: «Respect the head».
Am 14. Februar 2021 streckte Fabrice Herzog, neben dem Eis ein freundlicher, eher introvertierter, unbescholtener junger Mann, noch im Dienst des HC Davos, den SCB-Verteidiger Eric Blum mit einem Check gegen den Kopf nieder. Es ist eines der brutalsten Fouls unserer neuen Hockey-Geschichte. Von nahezu beispielloser Rücksichtslosigkeit. In einer Spielsituation, in der ein Check keinerlei Sinn macht. Gegen einen Spieler, der zu den fairsten, intelligentesten und talentiertesten der Liga gehört.
In der offiziellen Begründung der Hockeyjustiz ist zu dieser Aktion zu lesen: «Das Verhalten des Beschuldigten war rücksichtslos.» Seit diesem Foul hat Eric Blum nie mehr Eishockey gespielt. Er kämpft heute erst einmal darum, wieder ein normales Leben führen zu können.
Fabrice Herzog ist für diese Missetat für acht Spiele gesperrt und mit einer Busse von 11'500 Franken belegt worden. Und sonst nichts. Rein gar nichts. Obwohl wir bei ihm das hässliche Wort «Wiederholungstäter» verwenden dürfen: Das Foul gegen Eric Blum war bereits das siebte Vergehen seit der Saison 2015/16, das zusätzlich mit Spielsperren geahndet werden musste.
Inzwischen stürmt Fabrice Herzog seit der Saison 2021/22 für den EV Zug. Spieler wie er sind eben begehrt: Spieler, die einschüchtern und Tore schiessen können. Haben die Sperren und Bussen etwas bewirkt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Er ist seit der Attacke auf die Gesundheit von Eric Blum und dem Wechsel nach Zug schon wieder hockeytechnisch straffällig geworden und musste nach einer Attacke auf den Kopf eines Gegenspielers (Fribourgs Verteidiger Mauro Dufner) im letzten November für fünf Spiele aus dem Verkehr gezogen werden.
Le geste d'Herzog sur Dufner ⤵️ pic.twitter.com/yHfHy8ZW7R
— MySports_CH_fr (@MySports_CH_fr) October 31, 2021
Unbelehrbar? Rein hockeytechnisch gesehen muss er sich ja auch nicht bessern: Viel mehr als 10 bis 12 Spielsperren riskiert er nicht. Die Hockeyjustiz darf ihn nicht mit einem Berufsverbot belegen. Die Bussen werden ihn als gutverdienenden Berufsspieler mit schönem sechsstelligem Salär höchstens ärgern. Anders als in der NHL, wo Spieler während einer Sperre die Lohnzahlung verlieren und Sündenfälle im Portemonnaie spüren. In die Bredouille kämen er und sein Arbeitgeber nur dann, wenn eines seiner Opfer Strafanzeige einreichen und die Versicherung Regress anstreben würde. Das war bisher nie der Fall und dürfte – so es denn noch einmal zu einem Zwischenfall kommen sollte (was die Hockeygötter verhindern mögen) – auch künftig nicht der Fall sein.
Fatal ist die Vorbildwirkung von Fabrice Herzog in einem Sport, der den Kult der Härte und Männlichkeit zelebriert. Was ja auch zur Faszination dieses Spiels gehört. Alle Ermahnungen an die heranwachsende Generation, die Gesundheit des Gegenspielers zu respektieren, und alle Kampagnen in dieser Sache verlieren jede Wirkung, wenn sich ein Star mit grosser Vorbildwirkung wie Fabrice Herzog wüste Fouls leisten kann und trotzdem eine tolle Karriere macht, viel Geld verdient, beim Schweizer Meister einen Vertrag bekommt und vom Nationaltrainer regelmässig für Länderspiele, Weltmeisterschaften und nun sogar erneut für die Olympischen Spiele aufgeboten wird. Die Olympischen Spiele sind für jeden Sportler das höchste aller Ziele. Die Botschaft, kaum verschlüsselt: Sei böse und rücksichtslos und du machst Karriere.
Nein, Patrick Fischer darf nicht Politik machen. Es ist sein Job, das bestmögliche Team zusammenzustellen. Und doch: Er hat eine grosse Chance verpasst, um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für den Schutz der Gesundheit der Spieler. Eine Botschaft, die alle verstehen: Fabrice Herzog nicht für Peking aufbieten und öffentlich erklären, der Grund für diese Nicht-Nomination sei sein Foul gegen Eric Blum. Und für Fabrice Herzog beispielsweise Servettes WM-Silberhelden Noah Rod (25) aufbieten, der sich bei den letzten drei WM-Turnieren bereits bestens bewährt hat.
Der Chronist hat diese Idee ein paar hohen und höchsten unserer Hockey-Würdenträger vorgetragen. Unter Zusicherung hundertprozentiger Diskretion natürlich. Jeder – jeder! – sagt, dass eine Nicht-Nomination von Fabrice Herzog mit entsprechender öffentlicher Begründung eigentlich gut wäre. Und jeder – jeder! – schränkt sogleich ein, dass das halt nicht gehe. Politisch heikel und so. Du weisst ja.
Ja, der Chronist weiss. Ende der Polemik.
Und Eric Blum wünsch ich von ganzem Herzen, dass er sich nicht das ganze Leben an diesen Drecks-Check erinnern muss.